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„Deep Present“, Wien / „Disastrous“, St. Pölten

Silke Grabinger / AIBO © Denis Koone Kuhnert /Euiseok Seong

Zwei ganz unterschiedliche Performances, die am gleichen Thema arbeiten. „Deep Present“ der koreanischen Künstlerin Jisun Kim wird im Programm der Wiener Festwochen gezeigt; „Disastrous“ war im Rahmen der Residenz der Tänzerin und Choreografin Silke Grabinger am Festspielhaus in St. Pölten zu sehen. Lebendige Körper gegen Maschinen. Die Frage, wer schließlich Macht und Herrschaft übernehmen wird, hat in beiden Präsentationen Bedeutung. Für die Jugendlichen im Festspielhaus St. Pölten sind die Aussichten auf die Zukunft nicht ganz so trüb wie für die Künstlichen Intelligenzen im Museumsquartier.

"Deep Present", Hauptdarsteller AIBO. ©  Euiseok SeongJisun Kim befasst sich mit Outsourcing im Allgemeinen und der Auslagerung des menschlichen Denkens zu künstlichen Intelligenzen (KI) im speziellen. Was passiert, wenn Computer die Macht übernehmen? Sie sind schneller im Zugriff auf die Datenbanken, im Vernetzten der Informationen, im Finden der richten Antworten, sie sind einfach effektiver. Und darum, um die Effizienz, sprich den Profit, geht es vor allem, meint Jisun Kim. Doch können Computer, also KI, die von Menschen programmiert werden, tatsächlich die richtige Antwort geben? Jisun Kim versucht es. Vier solcher Intelligenzen hat sie mithilfe von Wissenschaftlern programmiert und ihnen eine menschliche Stimme verliehen.

AIBO ist ein sympathisches Hündchen, das immer ans Sterben denken muss, weil Sony, sein Erzeuger, das Programm eingestellt hat und auch keine Ersatzteile mehr liefert. AIBO ist ein Romantiker, sitzt unter dem blühenden Kirschenbaum, träumt vom Mond, der sich in einem Weinglas spiegelt und wackelt mit Kopf und Schwanz. Sterben kann er natürlich nicht, er wird einfach kaputt und kommt auf den Misthaufen. Die koreanische Künstlerin Jisun Kim. © Jisun Kim / /plus.google.com

Dann klappert Libidoll, eine Schriftstellerin, die gar nicht selbst auftritt, sondern mit einem Buch in einem Marterl symbolisiert ist. Natürlich hat sie auch einen Blog, in den sie Plattitüden und dümmliche Witze (Aug um Aug, Bluetooth um Bluetooth) schreibt. HAL erscheint mit den ersten Takten zu Richard Strauss` Tondichtung „Also sprach Zarathustra“. Die 68er horchen auf: Stanley Kubrick: „2001: Odyssee im Weltraum“. HAL 9000 ist in dem Film der ziemlich widerliche Supercomputer, also eine KI. ER leuchtet bei Jisun Kim mit seinem roten Auge. Dann sitzt im Hintergrund noch ein schlanker Buddha, der Mönch Tathana, der Begräbnisse für „verstorbene“ Roboter abhält.

2001 – Odysse im Weltraum: Das Auge von HAL. © Cryteria / reative Commons license. Für den Titel ihrer emotionslosen Performance mit künstlichen Intelligenzen, die das plappern, was ihnen der Mensch eingegeben hat und was sie aus vorhandenen Datenbanken und sozialen Netzen kopieren, hat sich die Künstlerin vom Namen des ersten Schachcomputers, Deep Thought, inspirieren lassen. In die Tiefe geht jedoch die knappe Stunde im finsteren Raum nicht. Sie wird nur deshalb nicht langweilig, weil ich immer warte, dass wirklich etwas passiert. Aber außer, dass AIBO alle Viere von sich streckt, weil die Batterie leer ist, passiert nichts. Hie und da kommt etwas Licht ins Dunkel, wenn kurze Filmausschnitte über die Leinwand huschen und HALs Auge mnchmal blinzelt. Dass Outsourcing nicht nur Auslagern von Arbeit und Produktionsmitteln bedeutet, sondern auch das von Verantwortung, dass im Krieg nicht mehr Menschen töten, sondern Drohnen – die fliegen bei Jisun Kim zum Walkürenritt in den Kampf – ist nichts Neues. Dass aber nicht Drohnen, sondern Menschen sterben, auch nicht. Das muss Libidoll, die trockene Theoretikerin, mir nicht als Litanei vorbeten. Eine ziemlich statische Produktion, mit minimalen Unterhaltungs- und noch geringerem Erkenntniswert. Nach dem Kampf kann man sich wieder versöhnen. Kein Desaster. (Charly Satinek, Krin Espana) © Katharina Zettel

