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Was zum Teufel ist Luvos? Editta Braun antwortet

Ausschnitt aus „planet LUVOS“, Choreografie von Editta Braun, 2012.

Luvos hatten meine Großeltern im Nachtkasterl. Wozu das Pulver gut war, wusste ich nicht, habe aber den nassen Finger hineingetaucht und gekostet. Hat nach gar nichts geschmeckt und mich nicht weiter interessiert. Vorläufig jedenfalls. Bis Editta Braun ihr LUVOS auf die Bühne gebracht hat. Das ist fast 40 Jahre her, wird weiterentwickelt und lebendig erhalten. Am 15. März zeigt die Choreografin Editta Braun das LUVOS-Gesamtkunstwerk, HYDRÁOS, im Kosmos Theater.

Eine Krabbe im Nirgendwo: „LUVOS migrations“.Überraschung! Auch in Editta Brauns LUVOS – Reihe hat eine Großmutter Platz. Lang, lang ist’s her. Die junge Formation Kollektiv Vorgänge ist 1986 mit dem Kurzstück Lufus beim Choreografie-Wettbewerb von Bagnolet (einer kleinen Stadt nahe Paris) angetreten und mit zwei Preisen nach Hause gereist. Die internationale Jury verlieh den Österreicherinnen den 2. Preis und auch der Festivalpreis für die innovativste Choreografie ging an Kollektiv Vorgänge. Lufus war eine Sensation. Moment. Die Großmutter kommt sofort an die Reihe und ich zitiere frech aus Editta Brauns LUVOS-Biografie:

Die Uraufführung des Stückes hatte während eines Fortbildungsaufenthalts des Kollektivs in Fanghoumé im Süden Senegals stattgefunden. Germaine Acogny, die Grande Dame des Afrikanischen Tanzes, hatte die jungen TänzerInnen im Verlauf des Workshops eingeladen, das Stück bei einer Zeremonie für ihre Großmutter, die animistische Priesterin Aloopho, im Heiligen Hain, einer hügeligen Waldlandschaft, zu tanzen. […] Für die ORF-Kunststücke wurde noch im selben Jahr ein Tanzvideo zum Bühnenstück «Lufus» gedreht, das diese „Keimzelle“ der späteren LUVOS-Produktionen dokumentiert: acht Männer und Frauen, fast nackt im Gegenlicht, die Bühne mit Erde, die Haut mit Luvos Heilerde bedeckt   (der Name der Heilerde gab der Produktion ihren Namen), isolierte Gliedmaßen in ungewöhnlicher Perspektive, nackte Beine, Rücken, Hintern, reglos, dann langsam schwankend, zitternd, zuckend … bis hin zum kreatürlichen Hüpfen, Wabern, Rollen und Stampfen urzeitlich wirkender Wesen mit befremdlicher Maske. Dazu die Musik der Formation Art Zoyd, deren Ko-Komponist Thierry Zaboitzeff später zum kongenialen Musikschaffenden für die Company werden sollte. „Luvos vol. 2“, 2001, der Dauerbrenner.  © Jo Grabowski

Die in Salzburg beheimatete editta braun company hat ihr jüngstes Stück, HYDRÁOS, in 2 Versionen einstudiert, okzidental und oriental. Nacktheit ist in vielen Ländern auch auf der Bühne nicht gern gesehen oder sogar verboten. Daher tragen die in der okzidentalen Version die bis auf einen Stringtanga nackten Tänzerinnen in der orientalen Version grüne Ganzkörperanzüge, die die Abstraktion verstärken und mit den lyrischen Musikelementen aus dem klassischen Kanon kontrastieren.
Schon die erste Weiterentwicklung von Lufus, Luvos, vol. 2, entstanden 2001, zeigt keine Tänzerinnen, sondern den menschlichen Körper, oder Körperteile, die als menschlich nicht mehr zu erkennen sind. Editta Braun sagt dazu:

Unter dem Eindruck erschreckender Perspektiven des gentechnischen Fortschritts wird das preisgekrönte Kurzstück Lufus in rein weiblicher Besetzung weiterentwickelt. Ein Körperillusionstheater, das einzelne Gliedmaßen isoliert.

Aller Anfang war Erfolg: Körperwelle in  „Lufos“, 1985 . © Wolfgang KirchnerDieser Begriff „Körperillusionstheater“ beschreibt auch die folgenden Stücke perfekt. Zehn Jahre lang tourte dieses Körperillusionstheater mit der von Braun 1989 gegründeten editta braun company durch die Welt, von Sankt Pölten bis Sibirien, von Bielefeld bis Riga. Details über sämtliche Bühnenstücke der Luvos-Reihe sind im Internet nachzulesen. Ein Eindruck lässt sich beim Streamen der einzelnen Trailer gewinnen.
Eine besondere Position nimmt das Tanzstück Fanghoumé ein, dessen Uraufführung 2019 n Senegal enthusiastisch gefeiert worden ist. Editta Braun ist damit zu den Wurzeln von LUVOS, die im senegalesischen Dorf Fanghoumé liegen, zurückgekehrt. Mit drei Tänzerinnen zeigt sie Fanghoumé in der Hauptstadt Dakar und im Dorf Touba Dialaw, wo Germaine Acogny 1998 die École des Sables gegründet hat. Die Sandschule ist ein Zentrum für Bildung, modernen Tanz, traditionelle und zeitgenössische afrikanische Tänze. Choreografin Editta Braun in der Ecole des Sables an der Arbeit. © Videoausschnit/ editaa braun company
Aus Fanghoumé ist die orientalische Version von HYDRÁOS geworden. Die Premiere der okzidentalen Version davon war am 24. Jänner 2024 im Stadttheater Gießen.
2022 ist der Kurzfilm LUVOS migrations entstanden, der von Wesen erzählt, die eine von Menschen dominierte Welt durchwandern. 2023 ist der 19 Minuten lange Film mit fantastischen Naturszenerien, bei den Tanzfilmfestivals in Kairo, Florenz und Varna ausgezeichnet worden. Im Kosmos Theater wird nach dem Bühnenstück Fanghoumé – „Eine lyrische Phantasie über die Evolutionsgeschichte“ nennt die Schöpferin ihre Choreografie  –, auch der Kurzfilm LUVOS migrations gezeigt.  „HYDRÁOS“, okzidentale Version, am 15. März im Kosmos Theater. LUVOSmove® ist die geschützte Bezeichnung für die von editta braun company entwickelte, spezielle und rein weibliche Körpersprache. Die zertifizierte Tanztechnik, die Editta Braun universitär unterrichtet. Seit dem Kolloquium 2021 an der Anton Bruckner Universität Linz wird die Technik auch wissenschaftlich erforscht wird.

editta braun company: HYDRÁOS, live auf der Bühne & LUVOS migrations, als Kopie auf der Filmwand.
Tanz: Sonia Borkowicz, Weng Teng Choi-Buttinger, Simona Štangová Komposition, Arrangements: Thierry Zaboitzeff, unter Verwendung von Fragmenten aus Klavierstücken von Beethoven, Schumann, Debussy
Lichtdesign: Thomas Hinterberger
Fotos: © Bettina Frenzel
Gastspiel im Kosmos Theater, 15. März 2024. Tickets online.