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Höhenflug: Programmbuch 2020/21, Ballett & Oper

Coverbild: Tereza Vlčkova "A Perfect Day, Elise …No.12"

28 cm hoch, 20 cm breit, 544 Gramm schwer, in goldenen Buchstaben steht geschrieben. „Wiener Staatsoper Spielzeit 2020/21“. Auf dem Umschlag fliegt ein rothaariges Mädchen im hellblauen Kleidchen über die Sommerwiese dem Horizont entgegen. Ein Höhenflug, etwas unhandlich vielleicht, aber reichlich bebildert mit Werken aus allen Genres der bildnerischen Kunst. Wie bescheiden wirken dagegen die Programmbücher der vergangenen 10 Saisonen. Die Gedanken sind frei.

Was die Bilder dem an Oper und Ballett interessierten Publikum sagen sollen, erklärt der Autor und Kritiker Martin Conrads im Schlusssatz des essayistischen Geklingels von Hauptwörtern: „Und die Oper? Sie zeigt sich in allen Perspektiven, Formen, Figuren, Auftritten, Situationen, Requisiten sie zeigt sich in allem, auf allen Seiten gleichzeitig“.
Premiere in der Volksoper mit  "Adagio Hammerklavier" von Hans van Manen. Im Bild: Olga Esina, Vladimir Shishov; Nina Poláková, Eno Peçi; Ketevan Papava, Roman Lazik.  © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Und das Ballett? Kommt bei Bildfinder Conrads so wenig vor wie in der Einleitungsrede des Direktors Bogdan Roščic. Keine Bange, das Ballett hat seinen eigenen Direktor, der auch Chefchoreograf ist und die Freunde (und Freundinnen) des Balletts mit zwei brandneuen eigenen Choreografien überraschen wird. Gemeinsam mit „Live“ von Hans van Manen wird am 24. November auch Schläpfers neues Ballett „4“ in der Staatsoper uraufgeführt. Choreografiert ist das neue Werk zur 4. Symphonie von Gustav Mahler, nein, das ist nicht die mit dem berühmten Adaggietto, die trägt die Nummer 5. Die 4. endet mit einem Gedicht aus „Des Knaben Wunderhorn“, von Mahler für Sopran vertont. Der Titel des Abends ist prosaisch: "Mahler, Live". Seine erste Saison beendet Schläpfer am 26. Juni 2021 mit der Uraufführung der „Sinfonie 15“ von Dmitri Schostakowitsch. Für einen Abend mit etwa 40 Minuten zu kurz, also wird davor Choreografien von George Balanchine („Symphony in Three Movements“, Musik Igor Strawinski) und Alexei Ratmansky („Pictures at an Exhibition“, Musik Modest Mussorgski) zu sehen. Der russische Tänzer und weltweit arbeitenden Choreografen wird möglicherweise persönlich anwesend sein: Zum ersten Mal ist eine Choreografie von ihm in Wien zu sehen. Ballettdirektor und Chefchoreograf Martin Schläpfer, fotografiert von Tillmann Franzen.So kann auch Martin Schläpfer mit jedem Ballett, ob kurz an enem dreiteiligen Abend, oder abendfüllend, eine Wien-premiere feiern. Zum Beispiel mit der Choreografie zu Johannes Brahms Werk „Ein deutsches Requiem", das er mit dem Staatsballett in der Volksoper einstudiert (30. Jänner 2021); in der Staatsoper zeigtSchläpfer zwei Choreografien zu Kompositionen von Geögy Ligeti: „Lontano", 2009 und „Ramification", 2009 (an einem Abend mit Choreografien von Paul Taylor und Mark Morris ab 15. Mai 2021, Volksoper).
Doch um das Programm geht es hier gar nicht, das kann jederzeit im goldenen Buch für 5 € nachgelesen werden. Für zusätzliche 3 € Postgebühr wird es auch zugesandt. Hier geht es zur Bestellung. Mir scheint, da ist 1 € Einstandsgeschenk schon abgerechnet, denn in der nächsten Saison, entnehme ich der Site der Wiener Staatsoper, wird das Saisonbuch 6 € wert sein.
Was ein bissel störend wirkt in Schläpfers Einleitung zu seinem Programm, ist, dass er von „meinen Tänzerinnen und Tänzern“ spricht. Sie gehören ihm nicht, er ist Chef und Chefchoreograf, Trainer und Beschützer, aber nicht Besitzer. Als Choreograf ist er auch Künstler, als Direktor aber sind seine Aufgaben, wie auch die des Operndirektors Bogdan Roščić, ganz andere. Ohne die Künstlerinnen und Künstler, konkret das großartige Ensemble des Wiener Staatsballetts kann Martin Schläpfer sein Konzept und seine Ziele nicht verwirklichen. Er engagiert sie, verlängert oder beendet ihre Verträge, sie setzen ihren Geist und ihren Körper, ihr Können und ihr Feuer für den Tanz ein.
Trouvelot: "Star clusters in Hercules", 1877. © The New York Public Library, gemeinfreiSolange die Sänger*innen nicht singen, die Tänzer*innen nicht tanzen und die Musiker*innen nicht spielen, sollen die ins Saisonbuch eingestreuten Bilder (Fotos, Grafiken, Malerei) Genuss und Freude bereiten. Irgendwie haben viele auch mit dem Tanz zu tun, es schwebt, strebt nach oben oder funkelt, wie, mit einiger Vorstellungskraft, auf der Doppelseite vor dem Kapitel „Ballett“. Dieses zeigt ein historisches Foto von 1877: Der Astronom Étienne Léopold Trouvelot hat „Star clusters in Hercules“ fotografiert. Aufbewahrt wird das Bild in The New York Publik Library. Leider ist der Cluster direkt im Falz, doch die punktgroßen Sterne rundum kann man im Kopf leuchten lassen. Vertiefen kann ich mich auch in ein Foto von Archivar Fritz Frankhauser. Choreografie im Grünen: „Obstbaukurs Biglen“, 1920. © Frizt Frankhauser / Schweizerisches NationalmuseumEr ließ 33 junge Obstbauern über acht lange Leitern auf einen kahlen Baum klettern. Eine Choreografie. Das bewegt wirkende Bild ist 1920 in Grosshöchstetten als Erinnerung an den „Obstbaukurs Biglen“ entstanden und gehört dem Schweizerischen Nationalmuseum. Wenn das Programm studiert ist, alle Termine im Kalender stehen, ist Zeit, sich träumend den Bildern zu widmen. Allmählich enthüllt sich der Sinn der mehrheitlich schwarz-weißen Einschübe. Und wenn nicht? Egal. Dekoration muss keinen Sinn haben.

