Skip to main content

Chris Kraus: Die Blumen von gestern

Lars Eidinger, Jan Josef Liefers: Der Prügler und sein Opfer © Dor Film

Der Film von Chis Kraus (Journalist, Autor, Regisseur und Filmproduzent), „Die Blumen von gestern“, hat schon bevor er in den Kinos anläuft unheimlich viele Preise eingeheimst. Am Anfang stand der Thomas-Strittmatter-Drehbuchpreis von Baden-Württemberg, nach Preisen beim 29. Tokyo Filmfestival steht am vorläufigen Ende der Baden-Württembergischer Filmpreis in der Kategorie besten Spielfilm. Verständlich, die MFG Baden-Württemberg (Medien- und Filmgesellschaft) hat die Produktion mitgefördert. Eine Tragikomödie zum Thema Holocaust und seine Erben, soll es sein, weist aber auch Spuren eines Dramas, einer wenig überraschenden (recht kurzen) Liebesgeschichte, dazu gibt es auch das Psychogramm eines Besessenen und Traumatisierten zu ertragen.

Adèle Haenel, Lars Eidinger: Doch nur eine Schnulze? Alle Bilder © Dor Film Regisseur und Drehbuchautor Kraus hat sich jegliche Entscheidung erspart. Falls ein Kuddelmuddel und überzeichnete Charaktere genügen, um witzig zu erscheinen, dann ist „Blumen von gestern“ eine Komödie. Ernst zu nehmen ist der Film ohnehin nicht. Der Film will zu vieles sein und pendelt dauernd zwischen Slapstick und mit Hundeblick garniertem Ernst hin und her. Doch werden die Elemente nicht nahtlos verschmolzen, sondern einfach aneinandergefügt. Nach jedem Lacher, den der Film mit unglaubwürdiger grotesker Darstellung dem Kinopublikum entlocken möchte, kommt die Entschuldigungs-Szene: Wir nehmen das Thema – deutscher Holocaust-Forscher, in Nazifamilie aufgewachsen, trifft französische Jüdin, deren Großmutter in Auschwitz umgebracht worden ist – ganz ernst.

Der von Wiedergutmachung besessene Historiker Totila Blumen hält die ihm als Praktikantin zugeteilte Studentin Zazie für etwas leer im Hirnkastel, weil er vermutlich alle Frauen für geistig unterbelichtet hält, lässt sich aber endlich, doch von ihr in Bett locken. Schon glaubt er, sein Leben habe sich um 180 Grad gewendet und will seine Frau verlassen. Um noch eins draufzusetzen: Totila ist Impotent, Zazie kann ihn heilen. Für eine Nacht wenigstens. Der Hysteriker (Eidinger)  schlägt wieder zu und zertrümmert auch die Einrichtung.

Zazie nervt den Totila, ihr Liebhaber, der beinharte Karrierist, Balthasar („Balti“) geht ihm auch auf den Geist, er nervt seine Frau und mich nerven alle zusammen. Auch wenn Hanna Herzsprung als Totilas Ehefrau nur eine kleine, für die Handlung keineswegs relevante Rolle spielt, stört mich ihre Tatenlosigkeit, sie jammert, statt diesen aggressiven Untam aus der verglasten Villa hinaus zuwerfen.

Die schöne Adèle Haenel als ZazieMir scheint, der Film sei nur gedreht, damit dieser Totila (der Name eines Ostgotenkönigs) zuschlagen kann und dann sein Erzfeind, ebenfalls Holocausthistoriker, mit Zahnspange und Kopfgestell umhergehen muss und kein verständliches Wort herausbringt. Später fliegt ein Hund aus dem Autofenster (auch Zazie hat ihre hysterischen Anfälle), auch er muss Kopfbandagen tragen. Ja, man wird lachen, auch über den Konflikt, zwischen Balti und Toti, der sich über Brötchen und Sponsoren aufbaut oder wenn Zazie sich im Zorn mit roter Farbe übergießt, die freundlicherweise in Griffnähe steht. Balti serviert ur Vorbesprechung für einen geplanten Holocaust-Kongress die Kanapees (weder Schnittchen, noch Brötchen, wegen der Zahnschiene kann er weder noch beißen) . Das stinkt dem Toti – Prügelstrafe. Er hat ja auch allen Grund für seine Ausbrüche, wollte er doch den Job als Kongressleiter haben, den Balti erobert hat. Der in den ersten Minuten des Films verstorbene Schirmherr des Kongresses,d ein mildgewordener alter Jude, hat das so bestimmt.

Das alles ist so wirr (warum etwa hat der Verstorbene in einem verlotterten Chaos gewohnt, und warum soll die französische Praktikantin und natürlich Intelligenzbestie Zazie ausgerechnet dort einquartiert werden?) und so absichtsvoll um der Gags willen inszeniert, dass ich schnell verstimmt bin.

Komödien die den Holocaust, die Nazizeit und das jüdische Leben zum Thema haben gibt es viele und sie sind alle amüsanter und dadurch auch ernst zu nehmender. Ich denke da vor allem an den Schweizer Regisseur und Schauspieler Dani Levy, der mit dem Ernst-Lubitsch-Preis ausgezeichnet worden ist. „Die Blumen von gestern“ (soll der Filmtitel und der Familienname des Protagonisten, Blumen, ein Wortspiel sein?) gehört nicht zu den Filmen, die unterhalten und beeindrucken zugleich.Auch Zazie  (Haenel, Eidinger)hat ihr Trauma.#der guß mit roter Farbe hilft dabei nicht.

Die Inszenierung, eine Aneinanderreihung von bizarren Einfällen und unvermittelten Ausbrüchen der Hauptdarsteller, wirkt zerfahren und fragmentarisch, die Rollen überzogen und konstruiert. Außerdem, Gewaltszenen empfinde ich als wenig komisch. 

Zum Abschluss das Plus. Die Darstellerin der Zazie, Adèle Haenel. Die hat alles, was man von einer Französin erwartet: Charme und Gefühl und eine Leichtigkeit des Spiels, dass man ihr auch die überkandidelten Frechheiten dem deutschen Totila gegenüber verzeiht. Dass sie sich aber in diesen gewalttätigen Ungustl wirklich verliebt, nehme ich Zazie nicht ab.

Lars Eidinger ist Totila, der nicht aufhören kann, seinen Missmut über sich selbst, an anderen auszulassen. Jan Josef Liefers, muss Balthasar mit dem Kopfgeschirr spielen; als Ehefrau Blumen huscht Hanna Herzsprung als dunkler Schatten zwischen Tür und Angel.
Ein ernster Moment in Rga: gedekminute auf dem Friedhof (Henlein, Eidinger)Das Plus wird zum Doppelplus durch die Mitwirkung der im August 2016 mit 91 Jahren verstorbenen ehemaligen Burgtheaterschauspielerin Sigrid Marquardt. Sie ist Frau Rubinsein, die aus Israel als Zeitzeugin und Holocaust-Überlebende den Kongress aufputzen soll – grantig, kompromisslos, glaubwürdig. Über jeglichen Verdacht, eine Karikatur zu spielen, erhaben. Sigrid Marquart ist nach den Dreharbeiten im August 2016 in Baden verstorben.

„Die Blumen von gestern“, Buch und Regie: Chris Kraus; mit Lars Eidinger, Jan Josef Liefers, Adèle Haenel, Hannah Herzsprung, Sigrid Marquardt (†).
Kinostart am 13.1. 2017.
Das Buch zum Film ist 2016 bei Diogenes erschienen. € 20,50.