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Volksoper: Strawinsky-Ballettabend – aufpoliert

"Petruschka" mit Davide Dato. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Mit teilweise neuer Besetzung sorgt die Folgevorstellung des dreifachen Ballettabends, choreografiert von den Tänzern Eno Peçi, András Lukács, Andrey Kaydanovskiy, für heftigen Beifall. Das Premierenfieber ist abgeklungen, die Schonzeit beendet, der Blick wird genauer. Auch wenn manche Tänzer_innen ihren ersten Auftritt für Strawinsky haben, ist der Abend nun Repertoire, doch keinesweges Routine, sondern frisch und aufregend, regiert vom Komponisten Igor Strawinsky.  Dirigent David Levi hat das richtige Tempo gefunden, und das Volksopernorchester folgt ihm mit Engagement und schönen Soloeinlagen.

Eno Peci hat es übernommen, Igor Strawinskys Ballettmusik „Petruschka“ neu zu interpretieren. Eine schwierige Aufgabe, weil die Musik, zwischen den farbigen Jahrmarktsszenen und den intimen Paarbegegnungen in stets wechselndem Rhythmus oszillierend, nicht einfach zu tanzen ist und die ursprüngliche Geschichte (Choreographie von Michail Fokin) so deutlich erzählt wird. Die Tänzer_innen (Davide Dato, Rebecca Horner, Nina Tonoli, Trevor Hayden, Arne Vandervelde) meistern die von Peçi vorgegebenen schwungvollen Bewegungsabläufe, die kräftigen Pas des deux, das immer wieder Schlappmachen, Fallen und Rollen (die Hauptpersonen sind im Original ja Puppen) virtuos. Der hilflose, gepeinigte Lehrer in Eno Peçis "Petruschka (Davide Dato) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Doch vertraut der Choreograf seiner Geschichte vom hilflosen Lehrer, den frechen und aggressiven Schülern und der bösen Direktorin nicht ganz. Weltverbesserungsvokabel, mit Kreide an die Tafel geschrieben, geben dem Ballett ein unnötiges Pathos, und die Figur der Direktorin (Horner) ist unklar gezeichnet. Sie kümmert sich weniger um den armen gemobbten Lehrer als um dessen entzückende Frau (Tonoli), schleppt später auch die beiden Oberrandalierer ab. Das hebt zwar den Programmverkauf in der Pause, aber nicht das Verständnis der der Handlung. Die Fragen „Wer ist Wer?“ und „Was tut sie / er da?“ blockieren den Genuss der großartigen Leistung des perfekt ausgewählten Ensembles.

"Movements to Stravinsky": Maria Yakovleva, Jakob Feyferlik, perfekt. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor András Lukács hat die Gruppe aus sechs Paaren neu gemischt. Maria Yakovleva und Jakob Feyferlik, Nina Tonoli und Richard Szabó, Eszter Ledán und Andrey Teterin debütierten ebenso wie Oxana Kiyanenko mit Igor Milos. Adele Fiocchi ist die neue Partnerin von Attila Bakó, Céline Janou Weder und Géraud Wielick haben auch die Premiere getanzt. Ich verkneife es mir, einzelne hervorzuheben, alle sechs Paare fügen sich wunderbar in Lukács’ „Movements to Strawinsky“ (getragen von der Musik zu „Pulcinella“, ergänzt von anderen Ausschnitten aus Strawinsky-Kompositionen). So trashig die beiden narrativen Stücke daherkommen, so schön, entspannend, nahezu beglückend ist Lukács seine Choreografie gelungen. "Movements": Nina Tonoli, Andrey Teterin, fließend und elegant. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Er hat die Freiheit, kein fertiges Ballett neu gestalten zu müssen, genützt, erzählt keine Geschichte, kritisiert nicht die ach so schlechte Welt, lässt einfach tanzen, oft in gemessenem Schritt, mit schwungvollen Pas de deux und Solos. Als einziger legt Lukács, der schon seit 1999 mit eigenen Kreationen als Choreograf erfolgreich ist, auf Schönheit und die reine Bewegung zur Musik Wert. Ein anregender Kontrast zu den beiden anderen Werken.

Als Tanztheater könnte Andrey Kaydanovskiys Choreografie zur Ballettmusik „Der Feuervogel“ eingestuft werden. Was bei der Premiere noch an der Dissonanz zwischen Orchestergraben und Bühne haperte, hat sich nun, bei der zweiten Wiederholung, wunderbar zusammengefügt. Levi und das Volksopernorchester lassen den Vogel schwirren, die Federn fliegen durch die Luft, und Vasilissa (noch einmal Rebecca Horner) ist trotz des wirren roten Haarschopfes eine nahezu süße Prinzessin. Blanke Ironie ist, dass Kaydanovskiy die Namen des Originals – Ivan, der Prinz, Vasilissa, die verzauberte Prinzessin, Koschey, der böse Zauberer – belassen hat und, obwohl er, wie er erzählt, die originale Choreografie oder neuere Versuche (etwa von John Neumeier) nicht gesehen hat, auch die Verkäuferinnen wie versteinerte Prinzessinnen agieren lässt.
Seine Geschichte aber spielt bei einer Kaufhauseröffnung, handelt von Gier nach Waren und nach Macht. Wer unten ist, drängt mit aller Kraft nach oben, geht über Leichen, wer oben ist, wird mit dem Laufband abtransportiert. Doch der nächste wartet schon. Rebecca Horner (Vasilissa), Zsolt Török (Ivan) ohne "Feuervogel". © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Kaydanovskiy behandelt auch die ihm vorgeschriebene Musik mit Ironie, konterkariert sie oft durch die Bewegungen und zeigt das gar nicht glanzvolle Kaufhaus (Bühne und Kostüme in Grau Karoline Hogl) weniger als Konsumtempel denn als Geisterschloss, in dem sich seelenlose Figuren mechanisch und eckig bewegen. Der Feuervogel (Dato) ist in seinem goldenen Mäntelchen ein etwas gerupftes Vögelchen, dessen Rolle als materialisierte Begierde nicht ganz klar wird. Anfangs treibt er den Aufsteiger Ivan (neu und überzeugend in der Rolle: Zsolt Török) an, später wird er kalt abserviert. Die Kaufhauseröffnung endet in einer Orgie und diese mit dem Zusammenbruch des Tempels und dem Tod sämtlicher gieriger Besucher in Unterhosen. Mit vielen überraschenden Einfällen und intelligentem Witz (richtig köstlich die drei Arbeiter Scott McKenzie mit den Rollen-Neulingen Dumitru Taran, Arne Vandervelde) setzt Kaydanovskiy uns einen Spiegel vor und sagt zugleich. „Alles nur gespielt!“ Ein Märchen eben, wie es heute immer wieder erzählt wird.

Ein abwechslungsreicher, stimmiger Abend, offenbar ausverkauft und hörbar heftigst beklatscht, der vorbehaltlos zu empfehlen ist.

„Der Feuervogel, Petruschka, Movements to Stravinsky“, 3. Aufführung am 11. Mai 2017. Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Nächste Vorstellungen in wechselnder Besetzung: 16., 21., 23., 28.Mai; 2., 7.Juni 2017 und auch in der kommenden Saison.