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ImPulsTanz Festival im persönlichen Rückblick

Cie. Marie Chouinard: „Magnificat“, ein echtes Glanzlicht. © Sylvie Ann Paré,

Mega, Mega! Superlative über Superlative! Das ImPulsTanzFestival’25 schlägt alle bisherigen Rekorde. Alle Details akkurat zusammengerechnet, ergibt die Bilanz 200.000 Menschen, die das Festival, in dem auch die Werkstatt- und Weiterbildungsangebote stecken, besucht haben. Mit 100 % Auslastung der Vorstellungen, der Weiterbildungsprogramme und Gratis-Veranstaltungen war das Festival nicht nur restlos ausverkauft, sondern auch das bestbesuchte aller Zeiten. Tanzherz, was willst du mehr? Vielleicht etwas weniger Breite und mehr Tiefe?

Matteo Haitzmann in Aktion, fotografiert von Stefan HauerVielleicht auch etwas weniger Highlights, Compagnien, die von Festival zu Festival reisen und zu den geliebten Stammgästen auch des ImPulsTanz-Festivals zählen. Imaginäre fünf Sterne zieren die Namen, Highlight steht in der Vorschau, steht im Programm, steht in den Medien, wer wagt da noch genau hinzusehen? Diese auf einem geheimen Walk of Fame gestirnten Compagnien bringen eine neue Choreografie mit, doch die unterscheidet sich nicht von der alten. Die sogenannten Highlights sagen nichts über den Tanz / die Performance heute aus. Sie dienen dem Behagen der Besucherinnen, sind Wohlfühlprogramme, die man gesehen haben muss. Oder auch nicht. Damien Jalet : „Thrice / Brise Lames". © DAmien Jalet
Pauschalurteile sind jedoch nicht angebracht, denn immer wieder gibt es Überraschungen, Tänzerinnen /Choreografinnen, nahe dem Pensionsalter, die sich selbst übertreffen, ihren Panzer öffnen, auftauen und mit sanfter Selbstironie der Jugend den Vortritt lassen. Oder Tänzer / Choreografen, die ihr Anliegen so perfekt und poetisch in Form bringen, dass das konzentriert folgende Publikum, diese herrliche, so selten verschenkte Schweigeminute einlegt, bevor es den schuldigen Applaus spendet. Sergiu Matis: „ EarthWorks“ © Jubal BattistiDas Zeichen der Wohlfühlstücke ist ja, dass da niemand erschüttert oder betroffen oder nachdenklich ist, sondern, kaum dass Licht und Geräusche das nahende Ende signalisieren, die Hände heben, um ihre Begeisterung kundzutun, bevor der (meist imaginäre) Vorhang fällt. Auch hier dieses Streben nach „schneller, höher, weiter“, wer als erster pascht, aufspringt und quietscht, hat nichts gewonnen. Doch einiges verloren.
Luca Bonamore: „Lamentations“ . ©  Julian Lee HaratherManchmal, im NEST oder im Wuk, überall dort eben, wo die für die Serie [8:tension] ausgewählten Tänzerinnen / Performerinnen aufgetreten sind, oder im Odeon und Schauspielhaus, wo Solistinnen oder kleine Ensembles zu sehen waren, manchmal also wird diesen Protago-, Deuterago- und Antagonistinnen ohne # Highlight und ohne Stern durch Augenblicke der Stille die höchste Ehre zuteil.
Seit 2001 gibt es diese Young Choreographers‘ Series [8:tension], seit dem Vorjahr kuratieren Breanna O’Mara und Chris Haring das Programm. Pina Bausch :Café Müller. © Ursula KaufmannElf Produktionen haben sie ausgewählt, und natürlich haben nicht alle Tänzerinnen / Performerinnen gehalten, was sie versprochen haben. Will man einen roten Faden finden, so ist dies das persönliche Erleben, Erinnerungen, Verletzungen, Hoffnungen (kaum Freuden und Glücksgefühle), die sich in den Körper eingeschrieben haben. Oft fehlt es noch an der Dramaturgie, das, was sie mitteilen wollen, beschäftigt manche so stark, dass sie auf die Form vergessen. Doch alle sind authentisch und ehrlich. A.T De Keersmaeker und Solal Mariotte in „BREL“. © Anne Van AerschotSie öffnen Türen, bitten uns in ihre Wohnung, zeigen ihre Wunden und Narben, versuchen die Dämonen zu bannen, die ihnen Angst machen. Bei [8:tension] ist der Tanz nicht Selbstzweck, sondern Ausdrucksmittel, der unverhüllte Körper ist das Medium. Sternstunden der besonderen Art. 
