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Mei Hong Lin – „Schwanensee“ in Linz

Schwan bleibt Schwan, auch in Linz.

Nicht Prinz Siegfried und die Schwanenprinzessin stehen im Mittelpunkt der Choreografie zur Musik des Ballettklassikers „Schwanensee“ von Peter I. Tschaikowsky, sondern der Komponist selbst. Tschaikowsky als tragische Figur. Auf die Schwäne, groß und klein, weiß und einmal  schwarz, will Choreografin Mei Hong Lin dennoch nicht verzichten. Zum Entzücken des Publikums im Linzer Musiktheater. 

„Dort, wo wir nicht sind…“ (ist es immer schöner)
Mit einem Zitat aus dem Tagebuch Tschaikowskys als Untertitel gibt Mei Hong Lin das Thema vor: der Komponist auf der Couch. Die früh verstorbene Mutter kann er nicht vergessen, die Homosexualität kann er nicht offen ausleben, die Depressionen nicht besiegen.
Ein Zerrissener.
Valeri Iurato tanzt diese Rolle, expressiv und unermüdlich. Schließlich ist er in allen 18 Episoden Mittelpunkt und Hauptakteur. Im zur Seite, Wout Geers als Weißer Schwan, ein Schutzengel im Federkleid. Umringt und bedrängt von der unvergessenen Mutter, den Geschwistern,  der Brieffreundin Nadeschda von Meck (Anna Štěrbova) und der ungeliebte Ehefrau Antonina (Andressa Miyazato), kämpft sich Tschaikowsky bis zum erlösenden Tod. Antonina hat auch den Part des schwarzen (bösen) Schwans. Man weiß es sofort, sie trägt unter der weißen Hochzeitsrobe das schwarzen Gefieder und muss barbusig springen. Der Dichter Aleksey Apuchtin (Jonatan Salgado Romero) ist der etwas unheimliche Verführer und Geliebte Tschaikowskys.  Der Komponist und sein Beschützer (Valerio Iurato, Wout Geers) © Tom Mesic

Dirk Hofacker hat ein praktikables Bühnenbild aus bunten und spiegelnden Paneelen geschaffen, die Kostüme der Familie, Freunde und Widersacher Tschaikowskys sind ebenso farbenprächtig effektvoll, die Schwäne, Tänzer wie Tänzerinnen, turnen fröhlich im konventionellen weißen Flaum.

Die Choreografie nimmt wenig Rücksicht auf die Musik, lässt ihr Ensemble zu  Adagio-Passagen springen und purzeln und verlangt einige Umstellungen vom Bruckner Orchester und dem sorgsam leitenden Dirigenten Ingo Ingensand. Erst im symphonischen Finale nimmt er keine Rücksicht mehr auf das Bühnengeschehen, gibt sich ganz dem noch einmal erklingenden rauschenden Schicksalsmotiv hin.

Die Tischgesellschaft von fröhich bis hysterisch. © Tom MesicMai Hong Lin bleibt bei ihrem Leisten: Das schöne Sterben (der Mutter in der Badewanne), der blumengeschmückte Sarkophag, die unglücklichen den Boden wischenden Frauen (diesmal mit Antonina im Irrenhaus), die Tafelgesellschaft, deren Fröhlichkeit in hysterisches Gekreisch kippt, sind immer wieder kehrende Elemente der, zugegeben eindrucksvollen, Bildsprache Mei Hong Lins. Die Mutter stirbt zu früh (Nuria Gimenez Villaroya). © Tom Mesic

Es wird ausdrucksstark und energiegeladen gerannt, gesprungen und mit den Armen gewedelt, langweilig ist keine der flink aneinandergereihten Episoden, die Charakterisierung der Personen jedoch bleibt an der Oberfläche. Auch wenn Tschaikowsky doppelt anwesend ist, tanzend, als Hauptfigur und imaginär, als Komponist, haben beide wenig mit einander zu tun.

Die bunte Tanzrevue unterhält das Publikum aufs beste. Choreografin, Tänzerinnen und Tänzer, sowie vor allem der Dirigent und das Orchester werden auch in der dritten (ausverkauften) Vorstellung mit lautstarkem Applaus bedankt.

Mei Hong Lin: „Schwanensee. Dort, wo wir nicht sind“, Musik von Peter I. Tschaikowsky. Gesehen am 24.10. 2015, Landestheater Linz / Musiktheater Volksgarten.
Nächste Vorstellungen: 29., 30.10.; 1., 6., 19.11. 2015.