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Diana träumt sich in ein neues Leben

Jodi Picoultbeweist auch in ihrem jüngsten Roman, „Ich wünschte, du wärst hier“, ihre Stärken. Der amerikanischen Erfolgsautorin gelingt es, kontroverse Themen und aktuelle Probleme zur Diskussion zu stellen, indem sie die Kernfragen personalisiert und in eine spannende Geschichte locker verpackt. In „Wish You Were Here“ beleuchtet sie eine wohlbekannte Tatsache: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.“ John Lennon (1940–1980) drückt es in einem Song so aus: „Life is what happens while you are busy making other plans.“ / „Leben ist, das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“

Niederlassung von Sotheby's in New York. Hier arbeitet Diana, die Erzählerin ihrer Geschichte. ©.theartnewspaper.com/Genau das muss auch Diana, die erzählende Heldin in „Ich wünschte, du wärst hier“, erfahren. Noch ist sie dabei, eifrig Pläne zu machen, und sie weiß genau, was sie will. Ihren Traumjob hat sie bereits erobert, sie arbeitet als Assistentin mit Aufstiegschancen in der Galerie Sotheby’s in New York City. Demnächst wird sie dreißig und will mit ihrem Gefährten, dem Chirurgen Finn, die Galapagosinseln bereisen und danach wird geheiratet. Da ist sie sicher, schließlich hat sie das verdächtige Schächtelchen bereits im Wäschekasten entdeckt und weiß, da ist der Verlobungsring drinnen. Toulouse-Lautrec: "Dans le Lit", auch "Der Kuss" betitelt. Dieses Bild will Kitomi Ito doch nicht sofort verkaufen.  © gemeinfrei
 Davor aber wird sie noch den ehrenvollen Auftrag erledigen, die Künstlerin Kitomi Ito in ihrem Vorhaben, ein Gemälde von Toulouse-Lautrec zu verkaufen, zu bestärken. Selbstverständlich soll Kitomi das Bild aus der berühmten Serie „Le Lit / Das Bett“ Sotheby’s zur Versteigerung übergeben. Kitomi Ito ist Witwe, ihr Mann, Sänger der Nightjars, ist vor 40 Jahren in New York auf offener Straße ermordet worden. Es klingelt vermutlich im Leserin-Gehirn, denn die Autorin spielt mit ihr ein keckes Spiel. Ein Spaß, der bei Kennerinnen der Lennon-Legende schon bei Erwähnung des Bildes (Diana gibt eine genaue Beschreibung dees Bildes und erzählt zugleich vom berühtem nachgestellten Plattencover mit dem nackten Paar) heftiges Klingeln im Gedächtnis ausgelöst hat. Isabela, die Hauptinsel im Galapagos-Archipel, ein Paradies für Touristen. © drinkteatravel.com/Leider erlebt Diana eine Schlappe, denn Kitomi zögert mit dem Verkauf. Das Corona-Virus hat sich zwar zaghaft, aber doch deutlich, gemeldet. Die Börse könnte einbrechen, wie schon sicher ist, dass Dianas Karrierepläne eingebrochen sind. Aus der gemeinsamen Galapagos-Reise wird nichts, Finn hat Spitalsdienst. Doch er überredet Diana, alleine Urlaub zu machen und, weil es schade ist um das schöne Geld, stimmt sie widerstrebend zu. Schon wieder sollte es klingeln, das Reiseziel hat Picoult nicht zufällig gewählt. Der Naturforscher Charles Darwin (1809–1882) hat zwar nicht nur die Galapagos bereist, doch hat er angeblich beim Studium der Vögel des Archipels (Galapagos-Finken benannt) die ersten Ideen zur „Entstehung der Arten“ gehabt. Seltsame Tiere sehen dich an. Nur auf den Galapagos leben noch wie in grauer Vorzeit riesige Warane. © natureglapagos.comKern dieser Theorie ist die Selektion oder Auslese: Nur die Angepassten überleben, diejenigen, die mit den neuen Umständen (für die Finken war das ein Klimawandel mit häufigem, starkem Wind) nicht zurechtkommen, wandern aus, oder pflanzen sich nicht fort, sterben also aus. Darum geht es auch im Roman. Diana ist in einem Paradies gefangen. Schon in der Erzählung aus der Bibel hat das Paradies eine Mauer, dass Adam und Eva in Wahrheit gefangen sind und sich erst durch den Ungehorsam befreien können, wird kaum erwähnt. Diana muss sich zurechtfinden, und sie macht das Beste aus diesem unfreiwilligen Aufenthalt. Wie gut das wirklich ist, erfährt man erst, wenn sie wieder in N.Y. ist. Diana ist hingerissen von der Schönheit der Insel. © natureglapagos.com
