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Cloud Gate Dance Theatre: „Rice“, St. Pölten

"Rice" in der Natur studiert. © LiU Chien-hung

Schlicht und knapp nennt Choreograf und Compagnie-Gründer Lin Hwai-min sein Tanzstücks, das er zum 40. Geburtstag seiner Compagnie 2013, dem Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan, kreiert hat. Mehr als 20 TänzerInnen und Tänzer erzählen darin in kurzen Episoden vom Zyklus der Reispflanzen, vom Aussäen und Bewässern der Felder, von der Ernte bis zum Abbrennen und der neuerlichen Geburt aus dem Wasser. Im Festspielhaus St. Pölten herrschte zum Abschluss lebhafter Jubel und auch Staunen. Freudig nahmen die Tänzer*innen samt Chef Lin Hwei-min, in wohl geordneter Formation aufgestellt, die Begeisterung entgegen.

Schon 2005, noch unter der künstlerischen Leitung von Michael Birkmayer, war das Cloud Gate Dance Theatre im Festspielhaus St. Pölten zu Gast. „Cursive“ heißt das Stück, in dem sich Kalligraphie in Tanz verwandelt hat und die Bewegungen zu Schriftzeichen werden. An diesen grandiosen Abend kommt „Rice“ nicht heran.

Arbeiterinnen im Reisfeld von Taiwan. ©  LIU Chen hsiangGewiss, das Bühnenbild, ein Video vom Wachsen und Werden der Reispflanzen, die knapp vor Ernte, wenn sie hochgewachsen sind, im Wind tanzen. So schön und lebendig sind diese bewegten Bilder, die sich oft auch als Projektion über den Bühnenboden legen, dass ich ganz vergesse, die Tänzer*innen zu beobachten. So trocken wie der Titel ist auch das gesamte Tanzstück, aufgeteilt in kurze Szenen, die von altem chinesischem Gesang, Trommelschlägen von Liang Chun-mei, monophonen Klängen von Ishii Maki und auch europäischer Musik begleitet werden. Für meine Ohren sind die Hakka-Volkslieder gewöhnungsbedürftig. Doch das Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan ist nicht nur vor Ort verhaftet und beliebt, sondern mit einem Teil der Compagnie auch gern in Amerika und Europa auf Tournee. Lin Huwai-min weiß genau, was er dem Publikum schuldig ist. Also lässt er Norma „Casta Diva“ (Bellini) singen und schmeichelt mit der Vokalise „Die Nachtigall und die Rose“, aus der Musik zu einer Balletteinlage von Camille Saint Saëns und dem Altsolo aus Gustav Mahlers 3. Symphonie. Lin Hwai-min ist nicht nur ein überaus freundlicher, sondern auch ein polyglotter, hochgebildeter Mann. Auch ein guter Geschäftsmann. Seine Compagnie ist fast ein Imperium, mit einer Schule, der Jugendcompagnie, dem Tourneeunternehmen und einem eigenen Theaterbau. 2020 will sich der 1947 geborene Künstler zurückziehen und was er aufgebaut hat und zu Weltruhm geführt hat, an eine Nachfolgerin / einen Nachfolger übergeben. Der Liebeskampf im Reisefeld. © LIU Chen hsiang

Sein vorläufig letztes Stück hat er seiner Heimatinsel, die bis 1945 als Formosa bekannt war, gewidmet. „Formosa“ hat 2017 Premiere gehabt.

Wie in „Rice“ und den meisten anderen Stücken mit so schönen Titeln wie „Das Flüstern der Blumen“ oder „Bambus Träume“ spielt die Natur und das Verhältnis der Menschen dazu die Hauptrolle. So schön die Reisfelder als Bild, ob in der Realität oder im Film, sind, so schwer ist die Arbeit, immer mit nassen Füßen. So bewegen sich auch die Tänzer*innen oft gebückt und schleppend über die Bühne, liegen erschöpft auf dem Boden, dreschen mit langen Stäben das Korn und zeigen zugleich auch akrobatische Kampfkunst.

Rendez vous im grünenden Feld. ©  LIU Chen hsiangAuch Reispflanzen müssen befruchtet werden. Das wird in einem anrührenden Duo gezeigt, das Video im Hintergrund ist nun nicht mehr wichtig. Das Paar trifft sich mitten im Reisfeld, die Bühne ist grün ausgeleuchtet, und so genau ist nicht festzustellen, ob es Liebe ist oder Kampf, was im Liegen vibrierend vor sich geht.

Am Ende lodern die Flammen hoch, der Wind heult und die Arbeiter*innen sinken nacheinander erschöpft zu Boden. Das erfrischende Wasser, das das braune Feld bedeckt, sehen sie nicht mehr. Ein vor allem durch die bewegten Bilder und Projektionen beeindruckendes Stück. Der Tanz ist eine Mischung aus allem und jedem, Nachahmung der Arbeitssituation, Erinnerungen an Martha Graham, asiatischer Bewegungskatalog, Claud Gate Dance Theatre eben. Die abgeernteten Felder müssen brennen. ©  Gia ToHarmonisch sind die Kostüme in sanften Erdfarben, Kleider mit schwingenden Röcken für die Frauen, schwarze Hosen für die Männer. Die Compagnie tanzt barfuß, überaus geschmeidig und diszipliniert, doch mir fehlt die emotionale Kommunikation. Das Staunen über die beeindruckenden Bilder, getanzte und projizierte, ist mir zu wenig, umso schmerzhafter spüre ich die überdehnte Länge mancher Szenen, die im Saal so manchen Kopf sinken lassen. Vielleicht war gerade deshalb der Applaus so besonders herzhaft.

Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan: „Rice“, Konzept und Choreografie: Lin Whai-min; Bühne Lin Keh-hua; Licht: Lulu W. L. Lee; Projektionen: Ethan Wang; Videos: Chang Hao-Jan; Kostüme: Ann Yu Chien, Li-Ting Huang. 5. Mai 2018, Festspielhaus St. Pölten.
Am 17. Mai 2018 zeigt Akram Khan sein eben erst uraufgeführtes Solo: „Xenos“ im Festspielhaus St. Pölten. Der britische Tänzer mit indischen Wurzeln nimmt damit seinen Bühnenabschied als Solotänzer. Ankündigung im Programm von St. Pölten: „Eine ergreifende Reflexion über den Verlust von Menschlichkeit“.