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Das Leben ein Roman: Ósmann, Fährmann und Poet

In der Schweiz geboren, in Island zuhause: Joachim B. Schmidt.

Jón Magnússon, aus dessen Leben Joachim B. Schmidt berichtet, hat tatsächlich gelebt, war Fährmann am Skagafjord, Dichter, Robbenjäger, der die Geister und Feen ebenso liebte wie die Lebenden. Stets war er bereit, Mensch und Tier mit der Seilfähre über den Ós, die Flussmündung im Skagafjord, zu kurbeln. Als Ósmann ist er zur Legende geworden und zum Romanhelden von Joachim B. Schmid.

Das Amateurfoto zeigt im Hintergrund Jón Magnússon, genannt Òsmann, der wartend am Strand steht. © David Johannsson, ssnv.is Es ist eine wahre Geschichte, die Schmidt erzählt, doch, wie er zugibt, hat „sich der Autor erzählerische Freiheiten erlaubt.“  Die Fangemeinde von Joachim B. Schmidt weiß längst, dass der gebürtige Schweizer Autor, 2007 ausgewandert und zum Isländer geworden ist. Seine beiden Kinder tragen isländische Namen: Heiðdís und Rögnvald. Nach den beiden Romanen über Kalmann und der traurig-komischen Geschichte von Heinrich Lieber, dem Schweizer Bauingenieur, der nach Island reist und nie mehr nach Hause findet, ist klar, dass Schmidt ein Faible für außergewöhnliche Menschen, sonderbare Typen hat. Seine Protagonisten wären möglicherweise anderswo  gemiedene Außenseiter, hier jedoch auf der Vulkaninsel, wo Trolle, Feen und das gesamte Huldufólk, das verborgene Volk, präsent ist, die Menschen mit dem Herzen denken und die Geister in ihre Hütte bitten, werden sie  als einer von allen angenommen , geliebt und verehrt. Der idyllische See fließt in den Fjord Skagafjorður ab, wo Ósmann als Fähmann auf Gäste wartet. Ósmann, der Fährmann, der Menschenfreund und Trinker, der Dichter und Raucher, der seiner Hütte und den Flachmann Namen gibt, der gerne Späße macht und mit den vorbeiziehenden Händlern lacht und doch wie die gesamte Erzählung eine tiefe Melancholie ausstrahlt, gehört zu diesen besonderen Menschen, die in der Erinnerung lebendig bleiben.Sauðárkrókur am südlichen Ufer des Fjords Skagafjörðurist mit 2500 einwohnern die größte Stadt in Nordwestisland. © Photo: Hansueli Krapf, CC BY-SA, Wikimedia Commons Der Autor hat akribisch recherchiert, mit den Urenkeln von Jón Magnússon gesprochen, die Gegend des Skagafjord genauestens erforscht, das Wetter zu Lebzeiten Ósmanns notiert und lässt die Leserinnen in jedem Satz seine Liebe zum Land und seinen Bewohnerinnen spüren. ZU Ósmanns Lebnzeiten waren viele  Häuser aus Tofziegeln und mit Grassoden bedeckt.  © wikimediaAls Basis der wunderschönen, auch wunderlichen Erzählung dient die 1974 erschienene Biografie von Kristmundur Bjarnason (1919–2019): Jón Ósmann, ferjumaður. Jón Magnússon, der  Ósman, hat von 1862 bis 1914 gelebt. Einfach war sein Leben nicht, doch trotz der vielen Schicksalsschläge versteinerte er nicht, behielt seine Wärme und seinen Optimismus, half den Menschen so gut er konnte, Der  Skagafjörður mit den Inseln Drangey und Málmey. © Christian Bickel / wikipedia rettete Ertrinkende, musste seine Kinder begraben und gab niemals auf, auch wenn er scheiterte.
Schmidt lässt die Leserinnen in die Natur und Landschaft Islands eintauchen, gibt einen Einblick in die Lebensbedingungen und die Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts und legt den Leserinnen den Ósmann direkt ans Herz. Man kennt ihn, liebt ihn und ist ein wenig betrübt, nicht in seiner Hütte mit ihm ein Schnaps gekippt zu haben. Dann hätte man vielleicht den Fremden gesehen, der Ósmann begleitet und der eigentliche Autor dessen Lebensgeschichte ist. Erst ganz am Ende, wenn man sich an den Schnellreimen, die nicht nur Ósmann beherrscht hat, ergötzt hat, mit ihm in den eiskalten Ó gestiegen ist, seine Freunde, Frauen und die Händler kennengelernt hat, wissen wir auch wer der heimliche Verfolger war, der Ósmann geliebt hat und seine Lebensgeschichte erzählt, die Joachim B. Schmidt aufgeschrieben hat. Buchumschöag: Ósmann: „Portrait of Rick“, Gemälde von Hoshim Akim.. © Hoshim Akib / Diogenes Verlag

Ein Zuckerl zum Abschluss:

Wird angeschwemmt und liegt im Sand,
hat abgestreift das Robbengewand.
Zum Abschied heb‘ ich hoch die Hand.
Stets willkomm’n am Fabelstrand.

Viele solcher kleinen Reime hat der Autor in die mit Fantasie angereicherte Biografie eingestreut. Einige sind tatsächlich von Ósmann, andere hat Schmidt bei isländischen Dichtern gefunden und einige wohl selbst nachempfunden, wie das von der an Land gestiegenen Robbenfrau.

Joachim B. Schmidt: „Ósmann“, 288 Seiten, Diogenes 2025, €25,70. E-Book 21,99.