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Fanni Futterknecht: „We will not let you go“

Das Ensemble demonstriert Wörter. © TimTom

Fanni Futterknechts aktuelle Performance We will not let you go hatte am 21. November im großen Projektraum der Wiener Nordbahnhalle Premiere. Gemeinsam mit sechs Choreograf*innen und Performer*innen erzeugt die Medien- und Performancekünstlerin darin tableauartige Situationen und performative Bildmomente, die sich mit Machtstrukturen, Gruppenhierarchien und ideologischen Manipulationen befassen.

We will not let you go ist die konsequente Weiterführung von Futterknechts letzter Arbeit Voices of conrete (2016). Die Koproduktion zwischen der international tätigen bildenden Künstlerin und brut, deren Uraufführung im Rahmen der diesjährigen Vienna Art Week stattfand, wurde speziell für den Projektraum der Wiener Nordbahnhalle konzipiert, die verwendeten Styroporplatten aufgrund ihrer Leichtigkeit und Tonlosigkeit als das die Performance dominierende Material gewählt. Futterknecht geht es dabei weniger um die reine Materialität des Kunststoffes selbst als um dessen performatives Potenzial. Ihr Konzept löst sich in der knapp 80-minütigen fast durchwegs in absoluter Stille stattfindenden Performance intelligent und überraschungsreich ein.

„Wir" sind noch keine Gemeinschaft.

Ein leerer Saal, der „große Projektraum“ der Wiener Nordbahnhalle.
In der einen Hälfte des Saales provisorische „Bestuhlung“ mit zusammengestellten Podien. Die andere Hälfte ist leer, an den Wänden lehnen „Bilderrahmen“ in unterschiedlichen pastelligen Farbtönen, hellgrau, hellblau, rosa, da und dort ein dunkles Grau. Die auf den ersten Blick leeren Bildtafeln werden sich später als aus Styropor gefertigte Medien für unterschiedliche „Sprechakte“ herausstellen, deren Produktion und Dekonstruktion im Zentrum der zugleich (das „eigentliche“ Sprechen) „tonlosen“ und doch wortstarken, von Manifestationen, schein- und unscheinbaren Dialogen, Demonstrationen und (im Wortsinne) „choreo-grafischen“ Textproduktionen reichen Performance stehen. Für den Moment ist diese Bühne, dieser halbe Raum einer noch undefinierten Gemeinschaft, die im Laufe des Abends mehr und mehr als solche angesprochen wird, aber noch leer.

„I scream at you“ in völliger Stille.
Die sechs hervorragenden Performer*innen und Choreograf*innen des Abends ‒ Lau Lukkarila, Sara Lanner, Eva-Maria Schaller, Mads Floor Andersen, Lina Venegas, Marcus Fassl ‒ kommen langsam von hinten in den Raum und platzieren sich an unterschiedlichen Positionen an den Rändern jenes Saalteiles, den sie in Kürze zur Bühne ihrer sprachtänzerischen „tableaux vivants“ machen werden. Lau Lukkarila, Sara Lanner, zwei von sechs hervorragenden Tänzerinnen. © Fanni Futterknecht.Das erste Paket aus Styropor wird in den Raum getragen. Oft sind es nur einzelne, meist sind es mehrere hinter- und übereinander gelegte gleichgroße Platten, von denen manchmal nur eine, manchmal mehrere hintereinander vor „uns“ aufgedeckt werden. Immer dieselbe Abfolge: das Nehmen einer der an den Wänden lehnenden Platten, der Weg in den sich langsam mit Worten, Texten, später nur noch Zeichenfragmenten, Linien, „Kritzeleien“ füllenden Raum, der Dialog zwischen Performer*innen, Platten und Texten – und „uns“. „I am“, steht auf der ersten Platte, die eine trägt. „Here“, steht auf der nächsten Platte, die eine andere trägt. „Ich bin hier.“ „Ich“, das ist nicht die Person, die diese Platte trägt, „Ich“, das ist ein Wort auf einer Platte aus Styropor. Eine Behauptung, die sich so schnell wieder auflöst, wie die/der Performer*in dieses Worte und dessen "Trägerin", die Platte aus amorphen Polystyrol, im wahrsten Sinne von sich gibt, auf dem Boden ablegt oder auch aufstellt und im Raum stehen lässt. Ein Aneignen, Behaupten und Abstoßen. Beziehungen entstehen, die so schweigsam sind wie der Dialog, der langsam, Träger um Trägerin, Platte um Platte und Text um Text entsteht. „Ich bin“. „Hier.“ „Das bin ich.“ „Das bin Ich.“ „Ich.“ „Hier.“ „Ich.“ Immer komplexer werden die „(Selbst-)Behauptungen“, die doch so wenig mit einem Selbst zu tun haben.

