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Amitava Kumar: „Am Beispiel der Affen“, Roman

Autor Amitava Kumar an der Arbeit. © A. Kumarma

Amitava Kumar, 1963 im indischen Ara geboren, lebt heute in Poughkeepsie, New York, und lehrt Englisch am Vassar College. Im Anglo-Amerikanischen Sprachraum ist der erfolgreiche Autor durch Kurzgeschichten, Essays, wissenschaftliche Publikationen und Sachbücher, aber auch durch seine journalistische Tätigkeit bekannt und geehrt. Jetzt ist erstmals eine seiner Veröffentlichungen, sein zweiter Roman, ins Deutsche übersetzt. „Am Beispiel der Affen“ sind die aus eigenen Erfahrungen geschöpften Erinnerungen eines fiktiven indischen Linguisten, der seine Studienjahre in den USA verbracht hat. 

Die  Skyline von Ara, wo Kumar geboren worden ist. © Swag Level High / public domainWo er geboren ist, fühlt er sich nicht mehr zu Hause, wo er nun seit seiner Studienzeit lebt, noch immer nicht. Als junger Student kommt Kailash nach Amerika, offiziell um zu studieren, inoffiziell aber, um endlich die körperliche Liebe zu erfahren. So berichtet er nicht nur von seinem Lehrer, dem verehrten Ehsaan Ali, der seine Student*innen bekocht und seine Seminare mit Rotwein tränkt, sondern auch von den jungen Frauen, in die er sich verliebt, mit denen, und nicht nur mit diesen, intensiven Sex pflegt.

Kumars Roman ist keine Autobiografie, der Erzähler ist ebenso erfunden wie seine Geliebten und der Lehrer Ehsaan. Nicht erfunden, sondern authentisch ist der Kern des Romans, das Unbehagen eines klugen Menschen, der zwischen zwei Kulturen leben muss. Das Unbehagen und das Gefühl der Heimatlosigkeit bleiben, auch wenn der Erzähler freiwillig, mit Sehnsucht nach dem Westen nach Amerika gekommen ist. An der Universität von Delhi hat der Autor 1968 seinen ersten Master gemacht. © www.du.ac.in

Diese Geschichte seiner ersten Jahre in Amerika und der ersten Lieben, die Kailash nach zwanzig Jahren niederschreibt, ist kein chronologisch erzählter, straffer Roman. Die Chronologie gehört den Frauen und Freunden, an die er sich vor allem erinnert Die sechs chronologisch geordneten Kapitel plus einem ausufernd erklärendem Anhang bestehen nicht nur aus den Erinnerungen des naiven jungen Inders, sie sind durchsetzt von Anekdoten, Lebensgeschichten toter Personen, Anekdoten, Reflexionen über Politik und Politiker, ergänzt durch Zeitungsausschnitte, Zeichnungen und Bilder. Manchmal fügt Kailash in seine Erzählung die Anrede „Euer Ehren …“ ein, also stünde er vor einem Richter.

 Emigrant –  Inspiration für den englischen Buchtitel. © www.waymarking.comDie Affen im Titel sind für Kailash die Wurzeln seiner ganz persönlichen Evolution, sie umgaben ihn in der Kindheit und sind für ihn „ebenfalls unbesungene Einwanderer“. In der Mitte des 20. Jahrhunderts belieferte Indien Amerika mit ungezählten Affen. Dort wurden vor allem die Rhesusaffen für wissenschaftliche Zwecke gebrauch. Indien brauchte, kurz nachdem das Land die Unabhängigkeit erlangt hatte, die Devisen. Allerdings ist „Am Beispiel der Affen“ der auch ein wenig spekulative deutsche Buch-Titel. Im englischen Original heißen Kailashs Bekenntnisse „Immigrant, Montana“. Einst waren die Rhesusaffen ein wichtiger Exportartikel für Indien.  Den jungen Affen ihat Anton Sackl im Primatenzentrum in Göttingen  fotografiert.© www.dpz.euDiesen Titel verdankt Kumar einem zufälligen Blick auf das Ortsschild von Emigrant im US-Staat Montana. Ich meine, auch wenn in Europa kaum jemand die Geschichte von Emigrant in Montana kennt, sagt dieser Titel mehr aus als „Am Beispiel der Affen“. Doch der Autor selbst serviert die Affen auf einem Silbertablett, indem er einen Artikel aus Harper’s Magazine vom Dezember 2010 zitiert. „„Rhesusmakaken, die normalerweise über kein Ich-Bewusstsein verfügen, betrachten im Anschluss an eine Gehirnoperation ihre Genitalien in einem Spiegel. Ähnliche Hinweise auf ein Ich-Bewusstsein beschränkten sich zuvor auf höhere Primaten, Delfine, Elstern und einen Elefanten namens Happy.“

Kumar mit dem Cover der Originalausgabe, Knopf 2018 © KnopfWie auch immer, vom Titel eines Romans, zumal eines übersetzten Romans, soll man sich weder täuschen noch verführen lassen, sondern wenigstens den ersten Absatz lesen (andere testen ein Buch, indem sie es in der Mitte aufschlagen), bevor man sich entscheidet. Lesen oder nicht lesen. Für Amitava Kumar habe ich mich schnell entschieden: „Ich war ein frischgebackener Immigrant, darauf versessen zu glänzen, und, wenn man die Selbstbefleckung außer Betracht lässt, rein an Leib und Seele.“ Cover der deuschen Ausgabe. © Carl Hanser Verlag Auch wenn Kailash von seinen Abenteuern in diversen Betten erzählt, bleibt er das: rein und keusch. Welche Kultur da die Oberhand gehabt hat, kann ich nicht sagen, jedenfalls gibt es auf keiner Seite einen Grund zum Rotwerden. Geschwitzt wird auch nicht.

„Am Beispiel der Affen“ handelt von Entwurzelung und Heimatlosigkeit, und ist dank des Autors leichtem, oft ironischem Stil doch ein überaus fröhlicher und abwechslungsreich zu lesendes Buch.

Amitava Kumar: „Am Beispiel der Affen“, Originaltitel: „Immigrant, Montana“, aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, Carl Hanser, 2019. 336 S. € 23.70.