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Sebastiano Sing: „Milan. Mein Milan.“ – Tanz im WuK

Milan (Milvus milvus), ein schöner Vogel, doch nicht gemeint.

Romantik mit Gänsehaut und einer Portion Ironie. Choreograf Sebastiano Sing zeigt mit Milan. Mein Milan in dunkles Tanz- / Theaterstück, in dem drei Tänzer eine düstere, von Gemeinheit und Zärtlichkeit geformte Gemeinschaft bilden. Frauen sind nicht zu sehen. Also Fußballplatz oder Mönchskloster. Die Bühne schwarz, ein Haufen von ramponierten Basstrommeln in der rechten Ecke, drei rote Plastiksessel links. Also Kloster.

Mein Interesse am Fußball ist nicht besonders brennend, also fällt mir zum Titel der Performance zuerst der Vogel ein. Der elegante Greifvogel Milan lebt gern in Gemeinschaft, ob sie ihre Mitflieger auch mit Eiswürfel bewerfen oder mit Hieben bestrafen, wie Sings MLukas Peutz, einsam auf der schwarzen Bühne, breitet er seine Arme aus. änner auf der Bühne, bezweifle ich. Dann eben zweite Wahl: AC Milan, der Mailänder Fußballverein, 1899 gegründet als Associazione Calcio Milan, die gegen Ende des 20. Jahrhundert als „gli immortali, gli invincibile“ (die Unsterblichen, die Unbesiegbaren) galten. Auf den Hochmut folgt der Fall. Ob Sebastiano Sing selbst auch für die Rossoneri (Rotschwarzen, wegen der Farben ihrer gestreiften Leiberln) schwärmt oder mehr für die Nerazzurri (Schwarzblauen), den einzigen Klub in Italien, der seit Gründung der Serie A durchgehend in der höchsten Spielklasse teilnimmt: Inter Mailand, richtig Club Internazionale (Inter) Milano, ist nicht bekannt. Einer quält den anderen, lässt Eiswürfel über dessen Gesicht rollen. Ernst oder Spiel? Lukas Peutz, hinter ihm stehend Hugo Le Brigand.Schluss jetzt mit dem Ballgeplänkel, das tanzende Männertrio auf der Bühne besteht eher aus fastenden Mönchen denn aus satten Fußballern. Gesprochen wird wenig, in den kurzen Theaterszenen werden Begriffe oder Sätze hingeworfen, „Gänsehaut“ ist ebenso dabei wie „Hoffnung“. Exzellent von Hugo Le Brigand, Lukas Peutz und Kevin Fay getanzte Solos wechseln mit slapstickartigen Theaterszenen ab. Die drei knallroten Sessel durchbrechen zwar die Schwärze der Bühne, wirken aber keineswegs tröstlich, eher bedrohlich. Bedrohlich wird es, auch wenn einander zwei der Mönche im eleganten Habit begegnen.  Sie verstehen, vielleicht sogar lieben, einander und zeigen dennoch Freude, den anderen zu quälen.  Die Musik (Komposition und Sound Design von Alexander Martinz) spielt mit, ist leise und beruhigend oder aufwühlend und wild. Ebenso passt sich das Lichtdesign von Joe Albrecht der Schönheit und der Bosheit an. Die Schönheit hat Regisseur / Choreograf Sebastiano Sing gepachtet. In weißer Seide steigert sich seine mir sinnlos erscheinende Frage, „Sind Sie /sie schon abgestiegen?“ von geflüsterter Freundlichkeit zum Brüllen im Polizeiton.  Der außergewöhnliche Tänzer Hugo Le Brigand wird in den theaatralen Szenen zum sprechenden Darsteller. Erkenntnis naht: Absteigen müssen zwar auch Radfahrer, ein Akt, eine Treppe hinabsteigend, tut es auch, doch für niemanden ist der Abstieg so essenziell wie für einen Milan, ob italienischer Fußballverein oder Vogel.  
In einer Art Vorspiel ist der rechte Sessel in der Reihe, die später gelockert wird, vom jungen Tänzer Lukas Peutz besetzt. Er gibt sich einem Bewegungsritual hin, das in seiner genauen Abfolge und mehrfachen Wiederholung aus dem Sitzkörper einen Tanzkörper macht. Präzise und immersiv öffnet er eine fremde Welt, deren Ausgang ich nicht sehen kann. Die differenzierte Inszenierung von Sebastiano Sing, der die Tänzer sie selbst sein lässt, ihnen keine Rollen zuteilt, folgt keinem Trend, ist keinem Genre zuzuordnen. Subtil, gefühlvoll und hoch artifiziell mischen sich die Künste zum Ganzen, vertraut und irritierend zugleich und voller Rätsel, die nicht gelöst werden wollen.Lukas Peutz: „Milan. Mein ;ilan.“ ist uch ein Stück von ihm.
Zwischen Parfum-Test und den Hieben des Novizen aufs Hinterteil des erfahrenen Mönchs, zwischen Sehnsucht und Grausamkeit, zwischen Traum und Wirklichkeit, Hell und Dunkel entwickelt sich ein Rätselspiel rund um einen Cameo-Auftritt des Regisseurs in weißer Seide, der ein Sonett von Shakespeare rezitiert. Wie die 153 anderen aus dem Zyklus, war auch dieses, in einer Liebeserklärung mündende Jammergedicht mit der Nummer 29  schon bei seinem Erscheinen 1609 etwas gestrig. Petrarca, dem Shakespeare mit seinen Hexametern nacheifert, war seit mehr als 300 Jahren tot.  Oder war der Bard of Avon seiner Zeit voraus? So richtig romantisch ist es erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts geworden.Kevin Fay, ein schwarzer Mönch, die Dunkelheit in Person. Bald wird niemand mehr wissen, was das alles sein soll, Romantik, Melancholie, Sehnsucht, Natur.
Die KI (AI) hat davon keine blasse Ahnung.
Wie dem auch sei, was man auch zu sehen meint, Fußballer oder Mönche, Sebastiano Sing und sein Tanztheater Sing haben mit Milan. Mein Milan. Schönheit in schwarzem Samt, Theater mit Witz und Ironie sowie Tanz auf hohem Niveau gezeigt. Ein Stück von Sebastian Sing schreibt der Autor unter den Titel seines Bühnenwerks. Wortspiel oder Programm?

Tanztheater Sing: Milan. Mein Milan. Ein Stück von Sebastiano Sing, Uraufführung im Wuk am 1. Mai 2025. Folgevorstellungen: 2. + 3. Mai 2025. Inszenierung & Choreografie: Sebastiano Sing
Tanz, Co-Kreation: Hugo Le Brigand, Kevin Fay, Lukas Peutz.
Komposition & Sounddesign: Alexander Martinz; Lichtdesign: Joe Albrecht; Szenografie: S. Sing. Kostüm: S. Sing – Design bei www.byroses.com + Louis Gabriel Nouchi
Fotos: © Hanna Fasching