Die Insel Isabela, auf der Diana als einziger Gast landet, ist bereits im Ausnahmezustand. Niemand darf hinein, niemand darf hinaus. Die Hotels sind geschlossen. Die Angst vor dem Virus geht um. Diana sitzt auf der Straße, ohne Gepäck, denn das ist am Flughafen verschwunden, und ohne Unterkunft. Das kleine Hotel ist geschlossen. Lediglich die alte Abuela (spanisch: Großmutter) fürchtet sich nicht, sie hat ein Zimmer für Diana. Bald lernt die Gestrandete auch Beatriz, Abuelas Enkelin und Gabriel, den Sohn, kennen. Dem Verliebtsein steht nichts im Weg. Gabriel zeigt ihr die schönsten Buchten, die geheimsten Plätze, steigt mit ihr auf den Vulkan und taucht mit ihr nach Muscheln. Doch die Strömung im Pazifischen Ozean ist tückisch, Gabriel und Diana werden auseinandergerissen und das Letzte, was sie hört, ist seine Stimme: „Du schaffst das, Diana.“ Wenn sie wieder zu sich kommt, liegt sie in einem Bett.Auch dieses berühmte Plattencover, wofür sich John Lennon und Yoko Ono als Nackerpatzeln fotografieren ließen, beschreibt Diana haargenau. Bei ihr sieht man allerdings Kitomi Ito und Sam. Auf diesem Album, "Double Fantasy", 1980,  ist auch Lennons Song "Beatuful Boy (Darling Boy",  aus dem das Zitat über das Planen stammt. © johnlennon.com
Und mehr wird nicht erzählt, denn die Autorin hat einen Schock eingebaut, der es geraten sein lässt, fest und gemütlich zu sitzen, während man mit Diana unter Wasser gezogen wird. Danach ist eine Atempause vonnöten, bevor man sich Teil 2 des Romans widmet.
Das sonnige Galapagos mit der wunderbaren Fauna und Flora müssen wir verlassen und wir geraten mitten in das erste Jahr der Corona-Pandemie. Ob New York oder Wien, überall passiert das Gleiche, die Menschen versuchen, einander Mut zu machen, durchzuhalten, die Isolation im Lockdown zu nützen oder gar zu genießen und auf ein Gegenmittel oder das Abklingen der vielfach tödlichen Infektion zu warten. Und viele der Leserinnen haben es selbst erfahren: Es wird nie wieder so wie früher. Auch Dianas Leben stülpt sich um. Weder die Kunst der Malerei noch die Hochzeit interessiert sie noch, und Finn muss erkennen, dass er sich ein Bild von ihr gemacht hat, das eine Diana zeigt, die es nicht oder nicht mehr gibt. Das Ansonia Appartement-Haus, in dem die erfundene Figur Kitomi Ito wohnt. Yoko Ono (* 1933), das Vorbild, wohnt nicht weit entfernt, im Dakota House, in einer der teuersten Wohnungen von New York City. © gemeinfrei
Jodi Picoult schildert die schönen Tage auf der fernen Insel ebenso eindringlich wie die schreckliche Zeit Pandemie in New York City. Gleicht der erste Teil einem annus mirabilis, erfüllt von positiven Gefühlen, von Sonnenschein und Meereswellen, so dräuen im zweiten ­ nahezu zwei anni horribiles, um mit der verstorbenen englischen Königin zu sprechen, ­ düstere Wolken. Angst und Einsamkeit, Verlust und Tod sind dauerpräsent. Gefühle, die auch der Leserin das Herz abschnüren, zumal, wie schon gesagt, jeder diese schweren Zeiten durchstehen hat müssen. Buchcover © C. BertelsmannPicoult spricht auch aus eigener Erfahrung. Als Asthmatikerin war sie während der Pandemie monatelang eingeschlossen: „Ich habe das Buch geschrieben, weil ich mich daran erinnern musste, wer ich war, als meine Welt auf den Kopf gestellt wurde, und weil es für mich heilsam war, die Lektionen des Jahres 2020 zu verarbeiten.“ (Nachwort)
Jodi Picoults Romane sind, auch wenn sie in Teilen überaus vergnüglich zu lesen sind und immer direkt ins Sonnengeflecht zielen, keinesfalls im Genre „Trivialliteratur“ einzuordnen. Sie sind niemals seicht, geben jedes Mal von neuem genügend Stoff zum Nachdenken. Dass Netflix eine Option für „Ich wünschte, du wärst hier“ hat, sollte der Autorin nicht zum Nachteil gereichen.

