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Roméo et Juliette: Ioanna Avraam, Francesco Costa

An Juliettes Totenbett. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Das neue Ballett von Davide Bombana zur Musik von Hector Berlioz ist nach drei Vorstellungen geglättet. Niemand fuchtelt mehr mit den Armen, alle tanzen harmonisch und technisch anstandslos. Ein Erlebnis ist Ioanna  Avraam, die als Juliette debütiert hat. Ihr Partner, Francesco Costa, zeigt in bester Haltung sein Sprungtalent. Beeindruckt hat auch Gala Jovanovic als Königin Mab. Das Publikum der Volksoper war sowohl von den Tänzer*Innen wie auch von den Sänger*innen und dem Chor hörbar angetan. Sonderapplaus bekommt auch in der 4. Vorstellung der Dirigent Gerrit Prießnitz.

Juliette im Glück (Ioanna Avraam) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Um gleich bei der Sinfonie dramatique zu bleiben, für die Komponist Berlioz keinerlei theatralische Darstellung, ob Tanz oder Theater, vorgesehen hat: Dirigent Gerrit Prießnitz zeigt in diesen wenigen Tagen, bevor es (angeblich) still wird, eine Meisterleistung. In der Staatsoper hat er drei Mal Richard Strauss für das Ballett („Verklungene Feste / Josephs Legende“ von John Neumeier) dirigiert und am Ring ebensolche Ovationen eingeheimst wie am Gürtel, wo er gleich danach mit dem Volksopernorchester, die Tanzenden auf der Bühne aufmerksam beobachtend, Berlioz zum Klingen gebracht hat (und noch bringt).

Auch die Tänzer*innen haben das gespürt und ihre Schritte und Ports de bras besonders exakt gesetzt. Der große Pas de deux d’amour von Ioanna Avraam als Juliette und Francesco Costa als Roméo verlangt eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Dirigenten unten und dem tanzenden Liebespaar oben. Hörbar einfühlsam Gerrit Prießnitz, sichtbar Ioanna Avraam. Die weiß, wie man Liebe und auch Leid tanzt. Frencesco Costa, als Tänzer gern fröhlich und frech, wird es noch lernen. Doch seine Sprünge sind exakt, an seiner Technik finde ich nichts auszusetzen. Der Ausdruck wechselnder Gefühle – Juliette weiß, dass ein Berg von Schwierigkeiten zu bewältigen ist – gelingt Avraam mit weichen Bewegunge, differenziertem Mienenspiel und jugendlich beschwingtem Tanz auf der Halbspitze schwebend berührend schön. Das Böse tarnt sich oft durch Schönheit (Gala Jovanovic als Königing Map). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Mit Ausnahme von Mab, die die Spitzenschuhe anziehen muss, tanzen alle Damen (Mabs Hofstaat, Ballgesellschaft, junges Volk) in Schläppchen. Gala Jovanovic ist eine kühle Mab, die in ihrer Gnadenlosigkeit an Myrtha, die Königin der Willis, erinnert. Mit eisiger Miene zeigt sie, wie schön das Böse sein kann und reizt die Menschen, damit Feindschaft und Fehde, Verachtung und Ausgrenzung kein Ende nehmen.

