Skip to main content

Quittner/Meixner/Mölkner: Call me supreme, Baby

Eine Chance für ein Junges Team: "Call me supreme, Baby".

Zweimal im Jahr vergibt der Dschungel Wien „Slots“ an junge Nachwuchskünstler*innen unterschiedlicher Genres. „Slots“, das sind nicht einfach nur „Löcher“ im mehr als dichten Jahresprogramm des Theaters für junges Publikum, die gefüllt werden wollen, sondern programmatisch klug gewählte „Fenster“, die die laufende Projektauswahl ergänzen und erweitern und vor allem auf die Interessen und Problematiken junger und jüngster Theatermacher*innen als „Repräsentant*innen“ ihrer Generation verweisen.

So ist es auch im Falle der noch bis 30. Mai laufenden Produktion Call me supreme, Baby eines achtköpfigen Projektteams unter der künstlerischen Leitung der drei Nachwuchstheatermacher*innen Nadine Quittner, Florian Meixner und Mascha Mölkner. Verhandelt werden darin die Sorgen, Nöte, Ängste und Verhaltenscodes dieser „Generation #noempathie“.

Dekadenz des Dauereskapismus Dekadenz des Dauereskapismus

#noempathie, das ist das Schlagwort, unter dem sich all die Biografien, die das Projektensemble zusammengetragen hat, zusammenfassen ließen – „Lebensrealitäten“, die alle wie eine wirken, zumal eine mehrheitlich weibliche, wenn auch sexuell laut Eigenanalyse ziemlich verwirrte und auf mehrfache Weise „zugedröhnte“ Biografie, soweit man ein dysfunktionales Wesen noch mit dem Begriff einer Biografie umfassen kann. Hier tanzen sie also, zu den harten Beats und sich ständig verändernden Lichtimpulsen (Konzept: Mirza Kebo), die zugleich auch die Dramaturgie des Abends vorgeben. Lichtwechsel – Story-Wechsel – Personen-Wechsel – Szenen-Wechsel. Das geht inszenatorisch relativ gut auf, löst sich aber schon recht bald als künstlerisches Mittel der Wahl ein, ohne darüber hinaus mehr zu versuchen, und bleibt ein wenig im Bemühen stecken, diesen großen Monolog einer „ewig 19-Jährigen“ in mehr oder minder episodenhafte Momente zu strukturieren: hier das emotional verwahrloste Wohlstandskind, dessen Erfolgsbiografie – „HARVARD STANFORD BERKELEY CAMBRIDGE“ – schon erzählt ist, bevor das Leben noch begonnen hat; da das dauerüberforderte ewige „Kind“ als Projektionsfläche für den Frust der Eltern; dort das Begehren der nächtlichen Disko-und-danach-Partner*innen – Geschlecht egal, man wacht am Morgen sowieso auf ohne zu wissen, wer da neben dir liegt ...

Dazwischen wird getanzt

Im Rhythmus der steten Lichtwechsel bestimmen auch die eingesetzten Beats, manchmal wird danach von einer der fünf jungen Performer*innen (vier Frauen, ein Mann) gerufen, um dem Gesagten, soeben für alle, die es hören oder nicht wollen, Ausgespuckten ein Ende zu setzen; manchmal setzen sie einfach so ein. Erholung durch wildes Tanzen. Das geht zumindest noch, wenn man noch jung ist. Anpassung und Reproduktion

Erzählt werden in diesem knapp 50-minütigen Schrei einer Generation ohne Bewusstsein alle Facetten der ewigen Jugend zwischen „Scheinidentität“ und „mangelnder Empathie“. Im Zentrum steht deren „multifaciality“, also ihre zugleich mehr als eine Identität aufweisende, mehr als ein „Gesicht“, Nicht-mehr-Identität. Im Tanzen kann man sich alles hinausschwitzen.