Der Rest der zu vergebenden Sterne muss hinauf ins Workshop-Zentrum Arsenal getragen werden. Dort befindet sich die Basis des gesamten Festivals.
Eine Idee, ein Wagnis, ein Erfolg.
Mit 20 Workshops haben Karl Regensburger und Ismael Ivo im Sommer 1984 die ersten internationalen Tanzwochen in Wien veranstaltet. Der Erfolg hat die Veranstalter ermutigt, auch Wintertanzwochen zu veranstalten. Vier Jahre später, 1988, wurden im heutigen Schauspielhaus (damals Der Kreis) ersten Abendaufführungen gezeigt. François Cheignaud: „Último Helecho“. Im Bild Nina Laisnè.vonr ihr stammt die Originalidee und das Bühnenbild auch die musikalische und szenische Leitung hat sie übernommen.  ©  Cleo BouzaDie Tänzerin Marie Chouinard aus Montreal, war auch damals schon dabei, Post modern hat sie das Workshop genannte, Space, Time and Beyond die Aufführung (ihr weltberühmtes Solo L’Après-midi d’un faune inkluisve).Chouinards Treue ist unverbrüchlich, auch in diesem, dem 42, Festival hat sie das Publikum mit ihrer phänomenalen Compagnie, mit Esprit und Humor beglückt.
260 Workshops inklusive der 13 Field Projects, 197 Dozentinnen, Assistentinnen und Musikerinnen. Wer die Stimmung oben im Gelände der ART-for-ART Werkstätten erlebt hat, will immer wieder kommen; wer sich in einem der Studios bewegt, geschwitzt, getanzt und auch gesungen hat, spürt den eigenen Körper und sieht die fremden auf der Bühne aus einer neuen Perspektive. Auch die in der toten Zeit der Pandemie entstandenen Tanzklassen Public Moves, „gratis und draußen“, übertreffen in ihrer Wirkung jegliches Tourneeprogramm. Marika Peura: „Amalgam Melee“  © Hela Hoito.
Jedes Festival braucht sie, die großen Compagnien mit den großen Namen, der Tanz braucht die wagemutigen, oft schmerzgebeutelten „Young Choreographers“, die ihren Körper samt ihren Ängsten, Zweifeln und Nöten auf die Bühne werfen und eine authentische Arbeit zeigen. Junge Tänzerinnen und Choreografinnen, die darauf verzichten, sich an den von der Politik und den Medien vorgegebenen Trend zu hängen, als Konkurrenz zu den Nachrichten von den Problemen der Welt zu erzählen. Es macht sich gut, wenn dieses Futter für die täglich gedrehten Gebietsmühlen – von Katastrophen bis Ungerechtigkeit –  als Performance verwurstet wird. Catol Teixeira: „Arrebentação – zona de derrama last chapter°  © Anouk Maupu Choreografinnen und Tänzerinnen am Puls der Realität! Niedlich!Was dabei herauskommt, ist meist getretener Quark, mehr breit als stark, gefällig, synthetisch, oberflächlich. Genug Eulen in Athen!
Wer sich selbst nicht kennt, nicht auskennt, kann die Welt weder kennen noch deren Probleme lösen. Die Nachwuchschoreografinnen sprechen mit ihren Körpern nicht von der Kanzel herab, sondern von Mensch zu Menschen, und die spüren manchmal in ihrem Körper das Weh und Ach, von dem die Künstlerinnen von [8:tension] oder darüber hinaus, geplagt werden.

42. ImPulsTanz Festival, 10.7. – 10.8.2025, Performances, Workshops, Research Programme, Public Moves. 12 Spielorte, von Akademietheater bis Wuk. Mein Nachruf. 
Fotos: ImPulsTanz