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Martin Schläpfer über die Uraufführung von „4“

Erste Solistin Olga Esina in "Live" von Hans van Manen.

Zwei Tage vor der Uraufführung seiner ersten Choreografie für das Wiener Staatsballett am 4. Dezember 2020 plaudert der neue Wiener Ballettdirektor und, wie er gerne betont, Chefchoreograf, Martin Schläpfer, in einer Videoschaltung mit geladenen Gästen über „4“ zur Musik von Gustav Mahlers 4. Sinfonie und dem vorangestellten Werk „Live“ von Hans van Manen. Chefdramaturgin Anne do Paço assistiert. Die geplante Uraufführung findet live in der Staatsoper statt, allerdings als Geistervorstellung. Das Publikum darf den Abend zeitversetzt auf Arte Concert als Livestream sehen.

Martin Schläpfer auf dem Cover des Buches "Mein Tanz, mein Leben" Gespräche mit Bettina Trouwborst. © Henschel Verlag Wichtig ist Schläpfer, das gesamte Wiener Staatsballett, Staatsopern- und Volksoper-Ensemble, auf die Bühne zu bringen. „Das Staatsballett soll zusammenwachsen und die Tänzer sollen mit einander vertraut werden“, zugleich sollen auch die neuen Ensemblemitglieder dem Publikum vorgestellt werden. Zu Beginn des Pressegesprächs wird allerdings die Ouvertüre des Abends, Hans van Manens außergewöhnliche Choreografie „Live" gelobt, „ein Werk das Grenzen überschreitet, von wunderschöner Leichtigkeit.“
Details zu van Manens „Live“ mit Olga Esina, einem Video und einem Kameramann der die Ballerina von der Bühne weg, durch den Orchestergraben und das Foyer, wo sie kurz mit einem Tänzer (Erster Solotänzer Marcos Menha) zusammentrifft, aus dem Haus hinausbegleitet, wie auch zur Uraufführung von „4“ sind ausführlich auf wiener-staatsoper.at/ zu finden.
Mit Bedacht hat Schläpfer nach diesem gespiegelten Solo, das zwar „Live“ heißt und auch live getanzt worden ist, aber in den Wohnzimmern nur ein Abbild bietet, die in allen Farben schillernde 4. Sinfonie Gustav Mahlers gewählt. Der Titel dieser für das Wiener Staatsballett geschaffenen Vorstellung des neuen Ballettdirektors (und Chefchoreografen) ist betont einfach gehalten: „4“. Schläpfer spricht von „Magie, Kommunikation und Austausch“ auf der Bühne und auch von einer „Hinterhältigkeit in der Musik im besten Sinn. Da sind so viele Schattierungen, und nicht immer ist das gemeint, was die Musik vorgibt.“ Videoausschnitt aus "Live", im Fernsehen und als Stream zu sehen. In allen Beurteilungen dieser letzten Komposition im dreiteiligen „Wunderhorn-Zyklus“ (sowohl für die 2. wie die 3. Sinfonie hat Mahler Gedichte aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ vertont) ist von der „Ironie“ und „groteskem Humor“ die Rede. Theodor Adorno hat die Doppelbödigkeit der 4. Sinfonie in der Wiener Gedenkrede zu Gustav Mahlers 100. Geburtstag1 ein „Als-Ob von der ersten bis zur letzten Note“ genannt. Martin Schläpfer sagt Ähnliches: „Es ist schon so, dass da nichts einfach ist.“
Die Liveübertragung hat Schläpfer der erfahrenen Regisseurin Myriam Hoyer überlassen. „Ich habe mich ganz auf meine Choreografie für die Bühne konzentriert. Erst beim Schnitt war ich dabei. Ich meine, die Aufzeichnung ist gelungen, auch wenn Sie nicht sehen, was Sie im Saal sehen würden. "4" mit Yuko Kato und Rebecca Horner.Es geht etwas verloren, doch entsteht eine andere Nähe, man kann sehen und spüren, was man im Zuschauerraum nicht sehen und hören kann. Auch in der Aufzeichnung kann das Stück bestehen." Hoyer wurde ihm empfohlen, mit Bühnenbildner Florian Etti und Kostümbildnerin Catherine Voeffray ist er wie mit dem Dirigenten der Uraufführung, Axel Kober, aus seiner Zeit als Chef des Ballett am Rhein vertraut. Die Livekamera in van Manens Videoballett führt seit der Uraufführung 1979 Henk van Dijk, der schon in jungen Jahren auf Anregung von van Manen von der Tanzbühne hinter die Kamera gewechselt hat und zu den renommiertesten Kameramännern der Tanzwelt zählt. „Live“ ist für ihn „der absolute Höhepunkt meiner Karriere.“ Auch für die Premiere der Miniatur mit Shino Takizawa am Klavier ist van Dijk, 68, nach Wien gekommen. Es wird seine letzte Vorstellung sein. "4" mit  Claudine Schoch und Marcos Menha. Schläpfer rückt ein wenig zurecht, dass er keine Geschichten erzähle, wie er schon öfter gesagt hat. Das tut er auch nicht, zumindest keine üblichen mit Anfang, Verwicklung und Ende, doch „es gibt zwar keine durchgehende Handlung, aber es gibt einen Gedanken, einen Text und eine durchdachte Dramaturgie. Es sind keine Rollen zugeschrieben, und ich werde daher auch keine Namen nennen, ich choreografiere für alle. Das ist ganz, ganz klar.“ Es sind auch in „4“ solistische Auftritte zu sehen und die gesamte Compagnie gemeinsam. "4" mit dem Ensemble.Wie alle Choreografien weiß er, dass „vorne genauso wichtig ist wie hinten.“ Solist*innen wie das Corps tanzten in seiner Choreografie, doch seien sie alle auch Menschen. „Sie sind individuell und gleichzeitig im Kollektiv.“
Mit einem kurzen Blick in die Zukunft – „ich plane zwei Ballette für das Volksopernensemble des Wiener Staatsballetts.“ – schließt Schläpfer seine Ausführungen.
Die Zuhörer*innen können Zoom ausschalten und sich an die Arbeit des Vermittelns machen.

Pressegespräch anlässlich der der Onlineaufführung von „Mahler, Live“ mit Martin Schläpfer und der Dramaturgin Anne do Paço.
Programm: „Live“ von Hans van Manen Musik: Fünf kleine Klavierstücke von Franz Liszt. Mit Olga Esina, Tanz; Henk van Dijk, Kamera; Shino Takizawa, Klavier; Einstudierung: Rachel Beaujean.
Martin Schläpfer: „4“, Uraufführung zu Gustav Mahlers 4. Sinfonie, G-Dur. Wiener Staatsopernorchester, Dirigent: Axel Kober; Sopran: Slávka Zámecníková.
Zoom-Pressekonferenz am 1. Dezember 2020, aus der Staatsoper. "4" von Martin Schläpfer: "Alle Tänzerinnen bitte auf die Bühne!"
Aufführungsdaten:
Livestream auf Arte Concert Freitag, 3. Dezember 2020, 20.30 Uhr.
Fernsehaufzeichnung von „4“, ORF 2, Dienstag, 8. Dezember 2020, 9.05 Uhr.
Fotos: Ashley Taylor, © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
1Theodor Adorno: „Gustav Mahler; Wiener Gedenkrede zur Feier des hundertsten Geburtstages“, Neue Deutsche Hefte, Februar 1961, Heft 79. Erstabdruck: Neue Zürcher Zeitung, Juli 1960.