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Radek Knapp – Ein gekränkter Idealist

Autor Radek Knapp © Thomas Lehmann

Ich lese Bücher von Radek Knapp und kaufe bei ihm Zwetschken und Marmelade. Nicht oft treffe ich einen Menschen, der den Geist bestens nährt und den Körper gleich dazu. Eben ist sein neuer Roman, "Der Gipfeldieb", erschienen. Mitten in der dörflichen Idylle des Wiener Kutschkermarktes spricht der Atuor über Idealismus, Satire, die Digitalisierung der Welt und den Geisteszustand „Heimat“.

„Wo ist Sturmbannführer Stettke?“ und „Mein Gewehr hat Ladehemmung.“ Die Erinnerung ist zur gern erzählten Anekdote geworden. Mit den zwei Sätzen auf Deutsch im Gepäck kam der 12jährige Radek vor bald 40 Jahren aus Polen nach Österreich. Vor allem der zweite, der aus deutschen Kriegsfilmen gelernten Sätze ließ die neuen Schulkameraden losprusten. Radek Knapp musste seinen Wortschatz schnell erweitern. Schon nach zwei Jahren fühlte er sich in der neuen Sprache zu Hause und wusste: „Ich will Schriftsteller werden.“
Als Lehrer bot sich Hermann Hesse an. „Heute ist der total passé, Hesse hat uns nichts mehr sagen. Doch damals, als Teenager, habe ich ihn verschlungen. „Demian“ habe ich Wort für Wort, 100 Seiten, abgeschrieben.“ Mit der Hand natürlich. Heute tippt er in den Computer und das tut dem Autor eigentlich leid: „Man denkt doch ganz anders, wenn man mit der Hand schreibt. Diese Möglichkeiten, die der Computer bietet, mit Löschen, Austauschen, Umstellen, machen alles zu schnell. Da fehlt dann oft die Tiefe. Die Maschine verzieht zu viele Fehler.“ Zu schnell geht es ihm auch heutzutage in Warschau. „Früher bin ich noch öfter nach Polen gereist, nicht dass ich den Kommunismus mögen habe, aber das langsame Leben dort hat mir gefallen. Jetzt ist alles kapitalistisch schnell.“ Da mag er lieber in Wien sein: „Hier wird nicht so durch die Gegend gerast. Noch nicht.“ Wir sitzen mitten im Kutschkermarkt, im winzigen Bio-Beisel, draußen schlendern Mütter mit Kinderwagen, alte Ehepaare, junge Verliebte vorbei. Tatsächlich eine Idylle. Kutschkermarkt in Wien Währing, im Hintergrund die Gertrudkirche. ©  Stadtbekannt Medien GmbH/ nohl

Die Mutter war mit der Berufswahl nicht zufrieden, sah den Sohn mit langen Haaren im Drogenrausch und warf ihn kurzer Hand aus dem Nest. “Mit 17 war ich plötzlich ganz auf mich gestellt, ohne Geld und Rückhalt. Das war eine harte Zeit.“ Sie ist überstanden, halbwegs, Radek Knapp ist ein anerkannter österreichischer Schriftsteller, der seine Texte auf Deutsch schreibt, sie auch nicht selbst ins Polnische überträgt und eben seinen jüngsten Roman, „Der Gipfeldieb“ in den Auslagen findet. Hoffentlich.

Wenn der Autor nach seinem Beruf gefragt wird, dann sagt er mit treuherzigem Blick aus blauen Augen: „Arzt. Da kommen dann nicht immer die selben Fragen, wovon man lebt, wie man schreibt, …“ Schnell knülle ich den vorbereiteten Zettel unter dem Tisch zusammen. Peinlich, diese überflüssigen Fragen. Jeder lebt so gut er kann. „Eher bescheiden“, gibt der Autor gelassen Auskunft. Engagierter Netzwerker ist er keiner, doch aus Erfahrung weiß er: „Muss und muss nicht! Eine Zeitlang kann man das machen, so herum schleimen. Der Autor bleibt ja nicht immer nur Autor. Wenn das Manuskript abgegeben ist, wird man zum Marketinginstrument, muss Interviews geben, zu Lesungen reisen. Was ich geschrieben habe, ist nun öffentlich und daher etwas ganz anderes.“ Daran hat er sich gewöhnt, auch daran, dass sich jeder Text vor den Augen der Leserinnen noch einmal verwandelt. Statt vor Kameras steht Radek Knapp lieber hinter dem Obststand am Kutschkermarkt. Verkauft Zwetschken, Kraut und Marmelade – aus Freude am Kontakt mit den Menschen.
Der neue Roman.

