Skip to main content

Mütter und Söhne – vertraut oder fremd?

Das Bühnensetting: Liveaktion und Videostream

Was wissen Söhne von ihrer Mutter? Und was Mütter von ihren Söhnen? Wann ist zu fragen und wann zu schweigen? Fragen, die in dem interessanten Setting aus Live-Aktion und Videofilmen von TWOF2 (Maria Spanring und Giovanni Jussi) gestellt werden. Mother Loves you, ist für alle Altersstufen ab 15 geeignet. Premiere war am 20. Mai im Dschungel Wien. Szenen am Esstisch zwischen Ada und Raffael, Mutter und Sohn, vielschichtig, unterhaltsam und anregend.

Am Esstisch gibt es keine Antworten, weil es keine Fragen gibt. Immer wieder die gleiche Situation, früh, mittags, abends: Mutter und Sohn sitzen einander gegenüber am Eisesstisch, tauschen Banalitäten aus. De Wortwechsel, Gespräch kann man den Austausch nicht nennen, bleiben an der Oberfläche. Selbst dann, wenn Raffael unbeholfen versucht, in Mamas Liebesleben herumzustochern. Jahre später wirft der Sohn der Mutter vor, gar nichts von ihrem Leben, von früher, als er noch nicht da war, zu wissen. „Du hast nie gefragt“, ist die Antwort. Rätselspiel der Regie: Die Mutter wird jünger, der Sohn immer älter. Die Gespräche bleiben gleich. Doch da haben sich die Verhältnisse bereist umgekehrt, nicht mehr Ada bemuttert Raffael, der Sohn umsorgt die Mutter. Regisseur Giovanni Jussi legt noch eine Schichte darauf: Während das Leben der Mutter zurückgedreht wird, sie also bei jeder Begegnung mit dem Sohn ein wenig jünger ist und ein paar winzige Details aus ihrer Vergangenheit auftauchen, wird Raffael im Zeitraffer immer älter, fast ist es dann ein Vater-Tochter-Verhältnis. Probenbild: Techniker und Darstellerin an der Arbeit. Die gesamte Geschichte des Paares ist längst voraufgezeichnet und wird über Monitore abgespielt. Damit das rund um die Bühne sitzende Publikum dem Geschehen ganz nah ist, gibt es mehre Monitore auf verschiedenen Höhen. Das ist auch notwendig, denn auf jedem Schirm erscheint eine andere Perspektive der Wohnküche, oder auch nur ein anderer Ausschnitt der gerade aktuellen Szene. Die Doppelgängerin auf der Bühne (Anna Katherina Bitterman) kocht, wie die gefilmte Mutter. Auch Neugierige müssen sich damit abfinden, dass sie nicht alles sehen können und können sich auf die Bühne konzentrieren, denn dort passiert das Gleiche nur ohne Sohn. Eine Frau deckt den Tisch für zwei, doch sie bleibt allein. Kein Sohn, kein Ehemann taucht auf, die Sektgläser bleiben leer, den Orangensaft trinkt sie allein. Und weil niemand da ist, bleibt diese einsame Mutter auch stumm. Anna Katharina Bittermann ist dieser Spiegel oder die Verdopplung von Maria Spanring. Muss die Videomutter aufspringen, weil ihr Baby weint, verlässt auch die Frau auf der Bühne den Raum.  Man darf ruhig feststellen, dass dieses Stück nicht nur einen, sondern mehrere doppelte Böden hat. Bei der Probe für die Videoaufnahmen: Die Mutter (Maria Spanring) erwartet ihr zweites Kind, der Sohn ist ungefähr elf. er stellt keine Fragen. Abgesehen von den inhaltlichen Überlegungen gibt es auch eine praktisch-technische Ebene, die einen Teil des Publikums, den jüngeren vermutlich, sicher interessieren wird. Der Aufwand ist nicht gering., doch die Synchronisation mit der LIve-Ebene und der Zwischenmusik von Bernhard Bauer ist perfekt.
Der kleine Regiefehler, der sich auf dem Monitor direkt vor meinen Augen wieder und wieder abspielt, tut diesem komplexen, technisch aufwändigen Stück keinen Abbruch. Experimente am Schneidetisch: Auf der Bühne und auf den Bildschirmen laufen die Aktionen parallel.Es ist kaum als Absicht zu interpretieren, wenn der nun ausgewachsene Sohn auf dem Keyboard herumhackt, doch am Bildschirm keine Veränderung zu erkennen ist. Gesehen hat das nur, wer ganz nah am Monitor gesessen ist. Der Einsatz von neuen Technologien ist nicht nur bei diesem schwierig zu interpretierenden, doch mit Esprit gebauten Stück problematisch: Die Technik übernimmt die Macht, stört die Konzentration, löscht den Geist des Themas aus. Die Form wird wichtiger als der Inhalt.
Von dieser Aufführung werden auch Vormittagsveranstaltungen angeboten, sodass die Schülerinnen danach diskutieren können. Oder sich bei Giovanni Jussi, dessen Spezialität die neuen Medien und technisch aufwändige Stücke sind, erkundigen, wie man Medienkünstler und Theaterregisseur zugleich wird.

Mother loves you, Idee + Konzept: TWOF2 + dascollectiv;
Regie: Giovanni Jussi
Regie- und Produktionsassistenz: Vera Buchgraber; Buch: Ursula Knoll Maria Spanring, die Mutter, die immer jünger wird. Zugleich die weibliche Hälfte von TWOF2.Performance: Maria Spanring, Anna Katharina Bittermann, Joshua Zischg, Dominik Gysin
Komposition + Livemusik: Bernhard Breuer; Bühne: Giovanni Jussi, Francesco Diaz
Kamera: Francesco Diaz; Kamera Operateur: Chiara Tenconi, Francesco Luciano, Luca Pallaro; Tonmeister: Mario Stadler, Make-up: Rachel Amacker, Kostüme: Barbara Gutmann: Filmset: David Grütter, Giovanni Jussi, Francesco Diaz
Fotos: © Francesco Diaz
Vorstellungen: 20.–23: Mai 2024, Dschungel Wien.