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K. Fransman, J. Plackett: Der Prinz auf der Erbse

Jonathan Plackett, Karrie Fransman: Das Autorenpaar ist auch ein Ehepaar.

Ein Buch zum Wundern und zum Schmunzeln. Karrie Fransman und Jonathan Plackett haben in bekannten Märchen das Geschlecht der Hauptpersonen getauscht, Prinzen werden zu Prinzessinnen, Kater zu Katzen, das Böse im Wald ist eine Wölfin. Und, klar, Rapunzel lässt seinen Bart herunter. Fransman hat illustriert, Plackett hat ein Computerprogramm entwickelt, das die Arbeit des Gendertauschens samt sämtlicher Accessoires übernommen hat. Sehr fein gesponnen sind die umgedrehten Märchen nicht, doch sie unterhalten und regen zum Nachdenken an.

Da liegt er, der Dornrösling, der schlafende Schöne, im Walde und wartet auf die Prinzessin, die ihn weckt. Nicht nur Prinzessinnen, auch Prinzen haben empfindliche Hinterteile und spüren die Erbse unter 20 Matratzen plus einer Daunendecke. Und erst „das Biest“! Es ist weiblich, eine Bestie, und der Schöne muss tapfer sein und sie erlösen. Dass die Verwandlung von Mädchen und Frauen in Buben und Männer nicht immer funktionieren kann, ist evident. Wenn Dornröschen Dornrösling wird und Schneewittchen Schneewittich, dann fehlt der psychologische Hintergrund, der von Plackett entwickelte Algorithmus arbeitet nur oberflächlich. Wenn Mütter auf die Tochter eifersüchtig sind, reagieren sie anders als Väter, die sich vom Sohn bedroht fühlen. Es genügt einfach nicht, aus Männern Frauen zu machen und umgekehrt. Doch wenn weibliche Menschen für Mut und Tapferkeit belohnt werden und männliche nach ihrer Schönheit und Fügsamkeit beurteilt werden, dann ist das durchaus befriedigend, vor allem für Leserinnen. Die sind ja, wie mehrfach nachgewiesen, die Hauptkonsumenten von schöner Literatur.
Dem Aschenpeterl geht's nicht gut, der Stiefvater lässt seiner Bosheit freien Lauf. Doch nur ihm passt der Pantoffel, und alles wird gut. Fransman und Plackett haben die Märchensammlungen verschiedener Autor:innen durchforstet, von Madame de Villeneuve (Gabrielle-Suzanne Barbot de Villeneuve), die 1740 das Märchen von der „Schönen und dem Tier“ („La Belle et la Bête“) erzählt hat, über Charles Perrault, der schon im 17. Jahrhundert, 100 Jahre vor den Brüdern Grimm, eine in ganz Europa verbreitete Märchensammlung herausgebracht hat, bis zu seinen Nachfolgern Grimm und dem Märchenerfinder Hans Christian Andersen. Vor allem die Unterschiede zwischen der Erzählung derselben Themen durch Perrault und den Brüdern Grimm bergen manche Überraschung. Für mich am besten funktioniert hat gleich die erste „verdrehte“ Geschichte vom Schönen und dem Biest. Das „Biest“ ist zwar weiblich, aber wie sein männliches Pendant, das Tier, kein böses Wesen, wie etwa die Wölfin, die das schöne Bübchen mit dem roten Käppchen schwuppdiwupp verschlingt, kein Jäger kommt und rettet Großvater und Enkel. Das Biest ist lediglich abgrundtief hässlich, da schlottern dem gar nicht sehr tapferen Jüngling die Knie. Natürlich sollen auch die Leserinnen, das Publikum der Filme, von Cocteau bis Walt Disney, denken, dass da ein böses Tier im Schloss haust, doch die Aussage dieser zu Herzen gehenden Geschichte ist ein Schlag ins Gesicht sämtlicher Laufstegstars: An der schönen Larve liegt es nicht. Ausschnitt aus der Illustration zu "Rotkäppchen und die böse Wölfin". Diese Geschichte funktioniert in ihrer Umkehrung wunderbar, man muss sich nur dauernd bewusst sein, dass diese furchterregende Bestie ein weibliches Wesen ist, das ohne Rücksicht um seine Entzauberung kämpft. Das Gegenbild zur Schwanenkönigin, von der im Libretto zum Ballett „Schwanensee“ erzählt wird. Hat man sich einmal mit dem Biest angefreundet, erscheint Odette, die Schwanenkönigin, eher läppisch. Sie handelt nicht, sondern überlässt es ihm, dem Prinzen Siegfried, aktiv zu werden. Nicht verwunderlich, dass der Handel schiefgeht. "Der Prinz auf der Erbse", Buchcover, © Kein & Aber.
Immer sympathischer wird mir die Bestie im Märchen, sie handelt und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. „Frauen zuerst“, mag jede Frau auf ihre Fahnen schreiben, doch die Rollen sind seit Jahrhunderten verteilt und im Denken fest verankert. Was weiblich ist / sein darf und was männlich, kann nicht so einfach aus dem Gedankengebäude entfernt werden, Feminismus hin, Gendertausch her. Schon deshalb muss dieser Versuch des britischen Paares gefallen.
Fransmans zauberhafte, mit Tinte und Aquarellfarben hingepinselte Illustrationen tun ein Übriges. Sie illustriert weniger die Handlung als die Atmosphäre, lässt Vögel und Schmetterlinge flattern, Blumen erblühen und Blätter sprießen und einen unheimlichen Wald erstehen, diese wundersame, bunte Natur, macht den Band zu einem richtigen Märchenbuch, auch für Kinder.

Karrie Fransman & Jonathan Plackett: „Der Prinz auf der Erbse und andere umgekrempelte Märchen. (Originaltitel: „Genderswapped Fairytales“), aus dem Englischen von Sophie Zeitz-Ventura, Kein & Aber, 2022. 200 Seiten. € 28,80.
Abbildungen: © Karrie Fransman & Jonathan Plackett, Der Prinz auf der Erbse, 2022 by Kein & Aber AG Zürich – Berlin