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Pavel Cuzuioc: „Secondo Me“, Dokumentation

Der Himmel in der Mailänder Scala © Michael Schindegger

Das Besondere im Banalen zu finden, stellte sich der Regisseur Pavel Cuzuioc als Aufgabe. Dazu hat er sich in die Opernhäuser von Wien, Mailand und Odessa begeben. Nicht, um im Zuschauerraum zu sitzen und eine Aufführung zu genießen, oder hinter der Bühne die Geheimnisse eines Opernabends zu erforschen, sondern dort zu verweilen, wo die Besucher_innen möglichst wenig Zeit verbringen wollen: an der Garderobe.

Ronald Zwanziger, Gardarobier in der Wiener Staatsoper. © Michael SchindeggerRonald Zwanziger in Wien, Flavio Fornasa in Mailand und die besorgte Großmutter Nadezhda Sohatskaya in Odessa, verwahren nicht nur Mäntel, Taschen und Schirme, sie erzählen auch aus ihrem Leben, von Vergangenheit und Gegenwart.
Cuzuioc hat sich viel Zeit genommen, die drei zu begleiten. Er besucht den aktiven Ronald Zwanziger in der Universität, wo der gelernte Bibliothekar die Passierscheine kontrolliert, fährt mit Fornasa durch Mailand und lauscht seinen dezidierten politischen Ansichten, sieht ihm über die Schulter, wenn er mit seinem jüngeren Sohn kocht und auf der Gitarre zupft. Von ihm stammt auch der Titel des Films – „Secondo Me“ / Meiner Meinung nach“­ –, einen Satz, den er einem Passanten antwortet, der seine Ausflüge in die Geschichte der Heimatstadt kritisiert hat. Mit seiner Meinung hält er nicht hinter dem Berg. Fornasa ist der jüngste von den dreien und wird seinen Job im Opernhaus „La Scala“ aufgeben. Warum, sagt er nicht. 

Am eindrucksvollsten ist die Babuschka in Odessa. Zwei Leidenschaften prägen ihr Leben: der Enkelsohn Stasik und ihre Tätigkeit an der Garderobe in der Oper von Odessa, die wie das Wiener Volkstheater gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Architektenpaar Fellner & Helmer erbaut worden ist. Deren Tätigkeit reichte weit über die Monarchie hinaus und betraf nicht nur Theaterhäuser sondern auch Palais, Wohnhäuser, Konzertbauten und Hotels. Doch das ist ein anderer Film. In Odessa: Nadezhda Sokhatskaya, glückliche Großmutter. © Michael Schindegger

Nadezhda Sokhatskaya jedenfalls ist glücklich mit ihrer Arbeit, freut sich die „vielen schönen Menschen“ zu sehen und macht sich selbst jeden Abend schön, um das abendliche Ereignis zu würdigen. Oft fragt man sich ja, was die Garderobiers und Garderobieren während der Vorstellungen (die Regisseur Cuzuioc, der an der Wiener Filmakademie studiert hat, gar nicht interessieren) machen.
Jedenfalls nicht warten.
Zwanziger lernt Sprachen, Sokhatskaya plaudert mit den Kolleginnen (bei den Aufnahmen muss es Sommer gewesen sein, an den Haken hängen nur Taschen und Rucksäcke) und der querköpfige Denker Fornasa lässt den jungen Zuhörer an seinen Weisheiten teilhaben.
Zu Hause skypt die Großmutter mit Stasik, der in der großen Stadt an der Universität studiert. Er liegt im Bett, ist ein wenig verkühlt: „Das Wichtigste ist, dass du keine nassen Füße hast. Zieh die richtigen Schuhe an, wenn es regnet.“ Bevor Stasik seinen Koffer gepackt hat, ist die kleine Familie, Großmutter, Mutter und Sohn, ans Meer gefahren und die Oma war mit dem Enkel im Dolfinarium, um die Wassershow zu bewundern.

Flavio Fornasa in Theatro La Scala, Mailand. © Michael Schindegger Flavio Fornasa kümmert sich um seine beiden Söhne, als Ärztin ist die Mutter wenig zu Hause. Ronald Zwanziger, dessen Kinder längst erwachsen sind, trainiert in der freien Zeit die überflüssigen Kilos im Fitnesszentrum ab. Seiner Frau zuliebe, einer Finnin die er vor vielen Jahren durch seine Arbeit in der Uni-Bibliothek kennen gelernt hat. Opernbesucher_innen, die ihren Stammplatz auf dem Balkon rechts haben, kennen den korrekten, freundlichen Herrn recht gut. Ronald Zwanziger gehört fast zum Inventar der Wiener Staatsoper.

Es passiert nichts Aufregendes in diesem Film, dennoch versteht es Cuzuioc das Interesse der Zuschauerinnen an den drei Menschen, die vorgestellt werden, zu wecken. Noch einmal soll ein Ausspruch des jetzt lieb gewonnenen italienischen Philosophen Flavio zusammenfassen, was dieser Film erzählt: „Ogni testa à un piccolo mondo / Jeder Kopf ist eine kleine Welt.“ In dieser kleinen Welt gelten andere Wichtigkeiten als dort, wo die große Bühne steht. Babuschka Nadezhda mit Enkel Stasik am Meer. © Michael Schindegger

Dem Unspektakulären das Sehenswerte abzugewinnen – kann man so Ihr künstlerisches Thema auf den Punkt bringen?
Ja, darin sehe ich einen Ansatz. Wir haben heute das Problem, dass alles schnell geht und wir weder Geduld noch Zeit haben, solche Filme anzusehen. Für mich ist dieser Film eine Hommage ans Leben und an einfache Sachen und ihre Wichtigkeit. Wie wichtig ist es, sein Enkelkind zu lieben und dann loszulassen? Wie wichtig ist es, weniger zu tun und auf den eigenen Körper zu schauen? Wie wichtig ist es, alten Idealen treu zu bleiben? Wie wichtig ist das Unwichtige?
  Karin Schiefer im Gespräch mit Pavel Cuzuioc. 

Pavel Cuzuioc: „Secondo Me“, Dokumentation mit Ronald Zwanziger, Flavio Fornasa, Nadezhda Sokhatskaya. Kamera: Michael Schindegger. Ab 21. April im Kino.