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Schein oder Sein, das ist hier die Frage

Fünf Performerinnen sind auch Zuschauerinnen und betrachten das Publikum.

Manifestations – ein Substantiv, das vielerlei Deutungen zulässt. Für die Choreografin Marta Navaridas bedeutet der aus dem Lateinischen hergeleitete Begriff Sichtbarmachen. Was da in der körperbetonten Performance gezeigt wird, sind erlebte Gefühle und verbal geäußerte Reaktionen aus dem Vorbereitungsprozess. Nach der Premiere von Manifestations am 2. Februar im Tanzquartier hat sich das Publikum durchaus amüsiert gezeigt.

 Eine Diva vor dem Vorhang (Beatrice Frey)Das Stück hat, lange bevor sich der imaginäre Vorhang geöffnet hat, bereits im Probenraum begonnen. Die fünf Darstellerinnen sind von Navaridas in ungewohnte Situationen, die die Sinne belästigt, gereizt oder auch ausgeschaltet haben, versetzt worden. Spontan haben „Opfer“ die furchteinflößenden oder ekelhaften Situationen kommentiert. Diese Kommentare sind aufgezeichnet worden und werden während der Performance in ihre Ohrmikrofone gesendet. Die Darstellerinnen ahmen nun ihre ehemaligen spontanen Reaktionen auf der Bühne nach.Manifestation der Probe: Beatrice Frey, Alex Deutinger, Julia Franz Richter, Alexandru Cosarca.Die Komik entsteht durch das Agieren der Figuren im luftleeren Raum. Das Publikum sieht nur die nachgespielten Reaktionen, aber weiß nicht, wodurch und weshalb sie entstanden sind. Szene reiht sich an Szene, Alex Zehetbauer, sitzt auf einem Kletterturm als Königin der Nacht, singen kann er ja. Alex Zehetbauer als Kriechtier mit entzückenden Affenschaukeln (das sind Zöpfe, die zum Kreis gesteckt sind).Alice Peterhans (sie tritt als Alex Deutinger auf, der verletzt ist) und Alexandru Cosarca rutschen mit nackten Pobschis über nasse Plastikbahn, einmal vereinen sich alle fünf zum Reigentanz zu klassischer Ballettmusik, für ein hopertatschiges Solo von Julia Franz Richter bemühen die vier Kolleginnen ihre Handflächen. Übrigens, damit alle das platte Wortspiel von den „falschen Realitäten in echter Falschheit“ verstehen und erkennen, dass die Bretter, die die Welt bedeuten, schnöder Schein sind, hat Navaridas die übliche Situation in der Halle G / Tanzquartier umgedreht. Tanz der Gnomen und Trolle im Dunkeln. Nur das Notlicht leuchtet gespenstisch. Die Agierenden klettern im Zuschauer-Abschnitt über Sessel, hocken zu zweit in der Techniker-Koje wie Waldorf und Statler, die beiden Kritikaster der Muppet Show, später hopsen Richter und Zehetbauer ins Parterre, da können sie mit den Kolleginnen als Zuschauerinnen in der ersten Reihe sitzen und auch das Publikum betrachten. Dieses sitzt auf eigens herbei geschleppten Gelegenheiten dort, wo sonst dargestellt wird. Die vielseitige Choreografin Marta Navaridas mit ihren Pferden. Foto von ihrer Site: http://www.martanavaridas.com/aboutNatürlich könnten die Eintrittskarten-Besitzerinnen den nun pervertierten Bühnenraum auch über die üblichen Publikumseingänge erreichen, doch es geht ja um „echte Falschheiten“, manifestiert durch einen echten Lift, einen geräumigen Lastenaufzug um die Ecke, der das Publikumsvolk zum Bühneneingang bugsiert.
Nach 70 Minuten kleiner Teilchen von Körperkunst, Gesang und Akrobatik, Selbstdarstellung, von Lichteffekten und Bühnenzauber (kein Nebel, doch viel Wind) mimt Dame Beatrice Frey die kahle Sängerin, der Rest der theatralischen Scheinwelt linst aus einer Seitentür, das Publikum im linken Sektor kichert und dann geht das Licht aus und eine glückliche Choreografin freut sich mit ihrem Team sichtbar und echt über den Applaus. Gruppenbild mit Alex Deutinger (links außen), der leider wegen einer Verletzung nicht an der Premiere teilnehmen konnte. Neben ihm: Alex Zehetbauer, Beatrice Frey, Juia Franz Richter, Alexandru Cosarca. Auf der Bühne, egal ob im Guckkasten oder im okkupierten Zuschauerraum angesiedelt, ist der Schein kein Fake, sondern Wirklichkeit. Was das Theatergeschehen von falschen Realitäten, realen Fälschungen, politischen Nebelgranaten und anderen Lügengeschichten unterscheidet, ist die Tatsache, dass es eine Vereinbarung gibt, an die sich beide Teile, die Agierenden und die Konsumierenden, halten. Alle wissen, dass Alice Peterhans als Alex Deutinger kein Kind auf der Wasserrutsche ist und Alex Zehetbauer keine Opernsängerin. Und wir genießen die Darbietung dennoch, auch wenn diese Manifestations dem Zirkus näher sind als dem Tanz.

Marta Navaridas: Manifestations, körperorientierte Performance mit Text und Musik
Konzept, Choreografie: Marta Navaridas
Text, Performance: Alexandru Cosarca, Alice Peterhans als Alex Deutinger, Beatrice Frey, Julia Franz Richter, Alex Zehetbauer
Live-Elektronik, Sounddesign: Manuel Riegler, Kostüme: Annemarie Arzberger, Bühnen- & Maskenbild: Georg Klüver-Pfandtner, Lichtdesign: Bruno Pocheron
Fotos: © Kati Göttfried
Erstaufführung: 2.2.2024, Tanzquartier. Eine weitere Vorstellung: 3.2.2024