Das „Ich“, der Text und das Bild.
Dass sich die Sprache vom Subjekt, dem vielgestaltigen, dysfunktional gewordenen, das sich selbst so wenig mehr findet wie etwas, das nach Sinn in dieser Welt aussieht, dass sich diese Sprache als reines Zeichenwesen auf Leichtkunststoffplatten, die man nehmen, emporheben, zeigen und wieder ablegen kann, zu erkennen gibt, ist freilich nichts Neues. Dennoch gelingt der Installations- und Medienkünstlerin Fanni Futterknecht mit der von ihr konzipierten Performance-Installation zwischen choreografierter Zeichen- und sprachlos gewordener sozialer Kommunikationswelt eine überraschende, hoch konzentrierte Versuchsanordnung. Die mehr und mehr werdenden Platten-Worte werden zu Texten, die man* auf immer mehr Weisen zu lesen und dechiffrieren beginnt,Mads Floor Andersen hält mit Marcus Fassl die Sätze hoch. Im Hintergrund:  Sara Lanner, Lina Venegas, Eva-Maria Schaller, Lau Lukkarila  © TimTom in dem sich einzelne auf den (von den Darsteller*innen getragenen) Platten im Raum bewegende Worte und Phrasen wie „Ich“, „m/ich“, „bin“ mit Begriffen wie „a lover“, „an adult“, „client“, „a local“, „witness“, „victim“ zu etwas wie Bedeutungen, vielleicht sogar zu so etwas wie Individuen, Geschichten oder gar Beziehungen verdichten. Immer deutlicher wird dabei aber auch, wie wenig diese Worte, die sich in ihren Subjekt-, Seins- und Zustandsbeschreibungen als reine Schriftzeichen verraten, etwas über ihre Träger*innen erzählen. Und weniger noch über ein Verhältnis zwischen ihnen und „uns“, dem Publikum.

„Schau mich an.“
Das Verhältnis zwischen einem „Ich“ und einem „Du“, einem „Wir“ und einem „Ihr“ wird dann auch im Verlauf der Performance zu dessen inhaltlichem Zentrum. Langsam formiert sich so etwas wie eine Gruppe. „We are here“, steht auf einer Platte, dann auf noch einer, zuletzt tragen alle sechs eine Platte mit dem Satz „We are here“. Wir sind da, wir sind viele, wir sind in der Überzahl, wir sind überall, lesen wir. Wir lesen es, auch wenn wir es nicht sehen. Wir sehen Texte, die uns etwas von einer gesellschaftlichen Realität erzählen, die, das macht diese Performance auf so unaufdringlich stille wie bilderstarke Weise deutlich, eben nicht ist. Da können sich die Tafeln mit einem „Ich“ und einem „Wir“ noch eine Endlosigkeit lang vor uns „entblößen“, wie es an einer Stelle „im Text“ heißt: „I am“ ‒ „exposed“, „I am“ ‒ „obvious“. Ich bin offensichtlich. Und an anderer Stelle: „Ich bin immer noch nicht genug.“ „Wir sind immer noch nicht genug.“

Alle sechs Mitwirkenden tragen eine Platte mit der gleichen Schrift: "We are manx" / "Wir sind viele". © Fanni Futterknecht.Während sich in manchen Momenten der Performance auch auf der Soundebene die Phrasen, Stimmen und Atemzüge zu einer Komposition (Live-Musik: Peter Kutin, Moritz Nahold) zwischen Murmeln, Schreien, Hauchen und einzelnen Buchstaben verbinden, formieren und lösen sich auf der Bühne die Performer*innen zu Gruppen, dann wieder zu stummen Dialogpartner*innen und sprachlosen Kampfmaschinen, die in einem nahezu poetischen Duell ihr Da-Sein („I am here.“ „I continue to be here.“) und Nicht-Sein („I can’t see you.“) gegeneinander richten.

