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Bernhard Schlink: „Olga“, Roman

Autor Bernhard Schlink. Foto Alberto Venzago © Diogenes Verlag

Der unmittelbaren Vergangenheit, also das 20. Jahrhundert, vor allem die Zeit der nationalsozialistischen Seuche, gilt ein Hauptinteresse des deutschen Juristen und Schriftstellers Bernhard Schlink. Schon in seinen Kriminalromanen rund um den Detektiv Selb dient die Handlung im Hintergrund auch der Vergangenheitsbewältigung. Sein jüngster Roman, „Olga“, beginnt schon im 19. Jahrhundert, wenn Olga zur Welt kommt. Mit ihr durchmisst der Autor Holter die Polter das gesamte vergangene Jahrhundert der deutschen Bundesrepublik, vor allem, um die deutsche Großmannssucht anzukreiden.

Olga Rinke, die Protagonistin, wird 1880 im heute polnischen Wroclaw, also Breslau, geboren und stirbt 90jährig in einer kleinen Stadt am Neckar, die leicht als Heidelberg zu identifizieren ist, wo Schlink studiert hat. Olgas Eltern sterben früh am Fleckfieber, und das Kind wächst bei der Großmutter auf. Die hat für die Ambitionen des Mädchens, Lesen und Schreiben zu lernen, nichts übrig, sie will aus ihr eine Bäuerin machen. Doch Olga setzt sich durch und wird Lehrerin.Die kleine Stadt am Neckar , wo Olga sich niederließ. © Martin Kunzel Berlin / GNU FDL

1945 muss sie aus Schlesien fliehen und landet am Neckar, wo sie als Näherin das Vertrauen einer Pfarrersfamilie, besonders des Sohnes Ferdinand, erwirbt. 

Blick vom Hafen Tromsø Richtung Eismeerkathedrale, die letzte Station von Herbert. © Free Licence /  https://commons.wikimedia.org/wiki/ Eine noch wichtigere Rolle, die wichtigste ihres Lebens überhaupt, spielt der Jugendfreund Herbert, der Sohn des reichen Gutsbesitzers. Zwischen den beiden Heranwachsenden entwickelt sich eine tiefe Liebe, doch an eine Heirat ist nicht zu denken. Die Eltern Herberts tun alles, um die Verbindung zu verhindern. Herbert ist das Gegenteil von der wissbegierigen, durchsetzungskräftigen Olga, die genau weiß, was sie will. Herbert träumt vom großdeutschen Reich, von der Eroberung fremder Länder und der Bewässerung der Wüste. Ziellos streift er durchs Leben, nimmt 1904 an der Niederschlagung des Aufstandes der Herero in der deutschen Kolonie Südwestafrika teil. Später bricht er unvorbereitet zu einer riskanten Expedition ins Nordpolarmeer auf, um „Deutschlands Aufgabe in der Arktis“ zu erfüllen. Von dort kehrt er nie zurück. Für diesen Trip gibt es ein reales Vorbild.

Was immer Herbert tut oder lässt, Olga verzeiht ihm seine hochfliegenden Pläne, seine wirren Träume von Freiheit und Weltherrschaft, seine Untreue und Hybris. Unermüdlich schreibt sie ihm, wohlwissend, dass er nie mehr zurückkommen wird, ihre Liebesbriefe.

Diese Briefe, zwischen 1913 und 1915 postlagernd nach Tromsø gesandt, machen den dritten Teil des Romans aus. Ferdinand, dem Olgas unerwarteter Tod, bei einem nächtlichen Bombenattentat auf das Bismarck-Denkmal, einige Rätsel aufgibt und der sie nicht vergessen kann, gibt viel Geld aus, um diese gefühlvollen Briefe von einem Antiquar zurückzukaufen. Kamelreiter der deutschen Schutztruppe während des Herero-Aufstands, 1904 © Bundesarchiv

Schlink kann es nicht lassen, die interessante und überaus aufmunternde Lebensgeschichte Olgas samt ihrer unverbrüchlichen Liebe zum Schaumschläger Herbert, mit der Beschilderung 20. Jahrhundert (Kolonialismus, Studentenrevolte, Jeans) zu garnieren. Schade. Olga und Herbert samt Ferdinand hätten als gegensätzliche Teile des ganzen genügt. Olga ist eine für ihre Zeit ungewöhnliche Frau, emanzipiert und willensstark, das genaue Gegenteil der wenig tüchtigen und leicht zu beeinflussenden Mannsbilder.

Die Geschichte Olgas wird von Ferdinand erzählt, doch das erklärt sich erst im Lauf der Lektüre. Mit ihm entdeckt die Leserin auch, allerdings erst am Ende, die Geheimnisse in Olgas Leben, das anfangs so geradlinig und gewöhnlich erscheint. Schlinks Stil ist trocken und schmucklos. Buchcover © Dieogenes Verlag Schon in seinem 2014 erschienen Roman, „Die Frau auf der Treppe“, hat Schlink gezeigt, dass er von der körperlichen Liebe wenig Ahnung hat. Auch in „Olga“ flüchtet er in Kitsch und Pathos, wenn er erzählt, dass Olga und Herbert miteinander schlafen, wohl wissen, dass ihre Verbindung niemals offiziell sanktioniert wird. Mit den echten Gefühlen tut er sich leichter. Olgas Briefe tragen den Roman, nicht nur, weil die Leserin in ihr Innerstes sehen kann, auch weil klar wird, warum Olga Herbert niemals vergessen wird. Sie ist wütend, wenn er sie immer wieder verlässt, ängstlich wartet sie auf Antwort aus der Ferne, die dann nie mehr kommt. Doch ihre Liebe versiegt nie und auch nicht der Wille, ihr Leben selbstständig zu gestalten bis zum Tod. So ein schöner Roman wäre „Olga“ geworden, wäre da nicht dieses überflüssige Brimborium, das Plattes und oft Gesagtes widerkäut.

Bernhard Schlink: „Olga“, Diogenes2018, 311 S., € 24,70.