Jodi Picoult: „Ich wünschte, du wärst hier„, "Wish You Were Here“, aus dem Amerikanischen von Elfriede Peschel, C. Bertelsmann,2022. 416 Seiten. € 22,70. E-Book: € 15,99.

Gabriele Sonnberger: „Abschied von der Heimat“

Ein Debüt, das sich lesen lassen kann, der Auftakt zu einer dreiteiligen „böhmischen Familiensaga“. Für ihr Debüt hat sich Gabriele Sonnberger vom Schicksal ihrer Mutter inspirieren lassen, die, wie die Romanfigur Erika, im südböhmischen Dorf Hohenfurth (Vyšší Brod) aufgewachsen ist. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs und der Gründung der Tschechoslowakei erhalten alle deutschen Bewohner den amtlichen Befehl, das Land sofort zu verlassen. In „Abschied von der Heimat“ erzählt Sonnberger von Erikas sonnigen Kinderjahren und den schwierigen Schuljahren mitten im 2. Weltkrieg bis zur Vertreibung danach.

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Beyerl/ Hofmann: „Die Dörfer von Wien“, Sachbuch

Die beiden Autoren, Beppo Beyerl und Thomas Hofmann, treffen einander immer dann, wenn es in Wort und Bild um Wien und seine Bewohnerinnen geht. Beyerl, 1955 in Wien / Hadersdorf geboren, ist von Beruf Wienkenner, Erzähler und Schreiber, die Vergangenheit ist ihm ebenso nahe wie die Gegenwart; sein Mitautor Hofmann, 1964 ebenfalls als Wiener geboren, ist Leiter der Fachabteilung Bibliothek, Verlag & Archiv der Geologischen Bundesanstalt, da bleibt offenbar auch viel Zeit zu schreiben, solo und à deux. Das neueste Werk des Duos handelt von den Dörfern, die rund um den Kern von Wien als Vororte ab dem 19. Jahrhundert in mehreren Schüben eingegliedert worden sind, die Stadt zwar vergrößert, doch ihre dörfliche Struktur oft behalten haben. Beyerl und Hofmann bieten einen reich bebilderten Spaziergang durch die Stadt und an ihre Ränder.

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Kent Haruf: „Ein Sohn der Stadt“, Roman

Von seinem ersten Roman an siedelt Kent Haruf seine Geschichten über das menschliche Wesen in der fiktiven Kleinstadt Holt im gebirgigen Bundesstaat Colorado an. So auch in seinem zweiten Roman „Where You Once Belonged”, in der deutschen Übersetzung „Ein Sohn der Stadt“ genannt. Hauptperson ist der charmante, doch rücksichtslose Jack Burdette, der sich im Städtchen als Fußballstar beliebt macht und dies so skrupellos ausnützt, dass er nicht nur ein Leben zerstört. Als zweite Romanveröffentlichung Harufs ist "Where You Once Belonged" 1990 in New York erschienen.

