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Marica Bodrožić: „Das Wasser unserer Träume“

Autorin Marica Bodrožić © Göttinger.tageblatt.de

In ihrem neuen Roman, „Das Wasser unserer Träume“, erzählt Maria Bodrožić von einem namenlosen Mann, der mit einem Locked-in-Syndrom im Bett liegt. Er kann sich an nichts erinnern, hat sich quasi selbst verloren, weiß weder wo er ist, noch wer er ist. Niemand in seiner Umgebung bemerkt, dass er in seinem Körper lebt, denkt, fühlt und träumt, nur nach außen dringt nichts.

Die Autorin nimmt in diesem Roman die Perspektive des Mannes ein und lässt ihn selbst berichten. Reden kann er nicht, aber er zieht die Leserin in seine Gedankenwelt, lässt sie teilnehmen an seiner inneren Landschaft, seinen Fantasien und Vorstellungen und an den Erinnerungen die allmählich zurückkehren. So erfahren die Leserinnen auch langsam, wer es ist, der ein Jahr lang kämpft, um ins Leben draußen, inmitten Anderer, zurückzukehren.

„Das Wasser unserer Träume“ ist der letzte Teil einer Trilogie, die Bodrožić mit „Das Gedächtnis der Libellen“ 2010 eröffnet und mit „Kirschholz und alte Gefühle“ 2012 fortgesetzt hat. Obwohl der letzte Teil, wie die beiden ersten auch, sehr gut für sich alleine stehen kann, wissen Leserinnen der ersten beiden Romane spätestens wenn sich der Mann an die heftige Liebesgeschichte mit Nadeshda erinnert, dass es Ilja ist, der sich weder an den schweren Unfall noch an seinen Namen erinnert. Buchcover: "Das Gedächtnis der Libellen"  © Luchterhand

Er lebt anfangs nur in seiner ausgedachten Welt, in der er Bilder sieht, sprechen hört und auch Berührungen spürt. Während seine Umgebung keine Ahnung von seinem reichen Innenleben hat, baut er ein ganzes Universum auf, in einer neuen Sprache, poetisch und voller ungewöhnlicher Bilder – „Wie Flügelwesen schweben die Buchstaben“. Immer häufiger steigen in dieser reichen Innenwelt Puzzleteile der Erinnerung auf, wild ungeordnet, durcheinander gewürfelt.

Buchumschlag "Kirschholz und alte Gefühle" © Luchterhand Nach einem Jahr ist das Puzzle fertig, Ilja kann das Bett verlassen und in die Welt außerhalb gehen. Geholfen hat ihm dabei seine Exfrau, die von weit her angereist ist, allein durch ihre Anwesenheit in seinem „Gedächtnis Türen öffnet“ und ihm aus Leo Tolstois Roman „Auferstehung“ vorliest. Auch sein Freund, der Liebhaber seiner Frau als beide, Ilja und Milena, noch versuchten ihre Ehe aufrecht zu erhalten, hat seinen Anteil an der Rückkehr Iljas. Er schreibt ihm Briefe, obwohl er weiß, dass Ilja sie nicht lesen kann. Das Personal bewahrt sie auf, im Herbst, knapp bevor er in die Welt hinausgeht, liest er sie.

Marica Bodrozic: Poetisches Potenzial © Peter von Felbert

Liebe und Freundschaft, Verzicht, die aktive Teilnahme an der Welt und die Kraft der Erinnerung sind die Themen die Marica Bodrožić in ihrer eigenen hochpoetischen, unaufhaltsam dahinfließenden Sprache anspricht. Freilich und so wie so ist es auch die Frage nach dem Sinn des Lebens, die die Autorin beschäftigt. Die Rückeroberung des Ichs und des Lebens ist eine schwierige und langwierige, auch schmerzhafte Angelegenheit. Ilja ist nicht bewusstlos, er lebt nach innen und seine Gedanken kreisen. Da sind Wiederholungen und Redundanzen unvermeidlich.
So sehr ich mich gefreut habe, in den Strom von Bodrožićs Poesie einzutauchen, so mühsam wird das Schwimmen mit der Zeit. Die Bilderflut wirkt überfordernd und sobald klar ist, dass Ilja wieder aus sich heraus kann, seine Sinne, sein Körper wieder gehorchen, lese ich nur noch aus Freude an der Autorin wundersamen Umgang mit der deutschen Sprache zu Ende.

Das aktuelle Buch: Umschlag. © Luchterhand Marica Bodrožić ist in Kroatien geboren und bis zu ihrem zehnten Lebensjahr bei ihrem Großvater aufgewachsen. Gesprochen hat sie wenig, erzählt sie, die serbische Sprache war ihr fremd. Doch sie hat Radio gehört, Filme angesehen und sich dabei in der deutschen Sprache heimelig gefühlt. 1983 holten sie die Eltern nach Deutschland. In der Schule lernte sie Deutsch, das sie heute als ihre zweite Muttersprache beschreibt. „Auf Serbisch konnte ich gar nicht schreiben, erst auf Deutsch habe ich zu schreiben begonnen.“ Nach einer beachtlichen Reihe von angesehenen deutschen Literaturpreisen erhielt Marica Bodrožić zuletzt den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung 2015, vor allem für den Roman „Mein weißer Frieden“ (2014). „Sprachformen, die wie Lichtwellen vibrieren“, zeigte sich der Laudator begeistert.

Marica Bodrožić: „Das Wasser unserer Träume“, Luchterhand, 2016. 223 S. € 22,70.
„Sterne erben, Sterne färben. Meine Ankunft in Wörtern“, btb 2016. 176 S. € 10,30.