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Tagung: „Die Herausforderung, Wagner zu singen“

Theorie und Praxis führten die Wiener Staatsoper und die Europäische Musiktheater Akademie in einem besonderen Symposium zusammen. Was denken führende Wissenschaftler der Richard Wagner-Forschung über dessen Gesangskompositionen, und wie gehen Top-Wagner-Sänger mit den Herausforderungen um? Im Teesalon der Staatsoper gab es höchst Interessantes darüber zu erfahren.

Richard Wagner gehört bis heute zu den am meisten diskutierten Opernkomponisten. Immerhin gab er dem Musiktheater des 19. Jahrhunderts eine neue Richtung und wollte ein „Gesamtkunstwerk“ schaffen, in dem Musik, Gesang, Bühne und Spiel gleichwertig seien. Auch seine antisemitische Grundhaltung sowie die spätere Vereinnahmung seines Werkes durch die Nationalsozialisten sind noch 134 Jahre nach seinem Tod ein permanentes Thema für Publikum, Künstler und Wissenschaftler.

„Wortton-Melodie der menschlichen Stimme. Die Herausforderung, Wagner zu singen“ – unter diesem Titel luden Isolde Schmid-Reiter und Dominique Meyer in ihrer Funktion als Theaterwissenschaftlerin, Staatsoperndirektor und Leitende der Europäischen Musiktheater-Akademie in den Teesalon. Zwei Tage lang referierten und diskutierten ForscherInnen und KünstlerInnen verschiedene Aspekte, wie  etwa über Hochleistungsstimmen, Heldentenöre, Wagner-Orchester oder wie man Wagner-Opern besetzt.

Ein Highlight war ein von Aviel Cahn, Direktor der Opera Flaanderen, Antwerpen/Gent, moderiertes Round Table-Gespräch über „Der Sing-Schauspieler als Wagners Ideal." Es diskutierten Regisseurin Tatjana Gürbaca, Regisseur Kasper Holten, Sopranistin Angela Denoke, Bass-Bariton Tomasz Konieczny und Musikwissenschaftler John Deathridge über ihre Erfahrungen. Gürbaca etwa warf ein Schlaglicht auf eine weniger bekannte Seite Wagners, nämlich die musikalische Intimität in manchen seiner Werke. Sie wird im Dezember 2018 im Theater an der Wien an drei Tagen eine bearbeitete, gekürzte Fassung der „Ring-Trilogie“ inszenieren. Im Zuge dieser Arbeit sei ihr erst aufgefallen, wie sehr „diese Werke aus Sprache und Text gearbeitet sind. Wagner dachte in Szenen“, so Gürbaca.
Sängerin Denoke sieht sich selbst als „Singschauspielerin. Wenn wir mehr Probenzeit zur Verfügung hätten, ließen sich diese kammermusikalischen Nuancen besser herausarbeiten“. Das bestätigt auch Regisseur Holten, der Wagners „Geheimnis im Detail“ wittert. Seiner Meinung nach ließe man sich „von der großartigen Musik und dem mythologischen Stoff leicht verführen“ und werde derart abgelenkt von Wagners feinen Nuancen. John Deathridge sieht im Bayreuther Festspielbetrieb die ideale Voraussetzung, weil das komplexe Musiktheater Wagners mehr Zeit benötige.

Aviel Cahn stellte auch die berüchtigte Frage nach dem Verhältnis Regisseur und Sänger. Dazu Tomasz Konieczny: „Normalerweise gibt es kein Problem, außer wenn das grundlegende Verständnis für den Inhalt des Werkes fehlt“. Ob die von manchen Regisseuren gewünschte körperliche Aktion neben dem Gesang zu herausfordernd wäre? Sowohl Denoke als auch Koneczny verneinen das. Im Gegenteil, eine extreme Statik, wie etwa in Inszenierungen von Robert Wilson, verlange eine große Körperbeherrschung und sei gegen die natürliche Expressivität während des Singens. Denoke erzählt, dass sie sich manchmal eher unterfordert fühlte, da Regisseure heute die Tendenz hätten, zu wenig zu wollen und die Sänger nicht als Schauspieler zu betrachten.

Regisseur Kasper Holten wiederum meint, dass „Wagner-Sänger“ öfters spezialisiert seien auf Rollen, und auch das Publikum in Wagner-Opern reagiere anders als in Aufführungen anderer Komponisten. „Oft habe ich den Eindruck, wir spielen für einen Club. Aber Wagner-Libretti sind nicht die Bibel“.

Eine andere komplexe Frage ist jene nach der Reife einer Stimme für eine Wagner-Rolle. Heute wären vorwiegend junge Sänger-Darsteller gefragt, weshalb die Agenturen auch solche vermittelten. Ein Risiko, sind sich alle DiskutantInnen einig, denn bekanntlich geht es nicht nur darum, Töne richtig zu treffen, sondern um eine Grundkonstitution, die sich erst mit der Zeit aufbaut.

Tagung der Europäischen Musiktheater-Akademie und der Wiener Staatsoper: „Worttonmelodie der menschlichen Stimme – Die Herausforderung, Wagner zu singen“ 10., 11. April  2017, Staatsoper Wien.