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Icíar Bollaín: „July”, Tänzer wider Willen

Manuel Nuñez als fröhlicher und auch trotziger Yuli

Inspiriert von der Lebensgeschichte des weltbekannten Tänzers Carlos Acosta, hat die1968 in Spanien geborene Schauspielerin und Regisseurin Icíar Bollaín einen mitreißenden Film über die außergewöhnliche Karriere des Tänzers und seine Heimat Kuba gedreht. Den erwachsenen Tänzer spielt Carlos Acosta selbst, das Kinderich von „Yuli“ wird von dem damals zehnjährigen Edilson Manuel Olbera Nuñez verkörpert, ein Bub zum Abbusseln. Dagegen fällt KeyvinMartínez, der den jugendlichen Carlos spielt, deutlich ab.

Yuli weigert sich, am Training teilzunehmen. Alle Bidler aus dem Film © polyfilmBollaín und Drehbuchautor Paul Laverty erzählen die Geschichte auf zwei Ebenen, „Yuli“ ist einerseits ein großartiger Tanzfilm, der mit dem Breakdance der Straßenkinder in Havanna beginnt und mit John Crankos neoklassischem Ballett „Romeo und Julia“ endet. Auf der anderen Seite kann man den Film auch als biografischen Roman sehen, in dem Realität, Erinnerungen und Fiktion ineinanderfließen. Laverty hat sein Drehbuch vor allem nach der Lektüre von Acostas Autobiografie „Kein Weg zurück“ geschrieben. Gleichzeitig ist der Film auch eine Geschichte über Kuba und die sozialen Probleme.

Regisseurin Bollaín hat eine plastische Definition für ihren Film gefunden: „Die Geschichte kam mir vor wie eine Art Gegenentwurf zu Billy Elliot: Die Geschichte eines unglaublich talentierten Kindes, das aber gar nicht tanzen will.“ Doch Carlos Vater, Pedro, ein Lastwagenfahrer, befiehlt, dass er will, und wenn Yuli sich sträubt, wird er mit dem Gürtel geschlagen, bis die schreckerstarrte Familie eingreift. Pedro, beeindruckend verkörpert vom kubanischen Choreografen und ehemaligen Tänzer Santiago Alfonso, ist ein zwischen dem Ehrgeiz, seinen Sohn als berühmten Tänzer zu sehen, und der Liebe zu ihm, zerrissener Mann. Gleich nach der Geburt hat er „Yuli, Sohn des Ogún“ genannt, Ogún ist ein Heiliger in der vom Vater mit Inbrunst ausgeübten kubanischen Santería-Religion, Schutzpatron der Krieger. Und Yuli, sagt der Vater, ist auch ein Krieger, er muss kämpfen und sich durchsetzen. Noch weiß Yuli nicht, dass er einst der erste schwarze Romeo am Royal Opera House sein wird.

Das aufmüpfige Kind wehrt sich, verweigert die lange Busfahrt in die Schule, obwohl es dort Essen gäbe, liegt lieber rücklings im See und träumt davon, Fußballstar zu werden. Doch auch die Tanzmeisterinnen erkennen Yulis Talent, besonders die Tanzlehrerin Chery Romana de Sáa, dargestellt von Laura de la Luz, versucht Yuli mit geduldiger Strenge klar zu machen, dass er sein Talent nicht verschwenden darf.

