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Dschungel: Über uns nur der Himmel – Tanztheater

Ein eindrucksvolles Bild: Die Rettung der Kinder aus dem Meer.

Mit professionellen Tänzer*innen und fünf Kindern, begleitet von einem Streichquartett, zaubert Corinne Eckenstein mit Sanja Tropp Frühwald wunderbare Tanzbilder auf die Bühne. In „Über uns nur der Himmel“ wird der Millionen von Kindern, die vor dem Krieg in Syrien geflüchtet sind, gedacht. Sie haben alles zurückgelassen, auch ihr Bett. Nun schlafen sie auf der nackten Erde in einem Zauberwald. Die Choreografinnen Eckenstein und Sanja Tropp Frühwald haben sich  von den Bildern des schwedischen Fotografen Magnus Wennman und seinen auf den Flüchtlingsrouten durch Europa entstandenen Aufnahmen unter dem Titel "Wo die Kinder schlafen" inspirieren lassen.

Die Mauer ist durchscheinend, dahinter warten Menschen. In welcher Absicht?

 Müde von der langen Reise erreichen Männer und Frauen den Wald, um sich auszuruhen. In Taschen und Koffern schleppen sie ihre schlafenden Kinder. Schon ist man mitten drin in der Geschichte von Flucht und Heimatlosigkeit, von Kälte und Erschöpfung. Eckenstein und Tropp Frühwald haben die Arbeit an dem Tanzstück im Haus Liebhartstal begonnen, wo minderjährige Flüchtlinge aus dem Iran, Irak, Afghanistan und Somalia ein neues Zuhause gefunden haben. Gemeinsam mit dem Ensemble versuchte sie die Bewohner*innen kennen zu lernen und ihre Geschichten anzuhören. Doch auf der Bühne ist keines dieser Kinder und Jugendlichen zu sehen, esIn der Zirkusvorstellung vergessen die kleinen Flüchtllinge Kälte und Müdigkeit. sind Künstler*innen aus elf verschiedenen Nationen, die ein durchchoreografiertes wunderbares Tanztheater zeigen, das vereinnahmt, auch wenn man die einzelnen Bilder nicht ganz deuten kann.

Diese Kinder vergeuden ihre Lebenszeit nicht mit Gejammer, sie sind stark und voll Hoffnungen, sie wollen überleben und träumen von einem neuen Zuhause, einem warmen Bett. Wie Zugvögel befinden sie sich auf einer Reise, suchen einen Ort, an dem sie sich niederlassen können. Die Vögel hat das Team als Metapher gewählt, um die Geschichte zu erzählen. Diese Vögel sind bunt und fröhlich, müde und traurig und geben nicht auf. Fliegen wie ein Vogel und die Freiheit spüren. Das wünschen sich  nicht nur die Kinder.Die Kinder fliegen auf den Schultern der Tänzer*innen wie die Vögel, werden von Schleppern aus dem Wasser gezogen, stehen vor der Mauer, hinter der die Menschen sie willkommen heißen oder ablehnen, loten die Grenzen aus, die sie zu überwinden haben, fallen oft erschöpft um, im Schlaf entstehen wunderbare Träume, von wilden Tieren, auf denen sie reiten dürfen, von einer Zirkusvorstellung mit Zauberer, tanzendem Zwerg, einem Paradiesvogel und natürlich auch Clowns. Laura Biz, aus der akrobatischen Kinderschar, erzählt die Geschichte eines Jungen, der mit den Zugvögeln ziehen möchte und auf die jungen Vogerl, die die weite Reise nicht schaffen, aufpasst. Eine junge, wie alle anderen Kinder bestens trainierte Tänzerin, die auch klar und schön sprechen kann und sich nicht irritieren lässt, wenn die Musik sich zu laut darüberlegt. Das Koehne Quartett spielt live zeitgenössische Stücke.

Das Koehne Quartett spielt eine Mischung von Stücken unterschiedlicher Komponist*innen, was meistens wunderschön passt (mit Vogelstimmen und Blätterrauschen), dann wieder nur, in den ersten Reihen etwas zu laut, lediglich übermalend wirkt. Wie die Vögel sind auch die vier Damen als Waldwesen schön kostümiert, doch hätte ich mir ein wenig mehr Dezenz und Einfühlung in das Bühnengeschehen gewünscht. Doch die Produktion von Dschungel Wien ist gemeinsam mit Wien Modern entstanden, da muss auch der Musik ein vorderster Platz eingeräumt werden.

Bezaubernd sind auch die Kostüme und die Bühnenausstattung. Die Bühnen- Und Kostümbildnerin Ilona Glöckel, die seit 2000 auch an den heimischen Bundes- und Landestheatern arbeitet, lässt mit ihrer fantastischen Ausstattung auch die Zuschauer mitfliegen, frieren, Freundinnen suchen und träumen.Anfangs sind die Tiere des Waldes ziemlich wild und die Kinder fürchten sich. Doch bald werden sie zahm und laden Greta und Laura, Sophie, Sina und Sam auf einen Reitausflug ein.

Choreografin Corinne Eckenstein hat gemeinsam mit Sanja Tropp Frühwald eine ausgereifte, überaus stimmige Aufführung geschaffen, die professionelles, klug  durchdachtes Tanztheater zeigt, und den zum Nachdenken anregenden Inhalt so geschickt verpackt, dass Inhalt und Form einander auf wundebare Weise ergänzen. Auf Manipulation und Mitleidserregung wird völlig verzichtet, man darf auch lachen, sich an der Kunst und dem Engagement der Kinder und der Profis erfreuen, und ein sowohl ästhetisches wie inhaltlich packendes Erlebnis auf höchstem Niveau genießen. Auch die Attribute großartig, zauberhaft, perfekt und ausgezeichnet, kann ich mir nicht verkneifen und stelle diese Produktion neben jenen von makemake und schallundrauch agency auf das Einser-Stockerl.

„Über uns nur der Himmel“, Gesamtleitung: Corinne Eckenstein; Choreografie Corinne Eckenstein und Sanja Tropp Frühwald. Musik: Koehne Quartett / Joanna Lewis, Diane Pscal, Lena Frankhauser, Mara Achleitner. Kostüme und Bühne: Ilona Glöckel.
Tänzer*innen: Jaskaran Anand, Silvia both, Lino Eckenstein, René Friesacher, Roni Sagi. Kinder: Laura Biz, Greta Follak, Sophia Valentina Gomez Schreiber, Sina Pourkarami, Sam Tosun. Alle Bilder : © Rainer Berson. Eine Produktion von Dschungel Wien & Wien Modern. Premiere am 15. November 2018, Dschungel Wien.
Weitere Vorstellungen bis 21.11.2018 und ab 27.1 2019.