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brut: Matteo Haitzmann badet im Styx

Matte Haitzmann: Über den Wolken.

Matteo Haitzmann will den Löwen auch spielen. In seiner neuen Performance, Im Styx baden, tritt er als Performer, Musiker und Komponist auf, und singt auch – düstere Balladen von Einsamkeit und Isolation. Am 22.10. war Premiere im brut nordwest. 

Musiker und Sänger: Matteo Haitzmann auf der leeren Bühne.Die Nebel wallen, die Lichter tanzen, Orpheus sitzt auf einem Sessel, singt gereimte Balladen auf Englisch. An Eurydike verschwendet er, keinen Gedanken, sie ist schon Geschichte. Er badet in der Melancholie. Styx, das Wasser des Grauens, ist längst durchschritten, die Geliebte auf immer verloren. Jetzt ist Orpheus allein, hat die Füße im Nebel, der ihn allmählich einhüllt, dann hat er den Kopf in den Wolken.
Der Styx oder auch die Styx, weil die vier griechischen Buchstaben zugleich für einen Fluss der Unterwelt, konkret die Trennung zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich. Matteo Haitzmann, unsichtbar im Lichtkegel.Glaubt man Homer, dann ist das Bad im Styx ein Gewinn und jeder / jedem zu empfehlen. In der Ilias erzählt Homer, wie Achilles‘ Mutter den Säugling im Styx badet und ihn dadurch unverwundbar macht. Nur halt die rechte Ferse, an der die Mama den Kleinen gehalten hat, bleibt trocken. Seitdem hat jeder Mensch seine Achillesferse.
Genug der Mythologie! Haitzmann singt von der Einsamkeit – ich verstehe fast nichts, doch das ist egal, weil das Spektakel auch ohne Text funktioniert. Allein der Tanz der Scheinwerfer (am Plafond, am Bühnenboden, im angrenzende Foyer) den die Lichtchoreografin Hanna Kritten Tangsoo inszeniert, füllt den erweiterten Raum, trägt den Abend. Um schnell auf die Bratsche zugreifen zu können, lässt sie haitzmann von der Decke baumeln.Orpheus, Matteo Haitzmann, ist hier und wieder weg, verschwindet im Dunkel, wird zum Schattenbild, taucht wieder auf, benutzt die Bratsche als Mandoline, die Geige bleibt, was sie ist, die Saiten werden mit dem bogen gestrichen. Mitunter schwebt der Kopf über den Nebelwolken, ein Arm reckt sich aus dem Dunst. Melancholie kann einhüllen wie ein samtiger Mantel, Todesgedanken versprechen ewige Ruhe. Davor muss sich niemand fürchten. Die tanzenden, funkelnden, funkelnden, gestreut und gebündelten, farbigen Lichter verwandeln den Dunstschleier in Materie, bunte Stoffe entfalten sich vor meinen Augen, orange, gelbe, graue Schlieren formen sich zu Mustern. Blendendes LIcht erhellt auch die Zuschauer-Reihen. Beim ersten Mal erstaunlich, beim zweiten Mal unerquicklich.
Auch die Musik, teilweise voraufgezeichnet, teilweise live gesungen und mit der Loopstastion als unendlicher Refrain wiederholt, begleitet das Bad im Fluss. Eine komplizierte Einrichtung macht es möglich, dass der Performer die Scheinwerfer durch Stimme und Gestik steuert. Der Tonmeister Lukas Froschauer ist zugleich Allgemeinmediziner, deshalb interessiert in die Wirkung von Klang auf den Körper und die Wahrnehmung. So wird der Sound durch Froschauers Technik und Kunst zu einem fühlbaren Raum, in dem ich der Performer und die mittanzenden Lichter bewegen. Fotografin Franzi Kreis erlaubt sich eine optische Täuschung: Matteo Haitzmabb tucht im Styx.Ich bade, nicht gerade im Styx, doch in der so schön düsteren Romantik. Keine Botschaften, keine Mahnungen, keine manipulativen Wahrheiten.  Wie angenehm!
Doch auch ziemlich aus der Zeit gefallen, selbstbezogen und ein wenig rücksichtslos. Dass die zahllosen Lampen ihre scharfen Strahlen immer wieder ins Publikum werfen, trägt nicht gerade zum Wohlbefinden bei. Das Licht gehört auf die Bühne und nicht in die Augen derer, die zum Schauen und Erleben gekommen sind.

Matteo Haitzmann: Im Styx baden, ein performativer Liederabend im Trio mit Licht und Ton.
Konzept, Komposition & Performance: Matteo Haitzmann
 Lichtdesign: Hanna Kritten Tangsoo; Sounddesign: Lukas Froschauer; Kostüm: Daliah Spiegel; Performance-Support: Malika Fankha; Produktion: mollusca productions. 4 Spieltage von 22. bis 25.10.2025
Fotos: © Franzi Kreis.