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Die Erde kollabiert, wo werden wir weiterleben?

„On Earth I‘m Done: Islands“: Menschen suchen einen neuen Lebensraum.

Mit "On Earth I’m Done: Islands" zeigen Jefta van Dinther, einer der interessantesten Choreografen des 21, Jahrhunderts und das Cullberg Ballet zim Tanzquartier vervollständigt der Choreograf seine Überlegungen zur drohenden Unbewohnbarkeit des heimischen Planeten. Van Dinthers Doppelstück besteht aus dem Solo „Mountains“ und dem Gruppenstück „Islands“, die Aufführungen können an einem Abend stattfinden oder unabhängig voneinander, sie handeln von Überlegungen, wie es weitergehen könnte, mit unserem Planeten.  

Licht und Schatten sind ein wichtiger Teil jeder Choreografie von Jefta van Dinther.Ausnahmezustand. Die Welt ist am Ende, erledigt, nicht mehr bewohnbar. Inseln im All, fremde Planeten müssen gesucht werden, wenn man fertig ist mit der Erde ist. „On Earth I‘m Done“, sagt Jefta van Dinther und schickt eine Gruppe auf die Suche nach neuen Möglichkeiten des Lebens, falls der Erdball zu heiß oder zu frostig wird. Kann sein, dass die Menschen sich dann anpassen, zu Insekten werden, zu Pflanzen oder zu Maschinen. oder eben einen neuen Lebensraum suchen.
„Islands“ nennt Jefta van Dinther einen zu findenden Platz, für den Fall, dass alles Lebende auf der Welt nicht mehr existieren kann. „On Earth, I’m Done: Mountains“ und „On Earth, I’m Done: Islands“ heißen die beiden Teile des getanzten Diptychons, das der international geschätzte Choreograf und Tänzer mit dem Cullberg Ballet aus Stockholm erarbeitet hat. „Mountains“ ist ein einstündiges, überaus anstrengendes Solo, in dem die Tänzerin oder der Tänzer auf der Bühne die Situation in einer Person in ihrem Umfeld erforscht. Einander fremde Menschen lernen einander kennen und werden zu einer Gemeinschaft. Die Person lebt nicht mehr in einer gesicherten Welt, der Himmel sinkt herab, die Erdkugel dreht sich darüber, nur der Berg stellt eine Verbindung her. Wie findet sich das Individuum zurecht? Die Solistin / der Solist machen alle Gefühlszustände, von Verzweiflung und Wut bis zur Resignation und dem Aufbruch zur Suche nach Neuem, durch. Im Tanzquartier war das aufregende Solo mit dem Cullberg-Tänzer Freddy Houndekindo im Jänner 2022 zu sehen. Der zweite Teil, „Islands“ musste verschoben werden und ist am 23. und 25. März im Tanzquartier zu sehen. Keiner / keine  kennt die anderen, erst allmähilch fassen sie Vertrauen zueinander.War der linke Flügel (wir lesen doch von links nach rechts) der doppelten Bildtafel ein Solo, so sind im rechten Flügel 13 Tänzer und Tänzerinnen des Cullberg Ballets auf der anfangs in mystisches Dunkel gehüllten Bühne. Langsam hebt sich der Nebel, allmählich werden lebendige Wesen sichtbar, die das Publikum an einen fremden Ort heben, es aus Zeit und Raum heraus, in eine fremde Welt. Es ist eine kleine Gruppe, die neue Lebensformen lernen muss. Es wird nicht gesagt, ob es Flüchtlinge sind oder Entdecker, Ausgestoßene oder Abenteurer, auch nicht, ob es Männer oder Frauen sind. Doch sie müssen andere Talente entwickeln, und so möglicherweise zu anderen Wesen, organische oder anorganische, mutieren. „In ‚Mountains‘ habe ich Kultur und Natur gegenübergestellt, jetzt, im zweiten Teil ‚Islands’ ist der Dualismus Kultur und Technologe. Rückblick: Im ersten Teil der Doppelchoreografie, „Mountains“, geht es um das Verhältnis von Mensch und Natur. Doch im Grunde beschäftigen sich alle diese Fragen mit der Notwendigkeit, uns zu fragen, was das Menschliche tatsächlich ist.“ Das klingt komplizierter, als es ist. Jefta van Dinther kann seine metaphysischen Gedanken anschauich und eindrucksvoll in Bilder umsetzen.
„On Earth, I’m Done“ sind keineswegs düstere, traurige Endzeitklagen, spannend und voller Fragen, ohne Antworten freilich, mit Schatten, aber auch mit Licht, und es darf sogar gelacht werden. Etwa, wenn, um die Beziehung der Menschen zur Technologie zu untersuchen, ein kleiner Putzroboter über die Bühne schnurrt. Freddy Houndekindo hat als Solist den ersten Teil von "„On Earth, I’m Don“ alleine gestemmt.
