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Adieu Patriarchat, Willkommen Feminismus

Lau Lukkarila tanzt zur Auflockerung der Vorträge.

Feminismus! Da stellen sich bei manchen sofort die Haare auf und die Emotionen kochen hoch. Allerdings wird das Thema lieber am Wirtshaustisch diskutiert, anstatt Expertinnen und Experten zu Wort kommen zu lassen und diesen zuzuhören. Das hat die Regisseurin und Drehbuchautorin Katharina Mückstein veranlasst, sich mit dem akademischen Feminismus zu befassen und in einem Dokumentarfilm Expertinnen- und Experten-Wissen zu sammeln. „FEMINISM WTF“ ist ab 31. März im Kino zu sehen.

Filmplakat,  La Banda Film / Stadtkino FilmverleihDie erste Erkenntnis, die „FEMINISM WTF“ vermittelt, ist die Tatsache, dass im akademischen Feminismus viele Denkrichtungen und politische Positionen zusammenfinden. Wie eine der Befragten sagt, die Liste der Varianten und Positionen des Feminismus ist ellenlang.
In Mücksteins Film kommen Expertinnen und auch zwei Experten aus den unterschiedlichsten Disziplinen – Politik- und Sozialwissenschaften, Männlichkeitsforschung, Gender-, Queer- und Trans-Studies, … – zu Wort. Sie gehen der Frage nach, wie wir alle zum Aufbrechen von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen beitragen können, um eine solidarische Gesellschaft der Vielen zu sein. Deutlich wird: Feminismus und Kapitalismus passen nicht zusammen. Deutlich wird auch, dass dieser giftige Kreislauf, der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht, also die Wirtschaft, ohne Frauen nicht funktionieren kann. Würde der weibliche Teil der Menschheit die unbezahlte Arbeit in Küche und Kinderzimmer, die schlecht bezahlte Tätigkeit in den unterschiedlichen Pflegeberufen verweigern, wäre das der Zusammenbruch unseres ökonomischen Systems. Der Vorstellung, dass diese Frauen alle, von der Familienerhalterin bis zur Reinigungsfrau, in Streik gehen würden, für bessere oder überhaupt eine Bezahlung demonstrieren würden, gibt sich auch im Film niemand hin. Faris Cuchi Gezahegn tanzt ein rasantes Solo in der leeren Halle.
Mückstein setzt an die zehn Teilnehmerinnen inklusive zwei Teilnehmer vor die Kamera und lässt sich quasi ungefragt frontal hineinsprechen. Gegenrede, Antworten oder eine Diskussion sind nicht vorgesehen. So hübsch die Räume, in denen die Damen Platz genommen haben, ausgestattet sind, die Frontalvorträge sind ermüdend. Da helfen auch die kurzen Tanz- oder Turneinlagen, die der Auflockerung dienen sollten nicht. Exquisite Performer:innen sind dazu eingeladen: Alex Franz Zehetbauer, Lau Lukkarila, Faris Cuchi Gezahegn ({they/them/theirs}, der Reihe ihres Auftritts nach) sind eingeladen, doch sie werden nicht einmal vorgestellt. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass die drei Künstler:innen ebenso als Dekoration eingesetzt sind wie die Expertinnen in ihren unifarbenen Kostümen, die mit der farblichen Ausstattung der Räume korrespondieren.Uni-Professorin Nikita Dhawan kann ihre Thesen fesselnd vorbringen. Im Interview mit Karin Schiefer, Expertin bei Austrian Films, erklärt Regisseurin Mückstein, die Idee für diese die Aufmerksamkeit fesselnde Ausstattung, als wären die Expertinnen in Zuckerlpapier gewickelt:

Der ganze Film ist in leerstehenden Bürohäusern gedreht. Ich finde das Subversive an feministischen Ideen liegt darin, dass feministischer Aktivismus sich oft aus dem nährt, was die patriarchale Gesellschaft für sie übrig lässt. Mir gefiel der Gedanke, in ein Haus zu gehen, das aus einer patriarchal-kapitalistischen Idee heraus gebaut worden ist, um Menschen und ihre Arbeitskraft auszubeuten. Wir nehmen das, was dort an Resten zurückbleibt, und machen einen Film daraus. Das Setdesign setzt sich aus vielen Fundstücken zusammen und es entstand gemeinsam mit den Set Designerinnen die Idee, dass alles wie ein Candy-Wrapping aussehen sollte, in dem ein subversiver Inhalt verpackt ist. So entstanden die monochromen Sets. Regisseurin Katharina Mückstein, fotografiert von Elsa Okazaki. (Presseheft) Wir leben nach wie vor in einer Zeit, in der viele Leute schon bei der Nennung des Wortes „Feminismus“ die Augen verdrehen. Feminismus ist diskreditiert als etwas Staubiges, Sperriges, er gilt als kompliziert und unverständlich und als etwas, das nur in einer akademischen Blase stattfindet. Das stimmt einfach nicht. Ich gehöre einer Generation an, die durchaus mit Pop-Feminismus aufgewachsen ist, das wollte ich einerseits weitergeben und andererseits wollte ich einen Film machen, der cool und gut aussieht." (Austrian Films)