In einem Film über einen großen Künstler / eine Künstlerin interessiert im Grunde die Kunst mehr als das Leben. Also will Carlos Acosta tanzt auch mit 45 noch, doch vom klassischen Ballett hat er sich verabschiedet. auch ich Acosta lieber tanzen sehen, als seinen Aufstieg aus dem Armenviertel Havannas, samt den angedeuteten sozialen Problemen innerhalb der Familie – die Mutter ist spanienstämmig, also eine Weiße, der Vater, Abkömmling von Sklaven – sehen. Was Carlos, Yuri, Acosta so außergewöhnlich macht, ist nicht das Märchen vom Aufstieg des armen vom Vater mit Härte behandelten Buben von der Straße zum verehrten Solotänzer im Royal Ballet, sondern das Erlebnis, diesen Körper in Bewegung zu sehen. Der Film erzählt nicht, ob Carlos Acosta irgendwann glücklich gewesen ist, sein Leben in London (17 Jahre tanzte er als Star des Royal Ballet), der Applaus und die Bewunderung der Fans haben ihm nichts bedeutet, er sehnt sich nach der Heimat und der der Familie. „Ich glaube, ich bin der einzige Kubaner, der zurück will, alle anderen wollen nur weg.“ Keyvin Martinez spielt und tanzt als junger Carlos "Yuli" Acosta.

Icíar Bollaín zeigt Acosta nicht in Glanz und Gloria bei Vorstellungen, wenn trainiert und probiert wird, sitzt kein Publikum in den Reihen, keine Bravorufe ertönen. Am Beginn des Films blättert Carlos Acosta in einem Album und gibt sich seinen Erinnerungen hin. Verbunden werden diese ungeordneten Erinnerungen an die Kindheit und das ungeliebte Tanztraining durch Ballettszenen, vor allem aus „La Bajadere“ und „Le Corsaire“. Und schließlich ein Archivausschnitt mit Carlos Acosta selbst als „der erste schwarze“ Romeo in Crankos Ballett. Sehr fein hat Alberto Iglesias seine Originalkomposition mit der Ballettmusik verbunden, wie auch der gesamte Film optisch überaus tänzerisch geschnitten Der Sohn (Keyvin Martínez) im Clinch mit dem Vater (Santiago Alfonso). ist. Alltagsszenen gehen im Rhythmus in Tanz über und umgekehrt. Manchmal bewundert der kleine Yuri dem großen Carlos auf der Bühne, oder der 1973 geborenen, erfolgreichen Carlos, sieht Kind Yuri beim Training zu. So ist der Film ein etwas glatt poliertes Märchen, an dem die gesamte Familie ihre Freude haben wird, abwechslungsreich, trotz der leidvollen Jugend von Yuri, unterhaltsam.

Für die Tanzszenen des kleinen Yuli ist Mario Sergio Elias zu sehen, wie auch Keyvin Martinez Kurzes Abgleiten in den Kitsch: Yuli ( Mario Sergio Elias) tanzt selbstvergessen im Regen. ( und die Tanzschüler*innen ein Mitglied von Acosta Danza, der Compagnie mit der sich Acosta nach Beendigung seiner Karriere als klassischer Tänzer 2015 seinen Traum erfüllt hat: In Havanna eine Compagnie zu etablieren, um „dem endlosen Reichtum der kubanischen Kultur Tribut zu zollen“. Nach nur einem Jahr hat er die Tänzer*innen ausgewählt und hat mit dem Sadler’s Wells Theatre als Produzenten bereits die ersten Erfolge zu Hause und in Europa gefeiert. Doch von dieser zweiten Karriere von Carlos Acosta weiß das Drehbuch nocht nichts.

Icíar Bollaín: „Yuly”, Regie: Icíar Bollaín, Drehbuch: Paul Laverty, Choreografie: María Rovira, Musik: Alberto Iglesias, Kamera: Álex Catalán. Mit Carlos Acosta, Edilson Manuel Olbera Nuñez, Keyvin Martínez, Santiago Alfonso, Laura de la Luz, den Tänzer*innen von Acosta Danza und anderen. Verleih: polyfilm.
Ab 15. Februar 2019 österreichweit im Kino.
Carlos Acosta: „Kein Weg zurück. Die Geschichte eines kubanischen Tänzers“, Schott Music 2008, 368 S. € 25,70. Zurzeit nur auf Englisch erhältlich: „No Way Out. A Cuban Dancer’s Story“.