Ballett Kallirhoe mit neuer Besetzung
Das zweiaktige Handlungsballett Kallirhoe von Alexei Ratmansky, zu Beginn der Saison mit der neuen Ballettdirektion Alessandra Ferri von Nancy Raffa und Eric Tamm mit dem Wiener Staatsballett einstudiert, soll den neu engagierten Tänzer*innen Gelegenheit geben, sich vorzustellen. So brillierte die 2. am 22.10. mit einer Besetzung der Solopartien. Ohne Premierendruck wirkte das gesamte Ensemble locker und gelöst.
Cassandra Trenary
und António Casalinho haben sich bereits im September in der Aufführungsserie von Giselle vorgestellt. Als Liebespaar Kallirhoe / Chaireas tanzen sie zum ersten Mal gemeinsam. Trenary, ist in der Titelrolle keine unnahbare Schönheit, einer gefühllosen Göttin gleich. Ihre Kallirhoe ist eine gefühlvolle, temperamentvolle junge Frau, die vom Cup de foudre getroffen wird und für Glück tanzt. Was macht es da, wenn manche Hebung ein wenig verwackelt ist und der Körper sich nicht zu einem Bogen spannt, wie es Madison Young gelingt. Später, wenn das Liebesglück von Neidern zerstört worden ist, tanzt sie auch Angst und Verzweiflung. Aus dem bunten Treiben auf der mit griechischen Säulen und verfallenen Gebäuden unter dem blauen Himmel ist plötzlich eine berührende Geschichte geworden. Ihr Partner, der blutjunge Portugiese António Casalinho, hat seine Karriere 2021 im Bayerischen Staatsballett begonnen und ist nach drei Jahren zum ersten Solotänzer ernannt worden.
Als solcher ist er seit dieser Saison Mitglied des Wiener Staatsballetts. Wie als Albrecht in Giselle zeigt Casalinho auch als Chaireas, dass er Stärke mit Eleganz verbinden kann. Seine Sprünge und Drehungen sind luftig und kraftvoll zugleich. Chaireas ist Kallirhoe an Schönheit und Empfindsamkeit ebenbürtig.
Wie sich Gefühle im Tanz auch einer großen Bühne vor 2000 Besucherinnen entfalten können, zeigen Davide Dato und Trenary in der letzten Szene des ersten Aktes. Dato ist der adelige Dionysios aus Milet, dem die Piraten Kallirhoe verkaufen.
Dionysios hat kürzlich seine Frau verloren und Dato tanzt die Trauer so berührend, dass man auf die Bühne springen möchte, um den Witwer zu trösten. Danach kümmert er sich liebevoll um die unglückliche Kallirhoe. Schon in Giselle war zu sehen, dass Cassandra Trenary / Davide Dato auf der Bühne ein ideales Paar sind. Als Kallirhoe und Dionysios machen sie es noch einmal deutlich. Die Szene, vor allem von zärtlicher Musik aus Aram Chatschaturjans Ballett Gajaneh begleitet, strahlt eine Intimität und auch Liebe aus, wie es dem jungen Paar naturgemäß nicht möglich ist. Dass Kallirhoe so besänftigt und aufgeschlossen ist, dass sie der Dienerin (Kiyoka Hashimoto) und auch dem Publikum ihre Schwangerschaft so richtig augenfällig macht, ist das logische Ergebnis, dieser ganz anderen Liebesszene zwischen Dionysios und Kallirhoe. 
Das Gegenstück zu diesem sanften Pas de deux bekommt das Publikum nach der Pause zu sehen. Mit dem berühmten Säbeltanz aus Gajaneh reißt das Staatsopernorchester unter dem erfahrenen Ballettdirigenten Paul Connelly das Publikum fast von den Sitzen.
Dionysios und Kallirhoe sind im Palast des Königs von Babylon (Eno Peçi) gelandet. Der würdige Herr soll zwischen Dionysios und dem mächtigen Mithridates (Alessandro Cavallo), der ebenfalls ein Auge auf Kallirhoe geworfen hat, Frieden stiften, was ihn nicht hindert, Kallirhoe zu bewundern. Seine eifersüchtige Gattin (Sonderapplaus für Ketevan Papava) tanzt sich den Frust aus dem Leib. Doch all das Begehren und die Eifersucht werden unwichtig, wenn das Heer der Ägypter in bunt schillernden Kostümen anmarschiert, bald pflastern Leichen das Feld und der gefangene Chaireas schlägt sich auf die Seite der Angreifer, das Happy End kommt im Sauseschritt.
Anhang.
Der Autor dieses im 1 Jh. n. Chr. erschienen antiken Romans nennt sich Chariton von Aphrodisias und sein Roman nennt das zentrale Paar im Titel: Chaireas und Kallirrhoë: Mit acht Büchern, ist er ein ziemlicher Wälzer, wird jedoch als erster Vertreter des Genres eines historischen Romans gerühmt. Die erste gedruckte Ausgabe, die Ratmansky gelesen haben könnte, hat Jacques Philippe d’Orville
1750 in Griechisch und Latein herausgebracht. 1753 ist mit Charitons Liebesgeschichte des Chäreas und der Callirrhoe die erste deutsche Übersetzung von Christian Gottlob Heyne in Leipzig erschienen. Dass das Interesse von Philologinnen und Altertumswissenschaftlerinnen an dem alten Schinken nicht erloschen ist, beweist die letzte verbuchte Ausgabe: Chariton of Aphrodisias’ Callirhoe. A Critical Edition von Manuel Sanz Morales, Universitätsprofessor für Griechisch, erschienen in Heidelberg.
Genug jetzt mit der Quellenforschung. Platz für den Applaus. An diesem 2. Abend hat das Publikum das Ballett nicht mit einem Zirkus verwechselt und darauf verzichtet nach jeder Nummer laut starkes Wohlgefallen zu äußern. Wie angenehm!
Kallirhoe, Ballett in zwei Akten von Alexei Ratmansky, 2. Aufführung mit den Rollendebüts von Cassandra Trenary, António Casalinho, Davide Dato, Alessandro Cavallo, Eno Peçi, Ketevan Papava, den beiden Dienerinnen Kiyoka Hashimoto und Francesca Cesaro mit anderen. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Choreografie: Alexei Ratmansky; Dramaturg & Libretto Guillaume Gallienne.
Musik: Aram Chatschaturjan; Staatsopernorchester, Dirigent: Paul Connelly.
Fotos: © Ashley Taylor / Wiener Staatsballett