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Raphaela Edelbauer: „Dave“ Science-Fiction

Die Wiener Autorin Raphaela Edelbauer ist gerade mal 30 Jahre alt und schon mehrfach preisgekrönt. Nach dem „philosophisch-fantastischen“ (ORF) Roman „Das flüssige Land“, der auf allerlei Shortlisten genannt worden ist, widmet sie sich nun in dem „technisch-fantastischen“ Roman der Zukunft. „Dave“ ist der Titel der Science-Fiction und zugleich der Name einer hochentwickelten künstliche Intelligenz (KI), der kaum mehr etwas fehlt an Hirnschmalz, nur ein fühlendes Herz hat sie nicht.

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Stefan Slupetzky: „Im Netz des Lemming“, Roman

Der Lemming, schon lange kein Polizist mehr, sondern Nachtwächter im Schönbrunner Tiergarten, verfängt sich diesmal selbst im Netz, im weltweiten Netz. Auch wenn er sich gar nicht damit auskennt, bekommt er die schwärzesten Seiten dieser Krake zu spüren. In der Straßenbahn bietet er Mario, dem Schulkollegen seines Sohnes Benjamin, ein Zuckerl an, ein Freund von Recht und Ordnung missdeutet diese Geste. Und der Lemming wird öffentlich gebrandmarkt.

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Niklas Natt och Dag: „1794“, historischer Roman

Der zweite Band der schwedischen Trilogie von Niklas Natt och Dag spielt ein Jahr nach den Geschehnissen im ersten, 1794. Das erklärt sich bereits aus dem Titel: „1794“. Manche Bekannte tauchen wieder auf, neue müssen kennen gelernt werden und historische Personen sind kunstvoll mit den fiktiven Figuren, den sympathischen wie  den abscheulichen, verwoben.

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Ali Smith: „Es hätte mir genauso“, Roman

Immer wieder kann mich die schottische Autorin Ali Smith mit ihren Einfällen, ihrer Sprache und ihren Wortspielen bezaubern. Wie viele ihrer Romane ist auch „Es hätte mir genauso“ kein Roman im herkömmlichen Sinn. Darauf weist nicht nur das offene Ende hin. Was rätselhaft ist, muss auch so bleiben. „There but for the“ (Originaltitel) ist 2011 erschienen und nun in der kongenialen Übertragung von Silvia Morawetz als Taschenbuch erschienen.

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Susanne Mischke: „Zärtlich ist der Tod“, Krimi

Susanne Mischkes Kriminalromane lesen sich angenehm. Neben dem Hauptthema spielen auch das Privatleben und die Eigenheiten der Ermittler*innen unter Kommissar Bodo Völxen eine wesentliche und auch amüsante Rolle. Im Zentrum des 8. Hannoverkrimis stehen jedoch einsame Damen über 50, die sich von einem charmanten Herrn umgarnen lassen.

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Bernhard Schlink: „Olga“, Roman

Der unmittelbaren Vergangenheit, also das 20. Jahrhundert, vor allem die Zeit der nationalsozialistischen Seuche, gilt ein Hauptinteresse des deutschen Juristen und Schriftstellers Bernhard Schlink. Schon in seinen Kriminalromanen rund um den Detektiv Selb dient die Handlung im Hintergrund auch der Vergangenheitsbewältigung. Sein jüngster Roman, „Olga“, beginnt schon im 19. Jahrhundert, wenn Olga zur Welt kommt. Mit ihr durchmisst der Autor Holter die Polter das gesamte vergangene Jahrhundert der deutschen Bundesrepublik, vor allem, um die deutsche Großmannssucht anzukreiden.

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