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ImPulsTanz: Jonathan Burrows „Rewriting“

Admiral Burrows spricht und tanzt mit den Händen. © Hugo Glendinning

Der Tänzer und Choreograf Jonathan Burrows, Besucher*innen des alljährlichen ImPulsTanz Festivals durch die Duette mit Matteo Fargion bestens bekannt, zeigt im kühlen Keller des Leopold Museum sein erstes Solo: „Rewriting“. Basis sind eine Choreografie, die niemals verwirklicht worden ist und sein 2010 erschienenes Buch, „A Choreographer’s Handbook“ und gut hundert kleine beschriebene Zettel, die auf einem Stapel links vom Tänzer liegen und am Ende nach rechts gewandert sind. Ein intimes Kammerspiel, ein Solo, das keine Wünsche offen lässt.

Burrows sitzt und tanzt mit den Armen und Händen, der gesamte Text, jede Silbe, jedes Wort, ist choreografiert. Und schon sind wir mitten im Thema. Choreografie. Burrows verblüfft als Multitalent, er zeigt eine Choreografie und spricht gleichzeitig darüber und begleitet sich auch als Sounddesigner.

Aus dem Zettelkasten. © Jonathan Burrows Die Zettel, die er kunstvoll manipuliert, enthalten Gedanken, Fragen und Zitate aus dem genannten Buch. Manchmal liest er die Notizen ab, dann wieder kommentiert er sie oder zitiert aus dem Gedächtnis. Es gibt auch Text-Pausen, dann sieht man reine Choreografie oder hört die Toncollage, die er mit klatschenden Händen und klopfenden Fingern erzeugt. Und natürlich gehört auch das Klatschen, Klopfen, das Klingen der blitzartig die Tischkante entlangschabenden Finger dazu.

Ausgangspunkt des „Choreographer’s Handbook“ ist die Ansicht Burrows, dass es ein Irrglaube ist, davon auszugehen, „dass gute Arbeit das Produkt einzigartiger und vorgefertigter Ideen ist“. Im Gegenteilt, Burrows beruft sich auf eine Aussage des französischen Autors und Philosophen Édouard Glissant († 2011): „Wir enthüllen nicht länger die Gesamtheit in uns selbst durch Lichtblitze. Wir nähern uns dem durch Ansammlung von Sedimenten.“ Nach 45 Minuten ist der Turm ab- und rechts wieder aufgebaut. © Jugo Glendinning

Um die Kostümierung hat er sich sicher auch Gedanken gemacht, Burrows sitzt am Tisch mit seinem Zetteltstapel – aus acht davon baut er akribisch mit Freude über das Gelingen einen kleinen Kartenturm – und trägt Alltagskleidung, ist jedoch mit einem eleganten Dreispitz behütet. Ich sehe sofort, das, was hier präsentiert wird, ist eine ernsthafte Angelegenheit, Autobiografie und perfekte Choreografie über Sprache und Bewegung. Allerdings mit feinem Humor und im intimen Rahmen – mehr als 60 Zuschauer*innen / -hörer*innen will er seine Gedanken nicht mitteilen, seine Choreografie nicht zeigen.
Gerne fällt er aus dem selbst vorgegebenen Rahmen, muss lachen, wenn in den Reihen Lärm entsteht, oder das Publikum über seine Aperçus schmunzelt. Er will nah genug sein, um zu wissen, was man selbst tut und gleichzeitig fern genug, um zu „erfassen, was andere wahrnehmen“.Ausschnitt aus dem "Both Sitting Duet". Im Bild ohne Partner Matteo Fargion. © Mercat de les Flors

Seit 1997 arbeitet Burrows mit dem ImPulsTanz Festival zusammen. Anfangs als Gast unter dem Label Jonathan Burrows Group, später als Performer und / oder Choreograf für andere und schließlich ab 2006 mit den weltweit gefragten Duetten mit dem Musiker und Komponisten Matteo Fargion („The Quiet Dance“, „Both Sitting Duet“ und andere), dem er auch schon für frühere Choreografien die Noten geliefert hat. Seine Karriere als Tänzer hat Burrows, geboren 1960, beim Royal Ballet in London begonnen, doch, wie er erzählt, „die haben neue Choreografen gesucht und mich animiert, mich als Choreograf zu versuchen“. Mit der Gründung der Jonathan Burrows Group 1988 hat er dann vor allem seine eigenen Choreografien getanzt. Jonathan Burrows en face. © Ben Dowden

Für mich ist diese knapp eine Dreiviertelstunde währende Vorstellung („Sie könnte auch zwei Stunden dauern, aber nach 45 Minuten verzichtet der Performer und kündigt freudig das Ende an.“) eine Lecture-Demonstration darüber, wie wenig notwendig ist, um eine intelligente, konzentrierte, akribisch erarbeitete und zugleich überaus amüsante und fesselnde Vorstellung zu gestalten.
Nicht nur wenn er mit flinken Fingern seine Zettel aufblättert, hin- und herschiebt, hochhebt, hinter dem Rücken versteckt, erscheint mir Jonathan Burrows als Zauberkünstler. Ein Künstler ist er in jedem Fall, ein Künstler, der die Kunst des Minimalismus beherrscht.

Jonathan Burrows: „Rewriting“, Performance und Choreographie: Jonathan Burrows. 5., 6., 7. August 2019, ImPulsTanz / Leopold Museum.
Wegen des heftigen Andrangs gibt es am 8. Augst 2019 um 21 Uhr eine Zusatzvorstellung.