Jefta van Dinther, geboren 1980 in den Niederlanden und in Schweden aufgewachsen, lebt jetzt in Berlin. In den Spielzeiten 2019 bis 2022 war er „associated Artist“ bei der schwedischen Tanzcompagnie Cullberg Ballet. „Doch jetzt will ich sesshaft werden, das Herumreisen auf den Tourneen mit der Compagnie war sehr anstrengen“. Zeit für eine eigene, feste Compagnie hat er noch nie gehabt: „Die will ich jetzt aufbauen. Nach meiner Ausbildung in Amsterdam habe ich in verschiedenen Compagnien getanzt, etwa mit Mette Ingvartsen, mit der ich 2008 auch mein erstes Stück gemacht habe. “ Nomade will er nicht länger sein, auch das Privatleben ist wohlgeordnet: Mit einem Arzt verheiratet, hat er die Familie erst kürzlich mit einem Hund vervollständigt. Strahlend erzählt er von seinem Liebsten, der aus Hannover kommt und in Berlin eine Praxis eröffnet hat, und dass er auch sesshaft werden will. „Wir wollen unsere ‚Würzeln‘ jetzt in Berlin verankern“, Choreograf und Tänzer Jefta van Dinther. © Beata Cervin sagt er in seinem schon recht guten Deutsch, auch wenn er es bevorzugt, Englisch zu sprechen: „Da muss ich nicht so lang nach Vokabeln suchen.“ Die Bedeutung des Vornamens des Ehemanns, Felix, der von Glück gesegnete, gefällt ihm: „Ja glücklich, das bin ich.“
Was an Jefta van Dinther überzeugt und ihn von vielen, oft narzisstischen Choreografen unterscheidet, ist seine Aufrichtigkeit, sein Humor und seine überragende Intelligenz. Weder als Tänzer noch als Choreograf stellt er sich selbst in den Vordergrund und bei all der Metaphysik und der Dunkelheit, die in vielen seiner international akklamierten Werke vorherrschen, bleiben diese immer zugänglich und verständlich, auch ohne Worte.Auf der Suche nach neuem Lebensraum werden Entscheidungen gemeinsam getroffen. „Ob ich getanzt habe oder eine Aufführung ausdenke, ich gehe immer von einem physischen Ansatz aus, meine Stücke sind immer sehr körperorientiert. Der tanzende Körper ist das Zentrum, doch ich meine mit Körper auch Licht, Klang und Materialien, die interagieren ja alle miteinander. Unter jedem Thema, mit dem ich mich mit den Tänzern auseinandersetze, liegt immer mein Interesse an der Bewegung selbst. Das ist ein immerwährendes Forschungsprojekt.“ Plastisch ist das auch in beiden Teilen des aktuellen Stücks zu sehen. In „Islands“ wuseln die Tänzerinnen und Tänzer im Dämmerlicht durch den Raum, kriechen, rollen, krabbeln, winden sich wie Schlangen auf dem Bode, hopsen wie Affen, bewegen sich auch als automatische Puppen, sind Erdlinge und Aliens, Menschen und Tiere und Maschinen. „In diesem Stück, ohnehin wie in allen meiner Choreografien, gehe ich der Frage nach, Die Reise führt die Wandernden durch Tage und Nächte.was es bedeutet, ein Mensch zu sein, und zwar in seiner Beziehung, zur Gesellschaft, zur Gemeinschaft und zu Umwelt, aber auch zu anderen Lebensformen wie Tiere oder nicht menschlichen Wesen. In ‚Islands‘ sind meine zentralen Gedanken: Was bedeutet Lernen, wie lernen wir, etwa sprechen oder kommunizieren mit Unbekannten. Und, wie bewahren wir die Individualität in einer einheitlichen Gruppe.“
Die menschlichen Wesen, die da in Islands gelandet sind, kennen einander nicht, haben nur das gleiche Ziel, einen neuen Lebensraum zu finden. Sie lernen voneinander, sind eine Gemeinschaft, doch immer wieder absentiert sich eines der Wesen (alle sind gleich gekleidet, Männer und Frauen sind nicht zu unterscheiden), tritt aus der Gruppe aus, Jefta van Dinther, Choreograf: „Das Stück ist keine Utopie, sondern eher ein Forschungsprojekt.“kann aber alleine nicht existieren und kehrt wieder zurück in die Gemeinschaft. „Islands“ ist keine Utopie und schon gar keine Dystopie, sondern eher ein aktuelles Forschungsprojekt. In der Arbeit schwingt auch eine Frage mit, die keineswegs eine diffuse Zukunft betrifft, sondern gegenwärtig viele Menschen umtreibt: Wie gehen wir mit der Technik, der KI und dem sogenannten Metauniversum um? 
Auch wenn Jefta van Dinther viel zu sagen (und zu fragen) hat, ist er nicht geschwätzig: Seine Ballette sind kaum länger als eine Stunde, kompakt, präzise, sinnlich und verständlich, auch ohne Erklärung.

Jefta van Dinther / Cullberg: „On Earth, I’m Done: Islands“,23., 24., 25.3. 2023,, Tanzquartier.
Choreografie: Jefta van Dinther.
Musik: David Kiers;  Kostüme: Cristina Nyffeler; Licht: Jonatan Winbo.
Tanz und Choreografie: Tänzerinnen und Tänzer des Cullberg Ballet.
Fotos: Carl Thorborg