Zwei Bemerkungen noch. Die erste Ballettpremiere findet in der Volksoper statt. So eine richtige Premiere ist der dreiteilige Abend nicht, denn sowohl „Skew-Wiff“ (Sol León & Paul Lightfoot / Rossini) wie auch „Adagio Hammerklavier" (Van Manen / Beethoven) und „Symphony of Psalms“ (Jiři Kylián / Strawinski) finden sich bereits seit geraumer Zeit im Repertoire des Staatsballetts. Neu ist lediglich die Zusammenstellung der drei Stücke, deren Choreografen alle einmal das NDT (Nederlands Dans Theater) geleitet und stark beeinflusst haben. Der Abend ist "Hollands Meister" benannt (ab 20. September 2020, Volksoper).
Sowohl im Programmbuch wie auf der Website Weiterhin im Repertoire: "Schwanensee". Im Bild Maria Yakovleva, Masayu Kimoto.   © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor sind jetzt die beiden Teile des Staatsballetts vereinigt. Deshalb finden sich auch die Ballettaufführungen in der Volksoper im Buch sowie online. Das ist überaus hilfreich und würde auch das so sorgsam gepflegte Archiv wertvoller machen. Bis dato ist nur schwer herauszufinden, wann das Staatsballett welchen Ballettabend in der Volksoper gezeigt hat.

Das andere Aperçu besagt, dass der Ballettclub der Staatsoper und Volksoper unter das Dach der Oper geschlüpft ist. Ingeborg Tichy, die vor 21 Jahren den Club gegründet hat, ist jetzt dessen „Botschafterin".
Die Opernfreunde (Freunde der Wiener Staatsoper) bleiben weiterhin unabhängig. Bogdan Roščić will einen eigenen „Freundeskreis“ bilden.

Das Saisonbuch 2020/21 der Wiener Staatsoper mit Programmvorschau auf Ballett und Oper. Bestelladresse