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Liebesgeschichten – keine Heiratssachen

Nach dem Erfolg ihres Sachromans Papyrus, ein Spaziergang durch die Geschichte der Welt in Büchern, tummelt sich die spanische Literaturwissenschaftlerin Irene Vallejo wieder im Altertum. Elyssa, besser bekannt unter ihrem lateinischen Namen Dido, ist die Heldin und zugleich Titelgeberin des jüngst übersetzten Romans. Vallejo kann lebendig und spannend erzählen, der fast 3000 Jahre alte Mythos liest sich als Liebesgeschichte von heute.

Elyssa wird zum ersten Mal vom römischen Geschichtsschreiber Justinus im Zusammenhang mit der Gründung Karthagos erwähnt. Der römische Dichter Vergil (70–19 v. Chr.) erzählt in seinem Epos Aeneis nicht nur die Vorgeschichte zur Gründung Roms, er verknüpft die Irrfahrten des Trojaners Aeneas auch mit Elyssa (Dido), der Gründerin Karthagos. Aeneas und seine Gefährten haben den Trojanischen Krieg überlebt und suchen eine neue Heimat. Ein Sturm lässt das Schiff an der Küste Karthagos stranden. Elyssa, die Königin der jungen Stadt, bietet den Flüchtlingen Gastfreundschaft und entbrennt in Liebe zu dem ansehnlichen Witwer, der, seinen Vater, Anchises, auf dem Rücken und den Sohn Iulus an der Hand aus dem brennenden Troja fliehen konnte. Seine Frau Krëusa hat er verloren. Aeneas ist der Sohn von Aphrodite (Venus) und Göttinnen und Götter mischen sich immer wieder in sein Leben ein. Nachdem er sich von Elyssa verführen ließ, erinnern sie ihn an seine wahre Aufgabe, nach Italien zu reisen, und er verlässt Elyssa. Die nimmt sich daraufhin das Leben. Gründe für den Suizid Elyssas werden in der Sage mehrere genannt. Elyssa hat das Land für die Errichtung einer Burg vom Nubierkönig Iarbas erhalten. Als Preis verlangt er die Ehe mit ihr, sie verbrennt sich lieber. Vergil erzählt im sechsten Buch, das Aeneas auch den Hades, das Reich der Toten, besucht und dort auf Elyssa trifft. Diese wendet sich stumm von ihm ab.
Davon erzählt Vallejo nicht mehr, ihre Geschichte endet mit Tod Elyssas. Sie hat sich ein Schwert Elyssas. in die Brust gestoßen. Doch der Roman ist noch nicht ganz zu Ende. Die Autorin erweist auch dem Dichter Vergil, an dessen Erzählung sie sich grosso modo hält, die Ehre. Sie lässt den traurigen alten Mann durch die Gassen Roms spazieren und über den Verfall Roms, die herrschenden Gewalt und den Verlust der Ideale sinnieren. Er beschließt zu erzählen, wie „alles angefangen hat“, nämlich die Geschichte des Aeneas, der dazu ausersehen war, den Grundstein für das römische Reich zu legen.
Das letzte Wort hat Eros (römisch: Amor), der Elyssa die brennende Begierde nach Aeneas eingeträufelt hat. „Gegen die Wasser des Vergessens“ heißt das letzte Kapitel des Romans, der nur scheinbar alte Sagen und Legenden erzählt. Die Menschen ändern sich nicht, sie tragen immer neue Masken, die des Guten und des Bösen.
Vallejo hält sich im Prinzip an Vergils Aeneis, doch erweckt sie die literarischen Figuren zu lebendigen Menschen. Mit ihrem Personal, von Elyssas Schwester, einer Außenseiterin, Aeneas’ lernbegierigem Sohn und den Hofschranzen bis zu Eros, dem intriganten Gott der Liebe, der seine eigenen Ziele verfolgt, begegnet der Leserin ein Pandämonium von fühlenden, leidenden, träumenden Menschen, die sich mit den Intriganten, den Fremdenhassern und Machtgierigen das Schicksal teilen. Die Autorin erzählt den Mythos um Dido und aus weiblicher, sogar auch durch Aeneas Sohn aus kindlicher Perspektive in kühler, heutiger Sprache und gibt so der uralten Geschichte einen aktuellen Anstrich. Ihr Roman reiht sich würdig in die lange Reihe der Verarbeitungen des Sagenstoffes vom Bühnenautor Christopher Marlowe und dem Librettisten Pietro Metastasio, auf dessen Libretto etwa 90 Opern beruhen bis zur Computerspiel-Reihe Sid Meier’s Civilization, ein.

Weniger würdig erscheint mit die Liebesschnulze von Emanuel Bergmann, Autor des Bestsellers Der Trick. Tahara, sein neuer Roman, vom Diogenes Verlag als „eine amour fou unter der Sonne der Côte d’Azur“ angekündigt, sollte man als Satire auf Liebesfilme und -romane lesen. Dann hält man die Schmonzette einigermaßen aus. Außerdem sollte man eine Kinofreundin sein, damit die zahlreichen Zitate und Anspielungen auch ankommen. Der hebräische Buchtitel bezieht sich auf die rituelle Waschung der Toten, „Tahara“ genannt, ein Brauch im Judentum. Der Protagonist, ein Filmjournalist, erzählt der geheimnisvollen Héloïse davon. Es ist die Schlüsselstelle des für mich quälend langweiligen Romans. Der nicht nur von einem Schwindler und seiner „Amour fou“ berichtet, sondern zwischen den Zeilen eine Vater-Sohn-Geschichte versteckt. Vielleicht samt der Sonne über Cannes, doch zu viel der Probleme. Empfehlen will ich den Roman nicht, auch wenn Elyssa ebenfalls einer Amour fou verfallen ist.

Irene Vallejo: Elyssa, aus dem Spanischen von Kristin Lohmann und Luis Ruby. 317 Seiten, Diogenes, 2024. € 25,70. E-Book: € 21,99.
Emanuel Bergmann: Tahara, 2. Auflage, Diogenes 2024. 288 Seiten. € 25,70. E-Book: € 21,99.