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Wiener Festwochen 2018 - neu und verbessert

Das Rolandslied, intoniert von arabischen Künstlern. © Janot Djassi

Zufrieden kann ich die Pressekonferenz der Wiener Festwochen (FEST- wird in Versalien geschrieben) am 15. Februar samt Programmheft und Unterlagen verlassen. Es hat sich wieder alles zusammengeschüttelt: Das Programmbuch ist lesbar und geordnet, das Programm verspricht vielfältigen Genuss und tiefes Nachdenken.

Wild geht es zu ini der  multimedialen perforamtiven Installation "Feed.X" © Kurt HentschlagerWas Tanz und Performance betrifft, gibt es zahlreiche Angebote, wovon mir etwa zehn gefallen könnten. Schaffen werde ich nicht alle in den fünf FEST-Wochen. Eine darf ich gar nicht besuchen, weil ich einen zu niedrigen Blutdruck habe. „FEED.X“, die multimediale Installation mit Performance, eine Neufassung von „Feed“ des Österreichers Kurt Hentschläger, ist nicht barrierefrei. Wer noch nicht 18 ist, darf nicht, wer gesundheitliche Probleme hat, soll nicht kommen. Auch gut, ich muss mich ja nicht quälen und womöglich „durch sensorischen Entzug und Überforderung“ das Bewusstsein verlieren.

Zum Ausgleich werde ich mir Boris Charmatz / Musée de la Dance mit seiner Produktion der 10000 Gesten – 23 Tänzer*innen führen hunderte von Gesten aus, ohne je eine zu wiederholen – zwei Mal geben. Nach der Wiener Premiere des im Vorjahr uraufgeführten Boris Charmatz: "10000 gestes".  © Tristram Kenton. MIF 2017Bewegungsgewitters steht diese Hymne an die Flüchtigkeit des Tanzes auch im Mittelpunkt des sechsstündigen Einblicks in den „Tag eines Tänzers“. Schon am Nachmittag schaut man den Tänzer*innen zu, wie sie sich aufwärmen und die Muskulatur dehnen, darf dann selbst auf die Bühne, wenn Charmatz zum Workshop ruft, und genießt den wunderbaren Tänzer Frank Willems mit einem Solo aus „Ohne Titel (2000)“ von Tino Sehgal, um sich vor dem rasanten Wechsel der garantiert mehr als 10000 Bewegungsschnipsel dem gemeinsamen Schlaf hinzugeben. Gegen 20.30 Uhr wird in den Gösserhallen in der Laxenburgerstraße, ein neuer Spielort für die Festwochen, der Dancefloor mit Electric Indigo geöffnet. Zum Abschluss eines Tänzertages wird die Zeit gewürgt. Der Titel dieses letzten Abschnitts von „A Dancer’s Day“ ist der Choreografie „Duett Boléro 2“von Odile Duboc entnommen, die von der französischen Tänzerin Charmatz und Huynh in Dancers Day: " Etrangler le temps" / Die Zeit erwürgen oder auch nur komprimieren". © Ursula KaufmannEmmanuelle Huynh und Charmatz aus der Erinnerung nachgetanzt und damit zur Musik von Maurice Ravel eine neue Choreografie erzeugt wird. Bei beiden Produktionen des Musée de la Dance, dem einstündigen Gestenwirbel und dem halben „Tag eines Tänzers“ haben die Wiener Festwochen mitproduziert.

„Das Rolandslied / La Chanson de Roland“, entstanden zwischen 1075 und 1110 und von den Franzosen zu einer Art Nationalepos stilisiert, obwohl es im Grunde von den Kriegszügen des deutschen Kaisers Karl (dem Großen) gegen die islamischen Sarazenen handelt. Doch es ist altfranzösisch gereimt und so ist den Franzosen und „la douce France (dem süßen Frankreich) in den fast 300 Strophen eine besondere Rolle zugewiesen.

Diesmal allerdings sind es nicht die Franzosen, die den Blick auf die kriegerischen Heere lenken, sondern der ägyptische Künstler Wael Shawky. Für „The Song of Roland – The Arabic Version“ (Uraufführung im Mai 2017 in Hamburg) werden die ziemlich blutrünstigen Verse von Sängern auf Arabisch vortragen, von Puppen gespielt. Eine Bestätigung der Behauptung, dass Geschichtsmuseen Nonsens sind, denn die Geschichte hängt vom Erzähler / der Erzählerin ab. Wer die Deutungshoheit hat, gestaltet sie. Wael Shawky sagt in seinem faszinierenden, fremdartigen Tanztheater, dass es historische Gewissheit nicht gibt."Phobiarama", Sind wir in derGrottenbahn des Schreckens, oder ist alles doch nur plumper Schwindel? © Willem Popelier

Die Performance des Eröffnungstages am 11. Mai zum Schluss: Dries Verhoeven setzt sich und das Publikum mit dem “Theater der Angst, das immer häufiger von Oben geschaffen wird, aber nicht von konkreten, sondern von möglichen Gefahren spricht.“ auseinander. „Phobiorama“ zeigt im öffentlichen Raum (für Wien im Hof des Museumsquartiers) ein Spukhaus der Ängste, in dem einem bang werden kann. Wer das Fürchten noch nicht gelernt hat, kann diese einstündige Geisterbahnfahrt bis 22. Mai ab 15 Uhr im Stundentakt besuchen. Keine Panik, alles, was uns eingeredet wird, sind Luftblasen des politischen Marketings. Könnte (sollte?) die Erkenntnis sein. "Crowd" von Gisèle Vienne – die Menge in Bewegung zur Musik. © Estelle Hanania

Nach diesen wenigen als Beispiel ausführlich vorgestellten Performances noch ein paar Namenstropfen: Superamas zeigen „Chekhov Fast & Furios“; Gisèle Vienne kommt mir ihrer Choreografie „Crowd“; die koreanische Künstlerin Jisun Kim lässt in „Deep Present“ vier künstliche Intelligenzen diskutieren, in Koreanisch, Japanisch und Englisch, die deutschen Untertitel sind in dieser Performance unerlässlich. Und, und, und… steht alles im Programmbuch.

Natürlich wird nicht nur Performance, Musik und Tanz geboten, sondern auch vieles andere anregende, aufregende und hoffentlich auch beruhigende Aufführungen, Installationen und Filme samt zwei Themenführungen im Kunsthistorischen Museum und dem „Festival for Club Culture Hyperreality“.

PS: Dass manche Künstler*innen wenig Respekt vor ihrem Publikum haben und es um des Effektes willen mit Stroboskop und Hochfrequenz quälen, entspricht wohl dem Zeitgeist: In der Ich-AG kennt man keine Rücksicht. Nicht mehr Jugendschutz lässt manche willigen Zuschauer*innen vor der Tür stehen. „Toll und supercool“ ist solch eine multimediale Aufführung nur für die anderen.

Wiener Festwochen 2018, 11. Mai bis 17. Juni 2018 an unterschiedlichen Spielorten.
Eröffnungsfest wie üblich auf dem Rathausplatz, 11. Ma, 21.20 Uhr.
Das ausführliche Programm samt allen Möglichkeiten, Karten zu bestellen und anderen Servicehinweisen ist auf festwochen.at/ zu finden.