Skip to main content

"Onegin": Irina Tsymbal und Eno Peçi

Tatjana (Tsymbal) mit dem eifersüchtigen Lenski (Kimoto). © Ashley Taylor

Mit Irina Tsymbal als Tatjana und Eno Peçi in der Titelrolle erzählt John Crankos gefühlvolles Ballett „Onegin“ weniger von der schwärmerischen Liebe eines jungen Mädchens als von den reifen Gefühlen einer wissenden Frau. Alice Firenze und Masayu Kimoto tanzten des zweite Liebespaar, Olga und Lenski, zum ersten Mal und konnten ebenso wie das Hauptpaar begeistern.

Onegin trägt die Nase hoch, elegant, fast schleichend, jedenfalls lautlos, betritt er den Garten der Familie Larina. Deutlich zeigt er, wie sehr ihn dieser Besuch, zu dem ihn Freund Lenski überredet hat. Lenski wird die fröhliche Olga Larina heiraten, noch bevor ihre ältere Schwester Tatjana einen Bräutigam hat. Die Mutter denkt an den wesentlich älteren Fürsten Gremin, Tatjana an ihre Romane. In diesen lebt sie, lebendige Männer sind ihr fremd. Doch dann erblickt sie diesen fremden Herren aus der großen Stadt bei der spielerischen Suche nach dem Richtigen im Zauberspiegel und die Welt der Literatur ist vergessen. Tatjana weiß, dass sie den Richtigen gefunden hat. Dass dieser zwar wohlerzogen ein Tänzchen mit ihr wagt, aber sonst keinerlei Interesse an der stillen jungen Frau hat, will sie nicht sehen. Abschied für Immer: Tatjana (Tsymbal), Onegin (Peçi) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Tsymbals Tatjana ist kein naives Mädchen, das sich Knall und Fall verliebt und dann hysterisch dem Erwählten nach tanzt. Sie ist eine romantische Frau deren Ausstrahlung diesen eingebildeten Snob eigentlich bezaubern müsste, doch der wagt keinen zweiten Blick, wendet sich ab und sonnt sich in seinen Vorurteilen. Die Demütigung, die Onegin Tatjana bereitet, indem er ihr den Liebesbrief zerrissen in die Hände drückt, ist für die sensible Frau viel tiefer als für ein junges Geschöpf.
Wie perfekt das Paar Tsymbal/Peçi Crankos aus den Wurzeln des romantischen Balletts geschaffene Choreografie beherrscht, ist in den großen Pas de deux zu sehen. Im 1. Akt, wenn Tatjana von ihrer Liebe zu dem undurchsichtigen Mann träumt, ist sie es, die sich ihm ergibt und ihn lenkt. Am Ende (3. Akt), wenn die beiden einander nach vielen Jahren im Palast Gremins, den Tatjana schließlich geehelicht hat, wieder sieht, ist er es, der fleht und bettelt. Peçi zeigt, dass sein Onegin weiß, was er mutwillig verloren hat, doch an die Tiefe von Tatjanas Liebe kommt er nicht heran. Er will haben. Ob er auch lieben kann, bleibt offen.

Das junge Liebespaar: Olga (Firenze), Lenski (Kimoto) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Sehr einnehmend und technisch sauber wirken Firenze und Kimoto als anfangs so fröhliches Liebespaar. Überraschend und glaubwürdig ist Lenskis Zorn, wenn er zusehen muss, wie Onegin (um Tatjana seine Missachtung zu zeigen) mit dessen Braut poussiert; elegant meistert Kimoto das Solo vor Lenskis Tod im Duell mit dem gefühllosen Onegin. Dem ist auch Freundschaft nichts wert. Cranko hat mit diesem Abschieds-Solo den Tänzern und dem Publikum eine wahre Kostbarkeit geschenkt, dass den frühen Tod des jungen Dichters doppelt schmerzhaft spüren lässt. Lenski ist tot und der Tänzer nicht mehr zu sehen.

Als Gremin debütiert Alexis Farabosco, ein verlässlicher Halbsolist, der einen freundlichen Ehemann tanzt. Den Fürsten und forschen Soldaten, der seine Frau „unsagbar liebt“, wie in Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“ (das Libretto folgt wie das Ballett Alexander Puschkins Gedicht) zu hören ist, und sie trotzdem allein lässt, um in den Krieg zu ziehen, nehme ich ihm nicht ab. Das vertraute Ehepaar: Tatjana (Tsymbal), Gremin (Forabosco) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Das Corps de Ballett kommt in dieser dritten Besetzungsvariante der Repertoireserie endlich mit der Musik zurecht und gibt, weil ich nicht vor Zusammenstößen zittern und bangen muss, Zeit die Ausstattung, vor allem die so fein den Schauplätzen der drei Akte angepassten Kostüme, zu bewundern.

Mit der Stabführung von James Tuggle kann ich mich nicht so recht anfreunden. Erst im letzten Akt, zur Musik aus der sinfonischen Dichtung „Francesca da Rimini“ (beziehungsvoll: Sie liebt ihren Schwager, der Ehemann ertappt beide und bringt sie um) kommt das Tschaikowsky-Gefühl auf, weich und sehr traurig.

Was das Publikum nicht hindert, seine Begeisterung lautstark kund zu tun. 100 Prozent Auslastung, überquellender Stehplatz. Crankos Choreografie zieht ebenso wie der Ruf des Wiener-Staatsballetts.

„Onegin“, Ballett in drei Akten (sechs Bildern) von John Cranko. Nach dem Roman in Versen „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin, Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski, eingerichtet und Instrumentiert von Kurt-Heinz Stolze, 2. März 2016. Staatsoper.

Letzte Vorstellung in dieser Saison in der selben Besetzung am 5. März 2016.