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"Friedrich Kiesler. Lebenswelten" im MAK

Bühnenbildmodell „Im Dunkel“ – Raumbühne (Rekonstruktion) Entwurf: Friedrich Kiesler, New York, 1924 Rekonstruktion: 1987, Theatermuseum, Wien ©

Ein Visionär und Utopist, ein Universalkünstler und Vorausdenker war der 1890 in Czernowitz / Österreich-Ungarn geborene Architekt Friedrich Kiesler. Nach drei, Teilaspekte in Kieslers Werk beleuchtenden Ausstellungen in Wien (Museum des 20. Jahrhunderts, 1988; Historisches Museum der Stadt Wien/ Wien Museum, 1997; Theatermuseum, 2013), zeigt nun das MAK eine alle Aspekte in Kieslers vielfältigre Arbeit und sein grenzüberschreitendes Denken zusammenfassende Ausstellung mit demauch den Menschen Kiesler berücksichtigenden Titel „Lebenswelten“

Es ist die größte Gesamtschau, die jemals gezeigt worden ist. Klar strukturiert und leicht zugänglich, erfasst die Ausstellung mit zum Teil noch nie gezeigten Objekten, die vor allem aus den umfangreichen Beständen der Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung stammen, den gesamten weiten Bogen von Kieslers Schaffen. Der Gang durch die die große, in thematische Bereiche gut gegliederte Ausstellungshalle braucht Zeit, so reich ist Kieslers Werk. Von den Architekturvisionen über Kunstprojekte, Medienkonzepten und seinen Ideen für ein neues Theater bis zur Ausstellungsgestaltung, Möbeldesign, Geschäftsgestaltung sowie Plakat- und Buchdesign. Kiesler sprudelte über vor Ideen und lässt die Besucherinnen staunen, wie heutig sein Denken war. Die zahlreichen (nachgebauten) Raumskulpturen und Modelle Kieslers geben einen plastischen Eindruck von Kieslers Ideenreichtum. Im Zentrum steht Kieslers „Raumstadt“. Friedrich Kiesler, Modell für ein Endless House, New York, 1959, © 2016 Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien; Foto: Lena Deinhardstein

„Genug der Projekte. Wir brauchen Wirklichkeiten.“ Eine Abteilung ist Kieslers Beschäftigung mit dem Theater gewidmet. In seiner „Raumbühne“, bereits 1924 entwickelt, möchte er die Trennung von Zuschauer_innen und Darsteller_innen aufheben, wie er überhaupt, immer ganzheitlich denkend, auch die Kunst in das Leben integrieren wollte. In einem gemeinsamen „Lebensraum“ sollten Mensch und Kunstwerk interagieren. Fotografien dokumentieren wie die „Raumbühne“ in der Praxis ausgesehen hat. Waren es anfangs die Architekten, die sich auf Kiesler bezogen, so haben längst auch zeitgenössische darstellende Künstler_innen ihren Kiesler entdeckt.

Ausstellungsansicht:  Friedrich Kiesler, Art of This Century, 1:3 Rekonstruktionsmodell der Surrealist Gallery, 1989. Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien. MAK-Ausstellungshalle © MAK/Georg Mayer„Die Kulisse explodiert.“ Einer der ersten Künstler, der sich mit Kieslers Visionen künstlerisch auseinander gesetzt hat, ist der Tänzer und Choreograf Sebastian Prantl. 1997/98 schuf er mit der Choreografie „Raumbühne“ eine vierfache Hommage an Friedrich Kiesler. Als Ausgangspunkt wählte Prantl Kieslers These: „Raum wird erfahrbar durch die Zeit, die sich, durch Bewegung in Raum umsetzt.“ Kiesler hat nicht nur entworfen, gemalt, geformt, sondern seine Ideen und Gedanken auch immer wieder mit Esprit in Worte gefasst: „Die Bühne ist keine Kiste mit einem Vorhang als Deckel, in die Panoramen eingeschachtelt werden. Die Bühne ist ein elastischer Raum. Wenn die Bühne aufgehört haben wird, Bild zu sein kann das Spiel Organismus werden. Dann erfolgt die scheinbar unlösbare Lösung einer planmäßigen Zusammenarbeit Mensch-Gegenstand von selbst.“ Es zahlt sich aus, die Texte Kieslers genau zu lesen, viele seiner „Thesen“ und „Gesetze“, werden heute angewendet oder sollten es zumindest.

Ob das folgende Zitat in der Ausstellung dokumentiert ist, weiß ich nicht, es stammt aus dem Text „Eintritt 75 Cent“, Berlin 1926 und ich liebe es:

… Wir arbeiten nicht für das neue Theater.
Wir arbeiten für Theater, die das Theater überlebt haben.
Wir arbeiten für den gesunden Körper einer neuen Gesellschaft und wir haben
Vertrauen in die Stärke neuer Generationen, die sich ihrer Probleme bewusst sind.
]Das Theater ist tot.
Wir möchten ihm ein großartiges Begräbnis geben   Friedrich Kiesler © Buchillustsration, Brandstätter,  Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien;  2012

Diese neue Generation ist in der Ausstellung ebenfalls präsent: Sechs Künstler_innen sind eingeladen, ihre Antworten auf Kieslers Gedankenwelt zu finden. Im Verlauf der Wanderung durch die Ausstellung begegnet man den unterschiedlichen Repliken von Leonor Antunes, Céline Condorelli, Verena Dengler, Lili Reynaud-Dewar, Apolonija Šušteršič und Rirkrit Tiravanija zeigen

„Friedrich Kiesler. Lebenswelten“, Museum für angewandte Kunst / MAK, bis 2. Oktober 2016, Mittwoch bis Sonntag 10–18 Uhr, Dienstag von  bis 22 Uhr,ab 18 Uhr  freier Eintritt.
Ein reichhaltiges Rahmenprogramm mit Führungen, Podiumsdiskussionen, Vorträgen und einem Kinder- und Familienprogramm erlauben eine intensive Auseinandersetzung mit der Schau.
So umfangreich wie die Kieslers Lebenswelten ist auch das Katalogbuch:
Friedrich Kiesler. Lebenswelten, herausgegeben von Christoph Thun-Hohenstein, Dieter Bogner, Maria Lind und Bärbel Vischer. Deutsch / Englisch, 224 S., MAK Wien / Birkhäuser, 2016. € 39,95.