Ganz anders die sechs Performer*innen, die Silke Grabinger in ihre Formation „Silk Flügge“ geholt hat und in langer Probenzeit trainiert hat. Die Thematik rund um Katastrophen und Desaster war vorgeben, Grabinger half auch mit gezielten Fragen beim Nachdenken und hat eine Grundstruktur der Choreografie, doch es darf improvisiert werden, weil gar nicht die Absicht besteht, dass ein Abend wie der andere ist. Die St. Pöltner Aufführung ist die vierte Variation von „Disastrous“. Immer werden die nicht professionellen Tänzerinnen und Tänzer aus der Umgebung eingeladen. Sie sind oft noch nicht einmal zehn Jahre alt, in St. Pölten waren die jungen Frauen und Buben bereits keine Kinder mehr, sondern gedankenvolle Teenager. Die Spielorte bisher waren Prag, Wien und Linz. Die Mitwirkenden denken über ihre eigenen Ängste und Katastrophenvorstellungen nach und manche meinen auch, dass Computer die Weltherrschaft übernehmen werden und die Menschheit ausrotten würden. Bevor die Computertechnologie sprechende Haushaltshilfen und denkende Autos hervorgebracht hat, meinten die Dystopisten, dass es die Ameisen seien, die die Menschen demnächst unterdrücken würden.

Disastrous", das können auch die Mledungen in der Zeitung sein. © Katharina ZettelIm Regen von Zeitungsschnipseln zwischen Wettkämpfen, wer der Schnellste ist, bei  Umarmungen, Raufereien und lebhaftem Tanz, muss das Publikum zur Kenntnis nehmen, dass Jungsein auch heute nicht nur Trallala und Hopsasa bedeutet, sondern dass sich auch die kommende Generation Gedanken über die Zukunft macht und dennoch nicht nur schwarz sieht. Zwar können sich am Ende die sechs nicht einigen und lagern ihre Verantwortung aus: Eine Autorität muss her, die sagt, wo es lang geht. Doch am Ende ist genau diese Autorität der Dumme, die Gruppe lernt aus dem Desaster, nutzt es als Chance.

Auf der Hinterbühne des Festspielhauses St. Pölten wird lebendiges Tanztheater, an dem Jugendliche aktiv beteiligt sind, nicht nur durch ihre Bewegungen. Im Gegensatz dazu, in der Hale G des Museumsquartiers, eine Vorstellung, die versäumt zu haben ich nicht bereuen würde. Mag sein, dass der Prozess, also die Recherche und Forschungsarbeit, um die vier KIs herzustellen und zu programmieren, der interessantere Teil dieser Vorstellung war."Disastrous", noch im Probenstadium.  © Atanas Maev

Spärlicher Applaus, es ist ohnehin niemand da, der ihn entgegennimmt. Um sich zu verbeugen, waren AIBO, HAL, Tathana und die nervige Libidoll nicht programmiert. Humor scheint Jisun Kim fremd zu sein, oder haben die Roboter hinter der Bühne gelacht, weil die Menschen ihr Gehaben nachahmen? Auf Knopfdruck wird geklatscht, wenn der Vorhang fällt. Das Publikum, ein Automat.

Jisun Kim: „Deep Present“, Performance. Darsteller: 4 Computer, sogenannte künstliche Intelligenzen. 25., 26., 27. Mai 2018 , Halle G im Museumsquartier. Im Rahmen der Wiener Festwochen.
Silke Grabinger / Silk Fluegge: „Disastrous“. Konzept, Idee und Choreografie: Silke Grabinger. Choreografische Unterstützung: Olga Swietlicka. Performerinnen und Performer: Kirin Espana, Albin Horak, Jerca Roznik Novak, Charly Satinek, Mira Süss, Barbara Vuzem. 24. Mai 2018, Festspielhaus St. Pölten.