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"Feuervogel": Strawinsky-Ballettabend, dreifach

Nikisha Fogo, Graig Matthews: "Movements" © Ashley Taylor

Feuervogel“ ist der verlockende Titel eines Tanzabends des Wiener Staatsballetts in der Volksoper. Drei Tänzer befassen sich als Choreografen mit der Musik Igor Strawinskys. Andre Kaydanovskiy sieht den „Feuervogel“, der dem Abend den Titel gibt, als personifizierte Allegorie von Gier und Begierde. Eno Peçi macht die Kasperlfigur „Petruschka“ zum hilflosen Lehrer. András Lukács baut mit sechs Paaren eine Hymne an den Tanz und die Schönheit. Geschichte erzählt er keine, die entsteht mit Hilfe von Strawinsky und den Mitwirkenden im Kopf des Publikums. Dieses belohnte Choreografen und Tänzer_innen temperamentvoll mit einer Premiere angemessenem Applaus.

Premieren, im konkreten Fall drei Uraufführungen, sind ein Fest, doch für Kritik wenig geeignet. Noch sind die Stücke nicht fertig, Fehler und Ungereimtheiten, die bei den Proben gar nicht sichtbar waren, treten plötzlich zu tage, die Künstler_innen auf der Bühne sind aufgeregt, die Atmosphäre vibriert. Was die Schöpfer der Werke, die drei Choreografen Peçi, Lukács, Kaydanovskiy, an Verbesserungsnotwendigkeiten alles sehen, will das staunende Publikum gar nicht wissen. Der Lehrer mit seiner Frau oder doch Petruschka mit der Ballerina? (Davide Dato, Nina Tonoli). Alle Bilder © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Ich halte mich an den Gesamteindruck, und der ist durchaus positiv.

Rebecca Horner, die Schuldirektorin in "Petruschka" von Eno Peçi. „Petruschka“ ist eine feine Gelegenheit für die Protagonist_innen – Davide Dato, „der Lehrer“, Nina Tonoli, „seine Frau“, Rebecca Horner, „die Schuldirektorin“ – und das Ensemble, eine chaotische, ekelhafte, auch aggressive Schulklasse (besonders böse Buben mit gewalttätiger Komik: Trevor Hayden, Arne Vandervelde) zu zeigen, wie sich mit dem von Peçi vorgegebenen, neoklassisch basierten Bewegungsmaterial zurechtfinden. Dato brilliert als um sich selbst springender Lehrer, der vergeblich versucht, seinen aufmüpfigen Schüler_innen alte Werte beizubringen. Nicht nur mit dem märchenhaften Einschüben im gespenstischem Bühnenbild von Pavol Juráš, der auch für Licht und Kostüme verantwortlich ist, auch mit manchem Bewegungszitat erinnert Peçi an die originale Geschichte von der naiven, unbeholfenen Kasperlfigur „Petruschka“ („Petersilie“), der schönen Ballerina und dem groben Mohren.Böse Buben und Mädchen in der Schule. Der Lehrer (Dato) wird gemobbt.
Das geht auch nicht anders, denn Strawinsky und seine Musik geben den Ton an. Für die Zuschauer_innen ist es schwierig, die bekannten Szenen aus früheren Choreografien zu vergessen. Um zu verstehen und sich an den neuen Ideen zu erfreuen, ist das nahezu unabdingbar.

So eingeschränkt durch die Kraft der Musik ist auch Andrey Kaydanovskiy bei seiner Deutung des „Feuervogel“. Ivan (Kimoto) mit dem Feuervogel  (Dato) im Nacken. Im Hintergrund eine lebendige SchaupfensterpuppeEr versetzt den Zaubergarten in ein Großkaufhaus und fragt wie die Macht schmeckt und welch starke Triebfeder die Gier ist. Er belässt den Figuren ihre originalen Namen und arbeitet mit parodistischen und ironischen Elementen. Möglicherweise liegt es an den farblosen Kostümen und dem wenig magischen Bühnenbild von Karoline Hogl oder auch am Dirigenten David Levi, dass mir das Schillernde, Flirrende, das zauberhaft Gleitende, der Begierde weckende Glanz auf der Bühne gänzlich abgeht. Was soll in dieser trüben Atmosphäre den Wunsch wecken, es zu besitzen? Geht es nur darum, Macht und Reichtum zu erlangen? Die stärksten Bilder sind in dieser Choreografie die negativen: Wenn der Feuervogel (Davide Dato, auch hier als Solist) als Wunschtraum dem gierigen Ivan im Nacken sitzt oder der später entmachtete Kaufhausmogul als Usurpator auftritt, sich nimmt, was er meint zu besitzen. Masau Kimoto, Ivan, Rebecca Horner: Vasilissa in "Feuervogel" von Andrey Kaydanovskiy. Alle Bilder: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Nach dem Zustand der Welt will András Lukács nicht fragen, er macht es dem Publikum mit dem Mittelteil des Abends, „Movements to Strawinsky“ zu ausgewählten Musikstücken, leicht. Es darf schauen und genießen.

Alice Firence, Masayu Kimoto in "Movements to Strawinsky" von András LukácsIn an Bilder der Renaissance und der Commedia dell’arte angelehnt, hat Lukács seine Kostümvorstellungen von Mónika Herwerth umsetzen lassen. Prächtig sieht das aus, obwohl in Schwarz-Weiß, die Herren mitunter mit nacktem Oberkörper, die Damen mit nackten Armen und Beinen, gehalten. Schwingende Arme zum Cellosolo, zierliche Hebungen, anmutige Verbeugungen, höfisch kleine Schritte für das Menuett, sechs Paare im stimmungsvollen Licht von Attila Szabó. Alice Firenze mit Masayu Kimoto (gleich nach der Pause der machtgierige Ivan im „Feuervogel“); Nikisha Fogo mit Greig Matthews; Ioanna Avraam mit James Stephens; Erika Kováčová mit Zsolt Török; Iliana Chivarova mit Attila Bakó; Céline Janou Weder mit Géraud Wielick. Sechsfacher Genuss, erholsam, nahezu beglückend.

Weniger beglückend die Interpretation der Musik aller drei Teile durch David Levi und einem ziemlich müden Volksopernorchester. Verschleppte Tempi, nicht gesetzte Akzente, verschwimmende Themen erschwerten auch den Tänzer_innen die Verbindung zur Musik.James Stephens fliegt allein für den Fotografen Ashley Taylor ("Movements" von A. Lukács. Doch Strawinsky lässt sich nicht unterkriegen und, wie eingangs bemerkt, eine Uraufführung entzieht sich in ihrer Einmaligkeit der Gesamtbewertung eines Abends. Zumal für sämtliche Mitwirkenden die Probenzeit äußerst kurz bemessen war.
Deshalb: Nochmal ansehen, wenn das Orchester mit Freude dabei ist, die Tänzer und Tänzerinnen (nicht nur die Solist_innen, auch die anderen Ensemblemitglieder mehrfach eingesetzt) ohne Fieber auf die Bühne kommen und die Choreografen restlos zufrieden sind. Gelegenheit gibt es bis 7. Juni noch acht Mal in wechselnder Besetzung mit immer wieder neuen Debütant_innen.

„Der Feuervogel, Petruschka, Movements to Stravinsky“, Musik von Igor Stravinsky, Choreografien von Andrey Kaydanovskiy, Eno Peçi, András Lukács, Dirigent Daniel Levi, Wiener Staatsballett in der Volksoper. Uraufführung am 28.4. 2017.
Weitere 8 Vorstellungen in dieser Saison: zwischen 2.5. und 7.6. 2017.