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Liu Zhenyun – Scheidung auf Chinesisch

Autor mit Humor: Liu Zhenyun © http://www.confuciusinstitute.hw.ac.uk/

Li Xuelian, eine junge Bäuerin, tappt in ihre eigene Falle. Weil sie ein zweites Kind erwartet, was wegen der chinesischen Ein-Kind-Politik, ihrem Mann den Job kosten könnte, will sie sich scheiden lassen. Pro Forma nur. Dann hätte jeder ein Kind, noch Ehemann Qin Yuhe den Sohn und Li Xuelian das erwartete Mädchen.

Doch Qin Yuhe hat schon eine Andere, ist froh, dass die Trennung so problemlos vor sich ging und denkt nicht daran, sich, wie ausgemacht, nach einiger Zeit wieder mit seiner Exfrau zu verheiraten. Li Xuelian geht zum Kadi, sie will beweisen dass die Scheidung eine Farce war und die neuerliche Verehelichung einklagen. Der Exmann hat den besseren Anwalt oder das üppigere Bestechungsgeld und Li Xuelian verliert den Prozess, wird auch noch von ihrem ehemaligen Gatten beschimpft. Das will sie nicht auf sich sitzen lassen und beginnt eine 20-jährige Reise durch die unfähigen und korrupten Instanzen. Deren Höhepunkt der alljährliche „Nationalkongress der Volksdeputierten“ in Peking ist, wo sie ihren Protest in der „Großen Halle des Volkes“ vorbringen will. Buchcover © Lübbe / Ehrenwirt

Bald ist sie (als „kleiner Kohlkopf“, in Anlehnung an die Angeklagte in einem berühmten Kriminalfall) nicht nur in ihrem Heimatort sondern in der gesamten Provinz bekannt und gefürchtet. Denn weil sie nicht aufgibt und immer eine Etage höher klettert mit ihrer Beschwerde, verlieren die wie die Maden im Speck lebenden Beamten nach der Reihe ihren Posten, werden nach Haus geschickt oder degradiert. Bald wird Li Xuelian von einer ganzen Armee begleitet, wenn sie zum Jahrestag wieder nach Peking reist. Immer wieder kann sie entschlüpfen. Doch dann hat ihr Schulfreund, der „Großkopf“ genannte Koch, eine Idee. Er will Li Xuelian heiraten und dadurch wird sie hoffentlich Ruhe geben. Wieder tappt die inzwischen 40jährige in eine Falle.

Der chinesische Bestsellerautor Liu Zhenyun hat mit der selbstbewussten und sturen Bäuerin einen asiatischen weiblichen Kohlhaas geschaffen. In der vor Witz sprudelnden Satire kritisiert der die chinesische Beamtengesellschaft und erzählt so nebenbei von den Sitten und Umständen des Lebens im heutigen China. Sowohl Kohlhaas wie Lin Xuelian rufen ohne zu erlahmen nach „Gerechtigkeit“ und werden nicht gehört. Jedoch verliert Michael Kohlhaas mit fortschreitender Lektüre von Heinrich von Kleists Novelle ob seines Starrsinns immer mehr an Sympathie, die alternde Lin Xuelian jedoch behält ob der lockeren Erzählweise ihres Schöpfers und ihres unermüdlichen Kampfes gegen eine eingeschworene Männergesellschaft meine Zuneigung.

Eine unterhaltsame Persiflage, die glaubwürdig von lebendigen Menschen erzählt und die Missstände mit Humor beleuchtet. Michael Kahn-Ackermann liefert eine flüssige und sicherlich stilistisch adäquate Übersetzung.
Liu Zhenyun, geboren 1958, ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Heimat China. Seine preisgekrönten Werke erreichen ein Millionenpublikum,mehrerer seiner Bestseller wurden in China erfolgreich verfilmt. Geschickt meistert er dabei den Spagat zwischen literarischem Anspruch, gelungener Unterhaltung und treffender Gesellschaftskritik. Mit Scheidung auf Chinesisch sollte seinen Romanen auch der internationale Durchbruch gelingen.

Qiu Xiaolong: China im Krimi. © Hanser /ZsolnayGesellschaftskritik im Krimi. Den hat Qiu Xiaolong mit seinen Krimis längst geschafft. Der freundliche, bedächtige Ermittler Oberinspektor Chen ist auch in Europa beliebt. Buchcover: Chens 8. Fall ©Zsolnay
Gar nicht nebenbei untersucht auch Giu Xialong die chinesische Gesellschaft und üben immer wieder Kritik an der Lokalpolitik. Qiu Xiaolong erzählt bedächtig und ersetz Spannung durch Humor.

Mitte Februar erscheint ist Chens achter Fall: „Schakale in Shanghai“. Oberinspektor ist der sympathische Inspektor nicht mehr. Man hat ihn weggelobt. Der Wunsch nach Gerechtigkeit darf nicht über die Parteiinteressen gehen. Qiu Xiaolong, geboren 1953, lebt seit 20 Jahren in den USA und schreibt seine Kriminalromane auf Englisch.

Liu Zhenyun: Scheidung auf Chinesisch, übersetzt von Michael Kahn-Ackermann, Ehrenwirt 2016, 352 S. € 25,50.
Qiu Xiaolong: Schakale in Shanghai, Deutsch von Susanne Hornfeck, Zsolnay 2016. 320 S. € 20,50.