Mehr als anderthalb Stunden wird geredet, geredet, die kurzen Spielszenen zu Beginn sind längst vergessen. Im Gedächtnis geblieben sind die Statements der faszinierenden Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan, die mit klarem Ausdruck und funkelnden Augen das Kinopublikum direkt anspricht. Seit 2021 ist sie Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden. Seit 2012 gehört Dhawan zu den dreizehn Wissenschaftlerinnen, die die Femina Politica, die einzige deutschsprachige Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, beraten. Gemeinsam mit Maria Do Mar Castro Varela hat Nikita (die Eltern gaben ihr den Vornamen zu Ehren Nikita Chruschtschows) Dhawan eine „kritische Einführung“ in die „Postkoloniale Theorie“ verfasst.
Den Postkolonialismus ortet sie auch in der Feminismus-Debatte, Frauenschicksal ähnelt oft dem Sklavenschicksal.  Buchcover: Nikita Dhawan / Maria Do Mar Castro Varela: „Postkoloniale Theorie“.

„In ihrer Arbeit analysiert Dhawan das ambivalente Erbe der Europäischen Aufklärung für die postkoloniale Welt und suchität einer alternativen postkolonial-queer-feministischen Ideengeschichte von Schlüsselkonzepten nachzugehen.“ (Zitat auf Universität Innsbruck)

Professorin Nikita Dhawan könnte ich noch viel länger zuhören, sie spricht jede einzelne Kinobesucherin und auch jeden Kinobesucher an, redet nicht in die Kamera, sondern zum Publikum.

Was der Titelzusatz „WTF“ bedeutet, können jene, die mit dem Netzjargon nicht vertraut sind, in Wikipedia nachlesen. Mückstein erklärt auch das:

Der Filmtitel FEMINISM WTF kommt vielleicht auch daher, dass ich, als ich begonnen habe, an diesem Film zu schreiben, sehr genervt war. […] Feministisches Wissen wird viel zu oft verdrängt. Aus diesem Ärger und dem Gefühl „What the f*** – Was soll das?“ hab‘ ich von Beginn an mit diesem Titel gearbeitet und er wird letztlich bis ins Kino mitgenommen.“ (Katharina Mückstein im Interview von Karin Schiefer auf austrianfilms.com)Gelb im gelben Zimmer: Maisha Auma, Erziehungs- und Genderwissenschaftlerin.

Im eben in Graz zu Ende gegangenen Filmfestival Diagonale hat der Film den Preis des dort anwesenden Publikums erhalten. Was dem an Trockenheit leidenden Film fehlt, ist eine gewisse Leichtigkeit des Seins, eine Prise Humor, die das Gefühl, man werde von einer Menge unterschiedlicher Hämmer bearbeitet, ein wenig mildert. Zur akademischen Feminismus-Diskussion ist er sicher ein beachtenswerter Beitrag.

Katharina Mückstein: „FEMINISM WTF“,
Protagonist:innen: Maisha Auma, Persson Perry Baumgartinger, Astrid Biele Mefebue, Nikita Dhawan, Christoph May, Sigrid Schmitz, Franziska Schutzbach, Rona Torenz, Paula Villa Braslavsky, Laura Wiesböck, Emilene Wopana Mudimu
Performer:innen: Faris Cuchi Gezahegn, Lau Lukkarila, Alex Franz Zehetbauer
Idee: Katharina Mückstein und Ina Freudenschuß. Regie: Mückstein.
Kamera: Michael Schindegger; Schnitt: Natalie Schwager. Szenenbild: Katharina Haring, Nina Salak. Kostümbild: Monika Buttinger. Musik: Tony Renaissance; Sounddeisgn: Flora Rajakowitsch, Karim Weth. La Banda Film / Stadtkino Filmverleih. Im Kino ab 31. März 2023 im Kino.
Filmbilder: © La Banda Film