Anpassung und Reproduktion

Viel Naives wird hier mit überbordender Energie hinausgeschrien, so wie das Leben eben ist: banal und schmerzhaft. Keine Eltern, die einen mehr schützen, so sie das je getan haben (haben sie nicht); Eltern, die selbst schon zur Generation „Ich-AG“ zählen. Keine Freundschaften, die die Angst nehmen, „Angst vor der Zukunft, Angst davor, Frau zu sein“, Angst davor, ein „Ich selbst“ zu sein, weil man sich dann zu verhalten hat gegenüber wem und was auch immer – da hilft es auch nicht, den „Hund zu treten“, weil er, der Hund, noch dieses „Ich“ empfindet und Bedürfnisse zu „markieren“ versteht.

#noempathie-Erklärungsmodell: "Call me supreme, Baby"Für Momente gelingt der Arbeit, über das geifernde #noempathie-Erklärungsmodell hinaus so etwas wie eine tiefere Sicht auf das, was hier herausgeschrien wird, zu erzählen, ohne sich gleich wieder von sich selbst zu distanzieren. Das ist auch einfach zu kokett und zu einfach, sich in einem fort wegzutanzen, bis das Hirn keine Erklärungen mehr versucht.
Doch diese Momente sind, im Text wie in der Inszenierung, rar. Vielleicht zu rar für einen Versuch, der unter die Haut geht, weil er authentisch ist, wo es um Authentizität schon lange nicht mehr gehen kann. Auch die hat die Generation „Ich-AG“ vor Urzeiten (also zumindest um die Jahrtausendwende) bereits in den Müll geworfen und der Generation ihrer Kinder, der Generation #noempathie nichts mehr gelassen, als sich also kontinuierlich ‒ und trotz allem Leides doch immer ein wenig selbstverliebt ‒ über trockenen Beats und nassem Schweiß über das eigene Elend auszukotzen. „Entspann dich doch mal!“, schreit eine der früh Verletzten.

„Performance-Druck der Bestenauslese“

Doch wie entspannen, wenn es kein Begehren ‒ und dennoch „Sex bis ins Koma“ ‒, kein Mitgefühl ‒ weil weder mehr ein fühlbares „Du“ oder gar „Ich“ (mehr) existieren ‒ und ein Haufen „eigener psychischer Probleme“, die einen daran hintern, auch mal „Kindern, denen es (noch) schlechter geht, zu helfen“, gibt? Das alles hat man schon lange vergessen, wie man auch vergessen hat, was letzten Freitag war: „Hallo, letzte Woche ...?!“ Wo bist du? Erinnerung an nichts, weil nichts ist, nicht mal „man“ selbst.

„No logic, no sense, no future, no past“ „No logic, no sense, no future, no past“. So schaut's aus.

Mit diesem Satz gegen Ende der Performance ist vielleicht alles umrissen. Fünf Darsteller*innen, neun Stühle, eine leere Bühne und ein „Disco-is-more-than-life“-Sound, der über allem seinen abgestumpften Pulsschlag ausstößt. Alle in weißen T-Shirts und blauen „Blue-Jeans“ ‒ und sie singen den „Blues“ einer Generation, der die Tonalität ausgegangen ist. Ein langer, harmonieloser, grausamer Aufschrei, in dessen Textkorpus sich nicht mehr viel von einer „Welt da draußen“ hineingeschwindelt hat. Man ist blind geworden, taub, mittellos. Nur der lange Schrei noch, die „eigene aggressive Eloquenz“, die Verliebtheit in das einzige verbliebene „Du“, dieses bisschen „Ich“ ist in den Momenten, in denen man es noch spürt.

Call me supreme, Baby ist ein harter, trauriger, narzisstischer Versuch über die Zeit der verlorenen Hoffnungen einer ganzen Generation auf ein gelebtes Leben jenseits der „Stimulation“.

Nadine Quittner, Florian Meixner, Mascha Mölkner: Call me supreme, Baby; Uraufführung, Performance, circa 50 Minuten, 14+.
Mit: Armin Braun, Hanna Donald, Katharina Dungl, Juliana Handler, Sarah Neichl. Dschungel Wien, 28., 29. und 30.5., 11 Uhr.
Fotos: © Bettina Isabella Zehetner.