Der Gipfel in der Tasche. „Der Gipfeldieb“ bereitet großes Lesevergnügen und hält auch einige Erkenntnisse bereit. Die Ichform lässt autobiografische Bekenntnisse vermuten. „Stimmt, es ist mein am deutlichsten autobiografischer Roman. Es ist ein Entwicklungsroman.“ Kann es sein, dass Radek Knapp sich noch nicht erwachsen fühlt? Schon wieder eine peinliche Frage. „Ein Entwicklungsroman geht von der Geburt bis zum Tod. Pubertätsgeschichten sind etwas anderes. Fühlen Sie sich wirklich bereits fertig, am Ende? Jeder Mensch entwickelt sich doch immer weiter.“ Stimmt! Im Buch „Der Gipfeldieb“ hat Ludwik Wiewurka – von der Mutter mit 17 zur österreichischen Staatsbürgerschaft angemeldeter Pole und sofort zum Militär einberufen, mit Glück als Zivildiener im Altersheim gelandet –am Ende einen Gipfel erreicht, keineswegs den höchsten. Die geschenkte Trophäe, den abgebrochenen Berggipfel, braucht er nicht mehr. Krankenschwester Sylwia bekommt sie und gemeinsam tragen sie den Gipfel auf den Weinberg, um den Sternen näher zu sein.

Ironie und Idealismus. Knapps Ironie wird mitunter mit Heiterkeit verwechselt, doch die Grundstimmung des Autors ist melancholisch: „Ironie ist doch immer die beste Art etwas zu bemängeln, zu kritisieren. Im Gegensatz zum Zynismus. Wenn einem etwas wichtig ist, muss man darüber sprechen.“ Kurt Tucholsky, Journalist und Schriftsteller, hat vor gut 100 Jahren den Satiriker so beschrieben: „Ein gekränkter Idealist. Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.“ Knapp ist einverstanden: „Wir sind doch alle von irgend etwas enttäuscht oder gekränkt.“ Auch von der neuen Heimat? Wie der so eine peinliche Frage. Wo ist, was ist, wie ist Heimat? Knapp betrachtet seine Füße und sagt mit leiser Stimme „Ich bin drauf gekommen, dass man die Heimat ohnehin irgendwann verliert, sanft und schmerzlos, ohne es zu merken. Wie die Kindheit. Plötzlich ist man erwachsen. Oder tot.

Heimat, wetterfest. Heute brauchen wir doch gar nicht mehr aus dem Haus zu gehen, um die Heimat zu verlieren. Während wir hier sitzen wird die Wirklichkeit digital so ausgetauscht, deshalb muss man sich eine wetterfeste Heimat suchen, man muss in die eigene Tiefe unter den Füßen schauen, nicht in die Breite. Das einzig Beständige sind doch die Menschen. ‚Heimat’, das ist doch nur ein Geisteszustand. Wichtig ist, dass man sich von diesen nationalen Neigungen befreit. Wenn das gelingt, dann werde ich die Mozartkugel nicht deswegen schätzen, weil sie von Austria kommt, sondern weil sie gut schmeckt.“ Und die Fußballmannschaft? Für welche drückt er die Daumen? „Immer für die Besseren.“

Der Gipelfdieb, Cover @ PiperIch lese Bücher von Radek Knapp und kaufe bei ihm Zwetschken oder Marillenmarmelade. Nicht oft treffe ich einen Menschen, der den Geist bestens nährt und den Körper gleich dazu.

Der Gipfeldieb, Piper 2015, 208 S. € 20,60
Am 13. November liest Radek Knapp aus seinem neuen Roman:
Thalia Buchhandlung Wien Mitte, Landstraßer Hauptstraße 2a, 19 Uhr.

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