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Ferdinand von Schirach: „Kaffee und Zigaretten“

Autor Schirach mit Buchcover. © Luchterhand / Michael Mann

Der Titel des neuen Bands mit allerlei Texten von Ferdinand von Schirach, "Kaffee und Zigaretten", erinnert an den wunderbaren Film von Jim Jarmusch „Coffee and Cigarettes“. Der Autor hat nichts dagegen. 48 Texte in allen Farben sind versammelt, die meisten kurz und knapp. Warum gerade 48 wird nicht erklärt, offenbar hat es keine Bedeutung. Schirach schreibt in der Ichform, ist mitunter auch der Erzähler. Doch weil der Verlag das Buch „sein persönlichstes“ nennt, ist wohl auch diese dritte Person die erste. Schon der Buchtitel ist eine Aussage über den Autor, ernährt er sich doch, wie er sagt, hauptsächlich von Zigaretten und Kaffee.

So ist wohl eine der Geschichten dem verstorbenen deutschen Exkanzler Helmut Schmidt gewidmet, der sich auch nach Einführung der Rauchverbote „Das Rauchen nicht verbieten“ ließ. Neben der Hommage für den „kühlsten Kerl Deutschlands“ (Forsa-Umfrage 2008, Schmidt war 90 Jahre alt), sind die 48 Texte ein Sammelsurium von Anekdoten, Bekenntnissen, Notizen und Fallgeschichten aus seiner Zeit als Strafverteidiger. Manche davon sind bereits in Magazinen erschienen. So schön und beeindruckend die Bestseller Romane („Verbrechen“, „Schuld“, „Strafe“) sind sie nicht.

Altbaupforte des Kollegs St. Blasien, wo der Autor zur Schule gegangen ist. © EBB / wikipedia. Das Themenfeld ist weit gespannt, Schirach macht sich Gedanken über die Welt und die Einsamkeit, über Episoden aus der Kindheit und Schulzeit, Erlebnisse in der Gegenwart, regt an, über Schicksal und Gesetz und über das Böse, das oft besser zu verstehen ist als das Gute, zu grübeln. Melancholie macht sich breit, der Tod ist stets präsent oder auch die Angst davor. Man muss durchhalten, sagen die Gedichtzeilen des amerikanischen Lyrikers Robert Frost (1874–1963), die Schirach der Textsammlung vorangestellt hat.

The woods are lovely, dark, and deep, / But I have promises to keep, / And miles to go bevor I sleep, / And miles to go bevor I sleep.

Traurig, sehr traurig. Erinnert mich an Hermann Hesse (1877–1962): „Seltsam im Nebel zu wandern.“ Nicht alles, was Schirach uns zu lesen gibt, ist trübsinnig und voll Todesgedanken, der Autor, 1964 geboren, ist noch kein alter Mann. Er ist erfolgreich, sein Theaterstück „Terror“ zählt zu den weltweit meist aufgeführten Dramen dieser Zeit und ist auch von theaterabstinenten Heimkinoliebhaber*innen gesehen worden. Wie das Theaterpublikum waren auch sie verpflichtet, sich als Geschworene Gedanken über Schuld und Unschuld zu machen. In Wien hat Julian Pölsler das Gerichtsdrama für die Kammerspiele (Theater in der Josefstadt,) inszeniert und alle Rollen mit Frauen besetzt. Mit dem schwedischen Dichter Lars Gustafsson († 2016) hat der Erzähler Tennis gespielt. © literarum.blogg.hbl.fi

Um Moral, um Recht oder Gerechtigkeit geht es in den meisten Texten nicht. Schirach erzählt, berichtet, erinnert sich, setzt Pointen, das Ungeheuerliche steht neben dem Banalen. Schirach belehrt nicht, fällt keine Urteile, das überlässt er den Leser*innen. Der Nachdenklichkeit kann ich mich nicht gänzlich entziehen, doch hat mich die Anhäufung von unterschiedlichen Texten kalt gelassen.

Aus der Aufführung von Schirachs Gerichtsdrama "Terror", in den Kammerspielen / Theater in der Josefstadt, 2018. © Theater i.d. Josefstadt / Erich ReismannAn manche Episoden in Jarmuschs Film erinnere ich mich noch gut, auch dort tritt reichlich Prominenz auf, persönlich sogar als Darsteller*innen, auch dort wird von der Vergangenheit gesprochen auch dort wirft der Tod (mit einem Zitat aus Mahlers Rückertliedern „Ich bin der Welt abhanden gekommen) seinen Schatten. Die Poesie und Herzenswärme, die der Film ausstrahlt, vermisse ich in dieser Textsammlung. Mit den genannten Romanen ist das neue Buch nicht gleichzusetzen, diese sind aufwühlend und bewegen Herz und Gehirn. Vermutlich wäre es klüger, den Band nicht wie einen Roman zu verschlingen, sondern sich die eine oder andere Notiz kurz vor dem Einschlafen als Remedium zu Gemüte zu führen.

Ferdinand von Schirach: „Kaffee und Zigaretten“, Luchterhand 2019. 190 S. € 20,60. Auch als e-Book und Hörbuch erhältlich.