Drei Freunde: Romeo, Benvolio,Mercutio (Francesco Costa, Felipe Vieira, Keisuke Nejime) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Auch die Herren des Wiener Staatsballetts in der Volksoper – Rollendebüt für László Benedek, Tybalt; Felipe Vieira, Benvolio; Keisuke Nejime, Mercutio – können wohl gefallen. Nejime, seit fünf Jahren im Ensemble, kommt Shakespeares Mercutio, dem lustigen Springinkerl, ganz nahe und bringt mit quirliger Lebhaftigkeit und Witz Licht und Fröhlichkeit in dieses düstere Stück. Fröhlich flattern auch die bunten Vögel samt zwei bösartig das Geschehen beäugenden Eulen vom Himmel, wenn Martina Mikelič mit samtigem Alt von den „ersten Wallungen, die keiner vergisst“ und den „zwei Liebenden unter den Sternen“ schwärmt. Sicher bewegt sie sich über die Bühne, wird singend zum alter Ego Juliettes, während sich diese (Avraam) vertrauensvoll in ihren Schoß legt. Also, wenn jetzt nicht die Herzen aufgehen, ist alles verloren. Sprungtalent Frencesco Costa tanzt als Romeo seine erste Titelrolle. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Manche Zuschauer*innen meinen, diese Aufführung ließe sie kalt. Stimmt, Kitsch und Pathos sind auf der Bühne nicht zu sehen und auch nicht zu hören. Gleich zu Beginn singt der Chor: „Alter, längst begrabener, Hass ist der Hölle wieder entstiegen“. Ausstatterin rosalie und Choreograf Bombana waren sich einig: Kühl und düster soll die Aufführung wirken, ernst und beklemmend darf sie sein. In der Lichtinstallation, den dunklen Kostümen, im schnörkellosen, technisch herausfordernden Tanz ist das zu sehen, und in der Personifizierung aller finsteren Ecken in der Menschenseele durch „La reine Mab“ (Jovanovic) auch zu spüren. Schön, aber streitsüchtig. La Reine Map verspricht Mercutio ein glänzendes Leben und zerstört gleich danach voller Bosheit den Traum  (Gala Jovanovic, Keisuke Nejime). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Den süßen Liebesdusel gibt es auf dieser Bühne nur für kurze Minuten. Zwei bezahlen ihn mit dem Tod, einer bereut, ihnen bei der Vereinigung geholfen zu haben: Pater Lorenzo.

Interpretiert wird er erstmals von Mihail Sosnovschi. Sein Lorenzo ist sich seiner heiligmäßigen Erscheinung bewusst, wirft sich schwungvoll nieder, um den Boden zu küssen, wie einst seine obersten Chefs. Sosnovschi ist ein geschmeidiger Klosterbruder, der auch reuig einknickend und vor Scham windend gute FigurMihail Sosnovschi als würdiger Pater Lorennzo vor der endgültig toten Julia. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor macht. Gute Stimme lässt, wie schon bei der Premiere, Yasushi Hirano hören. In tiefem Bass hält er seine Predigt und beschwört die verfeindeten Parteien, dem Zank ein Ende zu bereiten. Widerwillig stimmen diese (Chor der Volksoper + Zusatzchor) zu. Der Rest ist bekannt: Die schöne Mab sprengt die Menschenkette, stachelt zu weiteren Bosheiten an. Besinnungspause. Heftiger Applaus.

Applaus soll auch Ashley Taylor einmal öffentlich erhalten, auch wenn er sich bemüht, unsichtbar zu sein, wenn er die schönen Tanzfotos zaubert. Sie zieren die Websites der Opernhäuser, das Programmbuch, die Plakate und die Medien. Der Fotograf arbeitet seit jeher im Hintergrund, versucht, während der Vorstellungen, das Publikum nicht zu stören, nicht zu blitzen, klicken oder knacken. Doch vor den imaginären Vorhang sollte er hie und da gerufen werden. Diesmal also, weil in der Volksoper, wo der Hintergrund und der spiegelnde Tanzboden ganz schwarz sind, die Arbeit besonders schwierig war.

Ballett von Davide Bombana: „Roméo et Juliette“, Musik: Sinfonie dramatique „Roméo et Juliette“ von Hector Berlioz. Dirigent des Volksopernorchesters. Gerrit Prießnitz. Mit Ioanna Avraam und Francesco Costa in den Titelrollen. 4. Vorstellung des Wiener Staatsballetts in der Volksoper, 19. Dezember 2017.
Letzte Vorstellungen in dieser Saison im Dezember 2017: 22. mit Avraam, Costa in den Titelrollen, 27. mit den (Titel-)Rollendebüts von Elena Bottaro und Andrés Garcia-Torres.
Ab 18. Jänner 2018 kommt Thierry Malandins Ballett: „Cendrillon“ mit der erfolgreichen Premierenbesetzung zurück auf die Bühne der Volksoper. Am 27. Mai tanzt das Aschenbrödel zum letzten Mal in dieser Saison. Dafür steht aber die Besetzung naturgemäß noch nicht fest.