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Matt Bissonnette: „Death of a Ladies’ Man”

Mit Frankensteins Monster am Kaffeetisch. (Gabriel Byrne und Michael Hearn)

Die Geschichte ist nicht neu: Ein alternder Frauenheld und engagierter Trinker blickt auf sein Leben zurück und bereut seine Fehler und Sünden. Doch was der kanadische Regisseur in „Death of a Ladies‘ Man“ erzählt, ist mehr als Gejammer eines einsamen Mannes über sein verpatztes Leben. Schon der Filmtitel, zugleich der Titel eines Albums des kanadischen Poeten und Sängers Leonard Cohen, verrät, dass es auch um Bissonnettes verehrten Landsmann geht. Gemeinsam mit dem irischen Darsteller Gabriel Byrne in der Hauptrolle hat Bisonnette mit Witz und Fantasie einen charmanten Film gedreht, der, tragisch und komisch, skurril und immer von neuem überraschend, von der Musik zusammengehalten wird.

Die letzte Liebe begegnet Samuel O'Shea in Irland. (Gabriel Byrne, Jessica Paré)Schon mit seinem Filmdebüt, „Looking vor Leonard“, hat Bissonnette Cohen gefeiert, doch „Tod eines Frauenhelden“ erzählt nicht direkt von Cohen, sondern baut dessen Songs in die Geschichte von Samuel O’Shea – aha, Samuel ist gebürtiger Ire – ein, einem Uniprofessor für kanadische Literatur, der nicht nur von allen Frauen, Freunden und seinen beiden Kindern verlassen worden ist, sondern auch von allen guten Geistern. Samuel hat Halluzinationen, meint anfangs Frankensteins Monster und die Frau mit dem Tigerkopf zu sehen, applaudiert den  tanzenden Eishockeyspieler und staunt über die mitten in der Vorlesung mit einem Cohen Song und Konfetti Silvester feiernde Student:innen.  Schließlich genießt er auch den Besuch seines früh verstorbenen Vaters als Ausgeburten seines vom Alkohol vernebelten Gehirns. Doch die erschreckende Tatsache ist, dass die reale Bedrohung sein naher Tod ist. Es ist ein irreparabler Gehirntumor, der diese poetischen, surrealen Bilder hervorruft.Der Rentierkopf warnt Samuel: Lass die Finger von Charlotte. Er schickt ihn zurück an den Absender.
Nach dem Schock zu Beginn des Film, als Samuel, der überraschend nach Hause kommt, um seine vergessene Geldbörse zu holen, seine junge Ehefrau im Bett mit einem anderen findet, trifft er seinen Sohn Layton (Antoine-Olivier Pilon), einen begeisterten Hockeyspieler im Café, der ihm gesteht: „Ich bin vielleicht verliebt, aber ganz sicher schwul.“ Samuel sitzt in der Arena und hört die Sängerin ein Lied von Cohen („Bird on a wire“) trällern und sieht, wie die Hockeyspieler in einer ausgeklügelten, großartigen Choreografie Pirouetten drehen und über das Eis fliegen. Schon im ersten Drittel des in drei Etappen geteilten Films ein unvergesslicher optischer Höhepunkt.
Der Kaffee wird von einer Kellnerin im Bikin mit Tigerkopf serviert. Bissonnette löst die Halluzinationen Samuels nie ganz auf, die Grenzen zwischen real Erlebten und bloß Halluziniertem sind durchlässig, als Zuschauerin gerät man selbst in einem Traum. Dabei geht europäischen Filmfans so manche von Bissonnette eingezogene Ebene verloren: Selbstbewusst sein Nationalstolz der Kanadier, die sich immer wieder von den USA absetzen müssen, die Probleme irischer Einwanderer, die ihre Wurzeln nicht vernachlässigen wollen. Nicht grundlos ist der Film eine irisch-kanadische Koproduktion, in beiden Ländern (in Kanada rund um Montreal) gedreht. Samuel, der immer wieder seinem Vater begegnet, was zu komischen Szenen führt. Denn Samuel war erst 11 Jahre alt, als sein Vater starb. Jetzt ist er 65, also ist der Geist des Vaters (Brian Gleeson) jünger als der Sohn. Das sorgt immer wieder für Verwirrung. Der Musikumzug in Sibirien, auch nur ein Film, den der Gehirntumor abspielt. Es ist der Vater, der ihn schließlich nach Irland zurück schickt, wo eine abgelegene Hütte für ihn bereitsteht. Und auch die letzte Liebe. Samuel beschließt sich seinen Wunschtraum, selbst einen Roman zu schreiben, zu erfüllen, besiegt seine Schreibblockade und lernt im einzigen Laden des Dorfes Charlotte kennen. Die ihn nicht nur durch ihren kanadischen Akzent bezaubert. Ihrer kranken Mutter zuliebe ist sie in deren alte Heimat zurückgekehrt. Trotz des Altersunterschieds scheint auch Charlotte (Jessica Paré) verliebt zu sein. Regisseur Matt Bissonnette ehrt seinen Landsmann Leonard Cohen. Sie lädt Samuel zu einem Abendessen mit ihrer Mutter, ein die sofort meint, er wäre doch eher der passende Partner für sie selbst. Der Tod, gegen Ende gibt er sich mit Kapuze und Sense zu erkennen, ist gnädig, er wartet, bis alle Träume zerplatzt sind und der Roman gedruckt ist.
Und ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll, jedenfalls bleiben geniale Bilder und eine Menge zum Nachdenken übrig, während ich zu Hause eine CD von Leonard Cohen auflege.

„Death of a Ladies’ Man“, Regie: Matt Bissonnette; Drehbuch: Bissonnette, Bobby Theodore. Mit Gabriel Byrne, Suzanne Clément, Jessica Paré, Brian Gleeson, Antoine-Olivier Pilon, Karelle Tremblay, Joel Bissonnette, Pascale Bussières und anderen. Verleih: Polyfilm. Ab 13.8.2021 in den Kinos.
Filmstills: © polyfilm