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Die Rabtaldirndln: Böse Frauen“, brut

Roda Degen-Faschinger, Barbara Calri, Gudrun Maier. © Nikola Milatovic

Die neue Produktion der Rabtaldirndln, die ihre Premiere am 12. Dezember im studio brut hatte, beginnt mit einem Ende: Auf drei nebeneinander projizierten Videoeinspielungen sieht man „Sonja“ (Rosa Degen-Faschinger), „Renate“ (Barbara Carli) und „Marianna“ (Gudrun Maier) ihre letzten Wünsche, Anweisungen und Verbote formulieren. Sie liegen im Sterben und wollen sich mehr oder minder gut aus dem Leben verabschieden.

Die eine will so rasch wie möglich einen Abgang machen, die andere unbedingt warten, bis sich alle Rabtaldirndl noch einmal eingefunden haben. Beten ist verboten, erlaubt wird das „Rezitieren der Kronen-Zeitungsberichte über die Lainzer Mordschwestern“.

Rosa Degen Fascinger auf dem Hoverboard, Gdrun Mair, Barbara Carli auf dem Tippeich.© ChristineMiessDann rollen sie auch schon live auf die Bühne, die grau gewordenen Rabtalerinnen: graue Strickbekleidung, graue Haare, graue Haut. Nur die „Rollatoren“, die bei diesem Auftritt – und dem Rest der knapp 80-minütigen Performance – eigentlich Hoverboards sind, sind bunt. Das ist dann auch schon fast das einzig Farbenreiche an diesem Abend, der sich zwischen grauen Phantasien und dunklen Anbetungen der vergessenen (und seit einigen Jahren mit neuen Namen wieder unter uns weilenden) österreichischen weiblichen Ikonen des Bösen bewegt und dabei thematisch wie inszenatorisch kaum vom Fleck kommt.

Singen auf der Endstation

Sie waren grausam. Sie waren zynisch. Sie waren mörderisch. Sie waren böse: die „Todesengel von Lainz“, vier Frauen zwischen Mitte 40 und Anfang 20, die in den 1980er-Jahren im Wiener Pflegeheim Lainz mit ihren „Mundpflege“- und sonstigen geriatrischen Betreuungsmethoden bis zu 200 Menschen, die in der Obhut der „öffentlichen Versorgung“ der Stadt Wien standen, in den Tod schickten. Zitate aus der Kronenzeitung (Degen-Faschinger). © ChristineMiessDie Mitglieder dieser weiblichen Mordkombo des 1989 aufgedeckten heimischen Pflegeskandals wurden zu wahren Stars der österreichische Medienlandschaft. Krone & Co. sulten sich über Woche in den Wogen des Todestrakt-Voyeurismus, und der Spiegel fragte am 17. April 1989 danach, ob die Mordserie der Wiener Hilfsschwestern ein „Symptom für den wachsenden Altenhass in der modernen Gesellschaft?“ wäre. Eine Frage, die in Zeiten von „jung sein ist (mehr als) genug“ fast schon wieder aktuell erscheint. Eine Frage auch, die unter anderen in der aktuellen Produktion "Böse Frauen"des in Graz (oder eigentlich im fiktiven steirischen Rabtal) beheimateten fünfköpfigen weiblichen Theaterkollektivs Die Rabtaldirndln gestellt werden kann. Hier geht es um Alter(n), Sterben und die Freiheit zur Selbstbestimmung bis in den Tod. Um liebe- und qualvolle Ganzkörperbetreuung mit und ohne Todesfolgen. Und darum, wann eigentlich gut zu böse wird und dass sich die Grenzen eben doch immer schneller verschieben, als man* es zu ahnen glaubt. Es ist eine Gratwanderung, eine tödliche Fahrt in Höchstgeschwindigkeit. Noch ein letzter Löffel Suppe, noch ein letztes Schluckerl Wein, noch eine letzte – Zahnhygiene. Nur den Mund ein bisserl öffnen, und schon ist man alle Sorgen los ...

Lieder und Tänze für das überforderte Pflegepersonal

„Böse Frauen" kreist konsequent um die Themen Auflösung, um Wiederholung, Unter- und „Überbetreuung“ und den Verlust von Selbstbestimmung und Selbstwertschätzung. Machtlosigkeit versus Lust an der Macht (Degen-Faschinger) © ChristineMiessUm die Lust an der Macht und Machtlosigkeit. Um automatisiertes Pflegepersonal und Freitodhilfe. Mit rollendem „R“ wird auf den flotten Gefährten geklagt, gefaucht und gestorben, eine „Schmerzenschoreografie“ findet sich ebenso wie eine „Pflegedienstchoreografie“. Es wird auch autobiografisch, etwa wenn an den früh verstorbenen, heiß verehrten Religionslehrer gedacht wird oder an die Opferbereitschaft der dauerpflegenden Mutter, die nun, wenige Jahre, bevor sie selbst als Pflegefall in die Tiefen des Medizinbettes hinabsinkt, nichts mehr zu tun hat, weil alle schon gestorben sind, deren letzte Wege sie begleitet hat.
Meistnes ist es irgendwie lustig (DegenFaschinger, Carli, Maier).Es wird fake uriniert und fast richtig gewickelt. Und meistens ist es irgendwie überdreht und lustig. Aber eben nur irgendwie. Und nie ganz. Es fehlt an dramaturgischer Verve, um die hingeworfenen „brachialfeministischen“ Witze und Pointen zu so etwas wie einem Spannungsbogen zu verbinden und die Aneinanderreihung mal klügerer, mal zynischerer, mal kraftvollerer, mal stillerer Momente zu einem wirklich starken Abend werden zu lassen. „Es gibt jeden Tag das Gleiche“, heißt es gleich zu Beginn, wenn die drei Todesengel in Grau, von denen man nie weiß, ob sie gerade Oper oder Täterinnen sind, auf die Bühne rollen. Und kurz darauf: „Mir ist fad.“ So ganz kann man sich dieser Selbstanalyse auch am Ende der Vorstellung nicht entziehen.

Die Rabtaldirndln: „Böse Frauen“; Konzept & Umsetzung: Die Rabtaldirndln und Ed. Hauswirth; Regie Ed. Hauswirth; Performance: Barbara Carli, Rosa Degen-Faschinger, Gudrun Maier; Dramaturgie Gerda Saiko: Ausstattung/künstlerischer Support: Georg Klüver-Pfandtner; Video: Stefan Schmid, Georg Klüver-Pfandtner; Premiere: 13.12. 2018, studio brut, 
Weitere Vorstellungen: 14., 15., 17., 18.12.2018.