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Lisa Hinterreithner: „This is not a garden”

Im ehemaligen Turnsaal begegnen die Gäste den Pflanzen.

Der Garten bleibt im Garten, auch wenn Lisa Hinterreithner über und mit der Natur spricht und arbeitet. Im ehemaligen Turnsaal in der Viktor-Christ-Gasse ist die Natur im Ruhezustand. Mit Hinterreithner laden drei Performerinnen das Publikum ein, die Alltagshektik abzulegen und mit der Natur in Dialog zu treten. Lisa Hinterreithner, Rotraud Kern, Sara Lanner und Linda Samaraweerová leiten das Publikum durch das sorgfältig gebaute Setting, in dem auch die Gäste Teil der Performance sind.

Fundstücke aus Wald und Wiese für die Installation.Moos auf den Steinen, abgefallene Äste, getrockneter Baumschwamm, duftende Lavendelsträuße, raschelndes Laub in wärmenden Hüllen und eine Erzählung via Kopfhörer über das Verhältnis der Menschen zu den Pflanzen. Bäume, Blumen und Gras, die unendliche Welt der Pflanzenwesen braucht uns nicht, wächst, blüht und vermehrt sich ohne den Eingriff der Menschenwesen. Diese jedoch sind angewiesen auf die Fruchtbarkeit und Schönheit der pflanzlichen Welt.
Die Inszenierung mit Matratzen, Decken, Polstern und den eingebundenen pflanzlichen Mitspielern erlaubt keine störenden Objekte, Handtaschen, Rucksäcke, auch die Schuhe werden abgelegt, das Handy bleibt draußen und die Zeit wird unwichtig. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon über den bemoosten Ast streiche oder versuche die Architektur aus alten Hölzern stabil zu halten. Achtsamer Umgang mit den pflanzlichen Wesen ist Lisa Hinterreithner wichtig. Der Podcast, in dem Hinterreithner und Markus Gradwohl in klarem, gut verständlichem Englisch erklären, worum es geht, Fakten berichten, über die man nachdenken kann, gehört zu dieser außergewöhnlichen performativen Installation. Thema ist das Verhältnis der Menschen zur pflanzlichen Welt, das sich als eher einseitig herausstellt. Eines steht jedenfalls fest: „Pflanzen sind keine Dinge,“ Hinterreithner nennt sie nichtmenschliche Wesen.
Zugleich mit dem Thema interessiert die Künstlerin auch die Form ihrer Kommunikation mit den Zuschauer:innen, die nicht Publikum, sondern Gäste, eingebunden in die Performance, selbst Performer sind. „Ich will mit anderen Formen von Aufführungen experimentieren.“ „This is not a Garden“ ist mehr Abenteuer, Erlebnis, spielerische Erkenntnis. Ein Publikum (maximal 35 Gäste) im üblichen Sinn gibt es nicht, alle Anwesenden sind Performer:innen, alle sind Zuschauer:innen.
Während ich dem 20minütigen Podcast zuhöre beobachte ich, wie Daniel, der am anderen Ende des Saales träumt, eine schützende Hülle aus Ästen und Zweigen bekommt. Er erscheint mir als in der Rosenhecke, schön und unerreichbar.  Stroh ist wichtig im Stall, Menschen flechten Kränze daraus. Was Hinterreithner im podcast erzählt, lässt mich über die Bibelgeschichte nachdenken, in der berichtet wird, dass Adam und Eva den Auftrag erhalten haben, sich die Erde untertan zu machen. Seit dreitausend Jahren fühlen sich die Menschenwesen erhaben über den restlichen Teil der Welt, wähnen sich als Krone der Schöpfung. Dabei wird mir schwindlig und ich schaue lieber Rotraud zu, die Lisa mit Stroh bekränzt. Es wird kein Gold gesponnen, die Goldhauben, die zur oberösterreichischen Tracht getragen werden und – man staune – von Bürgerinnen der Städte erfunden worden sind, fallen mir dennoch ein.
Ob man im Blockhaus sitzt, unter der laubgefüllten Tuchent döst, im Kreis die Äste tanzen lässt oder den Duft getrockneter Lavendelblüten einatmet, man ist immer mitten drin, Teilnehmerin, nicht Konsumentin. Wie schmeckt ein bemooster Stein? Sara Lanner versucht, es herauszufinden. Hinterreithner indoktriniert und manipuliert nicht, sie erzählt Fakten, lässt die mitspielenden, mitarbeitenden Gäste ihre eigenen Gedanken spinnen und, so sie wollen, eine Verbindung mit der Pflanzenwelt aufnehmen.
 Auch die dürren Äste und getrockneten Schwämme und Früchte sind für sie nicht tot: „ die sind im Kreislauf eingebunden, für mich haben sie nur eine Ruhezeit, sie vermodern, werden wieder zu Erde, die nimmt Samen auf, aus denen Pflanzen wachsen.“ Auch „lebende“ Pflanzen werden verteilt, doch die stecken noch in ihrer Erde, können ohne Probleme wieder zurück hinaus unter den Himmel. „Ich will die Pflanzen hier nicht als Dekoration aufstellen“, sagt Hinterreithner, „es sind keine Objekte, sondern nichthumane Wesen, sie haben einen Stoffwechsel, auch ein Kommunikationssystem, wir können sie sehen, riechen, schmecken, berühren. Nur hören können wir sie nicht. Jetzt noch nicht.“ Lisa Hinterreithner, mehrfach preisgekrönt. Foto: © Erik Hable Was sie mit dieser speziellen Gemeinschaftsperformance erreichen will, ist eine andere Perspektive auf diese anderen Wesen, nicht mit geschwenkten Fahnen und verkündeten Botschaften, sondern über einen spielerischen Zugang. Die Achtsamkeit und Sorgfalt, die Ruhe, Langsamkeit und Stille erzeugen die vier Performerinnen mit ihren behutsamen Bewegungen, den tänzerischen Schritten, dem genauen Timing und der Ruhe, die sie ausstrahlen.

Lisa Hinterreithner: „This is not a Garden“, eine performative Installation
Künstlerische Leitung, Kreation, Performance Lisa Hinterreithner; Kreation, Performance Rotraud Kern, Sara Lanner, Linda Samaraweerová. Set Lisa Hinterreithner, Sara Lanner. Sound, Komposition Lisa Kortschak, Elise Mory; Kostüm Daniela Grabosch. Research Markus Gradwohl.
Fotos: © Eva Würdinger. Begrenzte Teilnehmerzahl. Tickets online.
Gesehen als öffentliche Probe am 3. Juni 2022.
Termine: 10., 11., 12. Juni 2022, Tanzquartier im Creative Cluster, Viktor-Christ-Gasse 10, 1050 Wien.
Workshop mit Lisa Hinterreithner und Markus Gradwohl, 12.6.2022, 13 Uhr, Creativ Cluster, Viktor-Christ-Gasse 10, 1050 Wien. Dauer 150 Minuten