Hier findet kein Dialog statt.
Vor allem in den Gruppensequenzen, die sich „an medialen Bildern von Protesten und Demonstrationen orientieren“, wie es im Programm zur Aufführungsserie des brut heißt, wird die Macht nicht realer Behauptungen in ihrer Absurdität und Gefährlichkeit deutlich. Da stehen die, die „bestimmen“, die Aktionen setzen und damit Realitäten schaffen: „We determine the action.“ „We dictate.“ „Wir sind in der Überzahl“, tragen die sechs Darsteller*innen ihre Macht auf der Leichtbauplatten vor sich her. Hier wird noch einmal die politische Dimension der Performance deutlich, wenn sie von der Manipulation jeder/s einzelnen mit fast erschreckender Leichtigkeit in jene der Massen überleitet, ohne die innere Logik einer im Grunde bezuglosen Beziehungsarbeit zwischen Wort, Satz und Bedeutung und deren „Träger*innen“ ‒ hier sind sie es ganz explizit ‒ je zu verlieren. Wie schnell aus dem Ich ein Wir, aus dem Opfer oder der Zeugin ein/e Täter*in wird, wird hier mit beeindruckender Präzision vor unseren Augen dekliniert.
Es gibt keine Dialoge, keine Schreie, keine Wahrheiten. Und doch sind sie den ganzen Abend über präsent. Selbst in der über weite Strecken dominierenden Stille hört man die Worte, als würden sie gesprochen, blicken die Performer*innen konsequent mit jeder Tafel, jedem Buchstaben und jedem Wort in „unsere“ Augen. Schweifen über das Publikum hinweg, setzen sich mit ihren Blicken fest, während sie die zarten Tafeln von existenzieller Schwere Stück für Stück aufheben, tragen, drehen, zeigen, abstellen oder wieder aufnehmen. „We scream at you“, heißt es an einer Stelle der Performance. „Wir schreien und toben.“ Wir hören es. Ein Tanz der Oberflächen, der unter die Haut geht."Wr sind Merhheit" - nur ein paar Buchstaben auf einer Platte. © Fanni Futterknecht

Beunruhigend schöne Landschaft.
Gegen Ende hin beginnt sich all das Gezeigte und damit auch Gesagte langsam aufzulösen. Der Font wird zarter, die Buchstaben beginnen zu zerfließen, bis zuletzt nur noch „Kritzeleien“ auf den Platten stehen. Doch diese „wilden Zeichen“ sind so wenig bedeutungslos wie die Worte davor. Oder die Worte davor so wenig aussagend wie die Striche, die sich nun auf den Platten jeder Lesbarkeit zu entziehen versuchen. So ganz gelingt selbst ihnen das nicht, da sieht man doch einen Baum, hier einen Vogel, da ein spielendes Kind in der Wiese, so fern und leise wie der unhörbare schrille Schrei nur wenige Tafel-Bilder zuvor. „Wir“ sehen diese Bilder in der Wildheit der Zeichen ebenso, wie wir die Sätze zuvor mit den uns eigenen Logiken einer Interpretation von Seins-, Bedeutungs- und Aktionswelt(en) generiert haben.
Am Ende ist der zu Beginn leere Raum eine Landschaft aus liegenden und stehenden Platten, auf denen sich Worte, Bilder, Sätze und Zeichen verlaufen haben, eine Landschaft ohne eigene Logik, über die „wir“ noch unsere Blicke schweifen lassen, während die Performer*innen stehen bleiben und zur Ruhe kommen: das große Tableau einer Welt der unendlichen Bedeutungen, in der jede/r einzelne von uns mit der Art, wie wir den Blick schweifen lassen, eine eigene Erzählung zu erschaffen vermag. Beruhigend? Das wird nicht beantwortet.

Fanni Futterknecht: „We will not let you go“, Uraufführung,
Künstlerische Leitung, Installation, Text: Fanni Futterknecht; Choreografie, Performance: Lau Lukkarila, Sara Lanner, Eva-Maria Schaller, Mads Floor Andersen, Lina Venegas, Marcus Fassl; Musik/Komposition: Peter Kutin, Moritz Nahold; Licht: Lucas Gruber; dramaturgische Assistenz: Costas Kekis; Assistenz Installation: Eva Müller, Edith Payer, Radostina Kostadinova, Marija Ostojic. Premiere: 21. November 2018, Nordbahnhalle, brut / Vienna Art Week; Wiederholungen: 23. und 24. November 2018.