
Takis Würger: Von Liebe und Musik.

Im Sommer wird der Journalist und Buchautor Takis Würger 40 Jahre alt und kann auf einen beachtlichen Preissegen zurückblicken. Seine Arbeit als Reporter des Nachrichtenmagazins Der Spiegel sind ebenso ausgezeichnet worden wie seine literarischen Produkte. Der Journalistenjob hängt seit 2020 auf dem Nagel, Würger widmet sich dem Schreiben von Romanen. Der jüngste, Für Polina, ist ein Märchen für Erwachsene. Würger glaubt an die alles heilende Liebe, auch an das Lichtlein, das am Ende jeden Tunnels leuchtet und erzählt von der Macht der Musik.
Das Märchen von Hannes und Polina spielt in Niedersachsen, dort wo auch der Autor aufgewachsen ist. Erster Schauplatz: das Krankenhaus Siloah im Hannoverschen Stadtteil Linden. Die beiden blutjungen Mütter, Fritzi und Güneȿ, liegen im selben Zimmer. Sie schieben die Betten aneinander, legen die beiden Säuglinge in die Mitte. „Nach einer Weile spürten die Kinder einander und schmiegten sich zusammen, …“, erzählt der Autor und legt damit den Lauf des Märchens fest.
Hannover ist ja nicht gerade für seine Romantik berühmt, deshalb finder Fritzi mit dem Baby eine verfallende Villa im Naturschutzgebiet Bissendorfer Moor. Ein komischer Kauz, verpatzter Dichter, verhinderter Pianist und Chili-Züchter, lebt dort umsonst und will ein riesiges Zimmer vermieten. Die junge Mutter mit dem Baby awill ihm nicht so recht passen,. doch Fritzi lässt sich nicht abweisen.Heinr ich Hildebrand lässt sich schließlich vom kleinen Hannes bezaubern. Fritzi zieht ein und Hannes wächst in Kananohe auf, immer wieder besucht von Güneȿ und Poli. Hannes ist ein sonderbares Kind, menschenscheu und hochmusikalisch. Er kann nicht nur gehörte Melodien nachspielen, sondern auch selbst erfinden. Hannes Prager ist schon als Kind ein Komponist.
Aus spielenden Kindern werden Teenager und aus Freundschaft Verliebtheit. Der introvertierte Hannes kann und will nicht darüber sprechen und Poli, Poli hat auch ein anderes Leben außerhalb von Kananohe. Hannes spielt ihr auf dem alten Klavier die für sie komponierte Melodie vor. Da muss sie weinen.
So wunderschön kann der Roman nicht weitergehen, das Unglück schreitet schnell in Form einer fallenden Birke. Fritzi war mit der Kettensäge im Wald, um ihn zu roden. Die Birke fällt in die falsche Richtung, Fritzi überlebt und nimmt die Kopfverletzung nicht ernst. Ihr Grab wid im ´Friedhof von Kaltenweide ausgehoben. Der aufgerissen Graben in Hannes’ Leben schließt sich nie mehr.
Polina bleibt sein einziger Halt.Ohne sie meint er nicht leben zu können. Das ist die romantische Blüte der Liebe. Von da an lebt er nur noch, um Poli zu finden, die sich zwecks Studium, Beruf und Heirat vor allem geografisch entfernt hat. Sie, Tochter einer alleinerziehenden Einwanderin, ist eine Pragmatikerin, eine Kämpferin. Als Außenseiterin ist ihr nichts anderes übrig geblieben. Hannes kämpft nicht, er versteckt sich lieber und weil er es nicht gewagt hat, sich zum Musikstudium anzumelden, heuert er bei einer Umzugsfirma an, die sich auf Klaviere spezialisiert hat. Um ein Klavier zu heben und zu ragen, muss man nicht stark wie ein Bär sein, sondern die richtige Technik kenn. Hannes ist eher ein Spenadler, doch weil der die Musik liebt, kann er auch Klaviere befördern. Heinrich Hildebrand hat erin Kananohe zurückgelassen, doch vor ihm, den Gurt auf der Schulter, marschiert der Bär. Er heißt Bosch und liebt den Spenadler, passt auf ihn auf, rettet ihn aus brenzligen Situationen und ihm auch das Leben. Hannes komponiert nicht, fühlt sich aber durch die Pianos und Flügel, wertvoll oder nur alt, mit der Musik verbunden. Und vielleicht, denkt er, trifft er demnächst auf Poli, von der gar nicht weiß, wo sie gerade lebt.
Das Märchen von der unerfüllten Liebe mäandert romantisch dahin, bergauf und bergab. Immer wieder begegnen einander Polina und Hannes, mal nur eine Stunde mit einem flüchtigen Kuss, dann wieder eine ganze Nacht. Polina hat einen Freund, später einen Ehemann und auch ein Kind. Über Liebe wird icht gesprochen, Hannes wimmert mitunter ein wenig, weil Poli „doch sein Leben ist“.
In diesem Hannes-Leben wechseln einander die Tiefpunkte mit den Höhepunkten ab. Trotz eines zerquetschen Fingers kann Hannes dem Klavier in einer Transportpause eine Melodie entlocken und die geht viral. Hannes mutiert zum Promi, bekommt jede Menge Follower und einen Plattenvertrag samt Auftritten in prall gefülllten Konzersälen. Nolens volens reist Hannes von nach Wien und Istanbul, immer mit der Hoffnung, Polina mitten unter den frenetisch Applaudirenden zu entdekcen. Bosch bleibt an seiner Seite, Heinrich Hildebrand kriecht aus seiner Depression und dem Altersheim heraus und Hannes hat zwei Aufpasser, die einandergut vrstehen. Mir wird allmählich langweilig bei diesem dauernden Treppauf Treppab. Das Märchen endet dort, wo es begonnen hat, in der alten Villa im Moor. Polina kommt zu Besuch. Ob sie bleiben wird, weiß nur der Wind.
Takis Würger gilt als Bestsellerautor, doch das Pickerl auf dem Titel sagt nicht mehr aus, als „gute Unterhaltung“. Als „Liebesroman des Jahres“, wie Diogenes schon im Jänner feststellt, will ich Für Polina nicht bezeichnen. Einerseits ist dieses Urteil viel zu früh gefällt, andererseits ist diese Liebe (zu Polina oder zur Musik) niemals auf den Prüfstand gestellt worden. Die Figuren scheinen alle aus dem Märchenbuch ausgeschnitten. Die lebenslustige, tapfere Mutter Fritzi, der Vater, ein Steinhändler mit Cipollino-Marmor in Herz und Hirn,
der gutmütige Klaviertransporteur mit dem weichen Herzen, der alte musikliebende Zausel Heinrich Hildebrand und noch einige andere mit der Schablone konstruierte Personen umschwirren, schattenhaft und flach die ewig jungen Liebenden, Polina und Hannes. Man meint sie alle zu kennen, weiß aber nichts von ihnen. Der Autor scheint mir krampfhaft bemüht, alle seine Schöpfungen als außergewöhnlich und besonders darzustellen, das amüsiert anfangs, führt jedoch bald zu einem schmerzhaften Gähnreflex. Meine anfängliche Begeisterung, mit Fritzi und Baby Hannes vor der Moorvilla den Sonnenuntergang betrachtend, zerbröselt wie der Filz auf den Hammerköpfen eines alten Klaviers.
Takis Würger: Für Polina, Roman, 304 Seiten, Diogenes, 2025. € 26.80. E-Book € 22,99.