Skip to main content

Alexander Ekman: "Cow" – Semperoper, Dresden

Kühe tanzen Ballett in Dresden. © T. M: Rives

Da hängt sie, die Kuh, schneeweiß und mächtig vor dem schweren Samtvorhang der Dresdener Semperoper, und ich frage mich, ob sie da wohl auch den ganzen Abend hängen bleiben wird? Den Kakteen („Cacti“) lässt der Choreograf Alexander Ekman die Kühe („Cow“) folgen. Bertram Grund hat sie in Dresden gesehen – erstaunt und hingerissen.

Und schon geht’ los, Licht aus, Spot an, da kommt sie schon, das heißt sie schreitet, holprig zwar auf allen Vieren, aber würdig irgendwie, gelassen, heilig? Trägt ja auch feinen Zwirn und ist ein Mensch. Der sich an uns richtet und Sachen sagt wie "And you would not know that at the end of the performance you should clap your hands." Ha, das werden wir ja sehen!

Auf der Weide wird auch getanzt. "Cow" von A. Ekman. © T. M. RivesVorhang auf. Ein ganz normaler Wahnsinn. Im Bistro streitet sich ein Paar, vorbei an ihnen zieht ein Boot, jemand kopiert sich(!), ein anderer duscht, Fans mit glamourösen Nackenpolsterhüten aus dem Reich Narnia umringen einen aus Alice’ Wunderlands Kleiderschrank strahlenden Leinwandstar (Kategorie Audrey Hepburn) und im Hintergrund versucht sich ein Ausreißer, seine eigne Birne matschig zu hauen. Das Ganze atemberaubend gut gekleidet, übrigens den ganzen kurzen Abend (Kostüme bewährt: Henrik Vibskov) bei adäquat edel überwältigend emotional streichend-elektronischer Musik (Zum achten lohnend gemeinsamen Mal: Mikael Karlsson), wummernd schön aufgenommen vom Bundesjugendorchester. Ich würde sagen, ein Fest der Freude im April, Venedig, Marktplatz. Soviel Muh war nie. Aber wo ist die Kuh? Keine Kuh, keine Weide weit und breit. Anbetung der Kuh (Christian Bauch) © T. M: Rives

"Ist es ausdrucksstark genug?" "Werden Sie sich daran erinnern?" Bevor ich mir diese Fragen selbst stelle, stellt sie Ekman uns. Eingeblendet hinter einem exakt fünfminutigen Männer-Pas de deux auf der Vorbühne, das uns vor Weißneid erblassen lässt, so schön ist es. (Schmiegsame Stiere: Julian Amir Lacey, István Simon).

Ah, ein Entr’acte war das, denn nun wird’s heftig, und alle knapp 30 um ihr Leben stretchend tanzenden Dianen und Amoris drehen uns die weißen Derwische, bis uns die Köpfe schwindeln, gut, dass sie irgendwann auch wieder liegen / und atmen. Atmen…. Aaatmen…. Aaatmeeen. … … Und aus dieser Ruhe werden Eva und Adam geboren (wunderbar: Sangeun Lee und Jón Vallejo) sie ein Kopf größer als er, eher zwei, und so sehr sie auch versuchen, diese Gemeinheit des Choreographen zu kaschieren, es wird nur schlimmer. Bis weißer Stoff die beiden und uns in den Himmel über Dresden entführt - und heftiger Regen wieder auf den Bühnenboden der wie entfesselt stampfenden Tatsachen. In diesem Moment dämmert mir, ah, geht es um Individuen, Paare und Massen? Der Mensch ein Herdentier. So einfach?

Die Tanzenden nun werden zur Schlange oder Raupe, ein bisschen wie im Kindergarten. Aber bei Ekman hat das nicht nur Klasse – so schön kann Tausendfüßler sein, ganz weh wird mir ums Herz – sondern auch Sinn, denn hier beeinflusst jede jeden, und auch der Letzte wird die Erste sein und nur die Wurst hat zwei.

Reigentanz – milchweiss. © T. M. Rives

Film ab. (Video: T.M. Rives) Der Mann als Kuh, die Kuh im Mann, der Kuhmann (wirklich großartig: Christian Bauch) also erklärt, entspannt kleinsächselnd im Dresdner Szenecafé, wie er zum Rind geworden. Auch Ekman muht im weiten Winkel durch die Oper und landet schließlich magisch und schwarz-weiß gefleckt mit dem Kuhmann auf der Weide - also doch! Aug in Aug, zahnlos und friedlich. Das neue Kuh: Wir sind uns Kuh genug!

Cut. Auftritt Germany’s Next Topmodel, High Heels aus Holz, stramme Waden und rote Lippen, und alle bekommen heute Abend ein Bild von mir. Schon brüllt die Kuh aus 30 Kehlen, wir ahnen, das Ende naht. Was da optisch und akustisch aus Tanzsachsen über Tanzachsen auf- und abschnellender Podien auf uns zurollt, uns einlullt, überwältigt und wild verrückt entzückt, ist allein schon Kuht gemacht, das geht auf keine Kuhha… na kuht! Auf allen Treppen ist Kuh © T. M. Rives

Bleibt noch der Nachbar in unser aller Leben, die blöde Kuh, mit der es bekanntlich auch nicht immer leicht ist, da hilft schon mal knallrotes Klebeband, das dir und mir die Grenzen zeigt. Und schon lässt sich ruhig lesen, hören, glotzen, mampfen oder wiederkäuen – so kann das Schwätzchen zwischendurch gelingen. Ich bin mir Kuh genug, aber ungern ohne euch.

Bitte keine falschen Assoziationen: Das sind Ballerinen mit  Svetlana Gileva in der Mitte. © T. M: RivesAbendstimmung überall. Und die Nachtigall hätte nun allen Grund, die wiesenweidend Blöde zu besingen: „Es ist, was es ist, sagt die Liebe, ich bin was ich bin, sagt die Kuh!“

Tut sie aber nicht.

Wie war das nochmal zu Beginn? "And you would not know…." Spätestens jetzt hätten wir‘s kapiert. Haben wir auch, frenetischer Jubel im ehrwürdigen Opernhaus, mit einem Lied belohnt (Entzückend: Skyler Maxey-Wert und Caroline Beach). Und die Kuh hängt noch immer. Ich bin.

"Cow", Ballett in elf Szenen von Alexander Ekman, Musik von Mikael Karlsson, Uraufführung 2016 , Semperoper Ballett. Gesehen am 7.4. 2017 (7. Vortelung), Semperoper Dresden.
Letzte Vorstellung in dieser Saison: 13.4. 2017.