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brut im Volkskundemuseum: „Chesterfield“

Cécile Tonizzo vor ihren Collagen (Probenfoto) ©Tonizzo

Chesterfield“, nach der Bezeichnung für ein bequemes Ledersofa bestimmten Stils, nennt die Tänzerin und Choreografin Alix Eynaudi ihr jüngstes Gruppenstück. Inspiriert vom Material Leder, für Objekte und auf dem Körper, und der Sammlung von Pflanzenbüchern im Volkskundemuseum, zeigt sie mit Mark Lorimer, Quim Pujol, Cécile Tonizzo und Charlotte Nagel eine poetische Performance, die „man lesen muss.“

Es sind also Zeichen, Symbole, Prägungen, die die Tänzer*innen in langsam fließenden Bewegungen oder auch in kurzer Bewegungslosigkeit darstellen, als Solo, zu zweit oder zu dritt. Selten sind alle auf der Bühne, um die herum die Zuschauerinnen im offenen U sitzen. An der vierten Wand lehnen gerahmte bunte Ledercollagen von Cécile Tonizzo. An der Wand hängt die Vergrößerung einer Schwarzweiß-Aufnahme der Computerwissenschaftlerin Margaret Hamilton, die lächelnd neben einem Turm aus bedrucktem Papier steht. Es ist der Quellcode des Apollo Guidance Computers. Frauenkörper tanzen, Frauengehirne forschen, erfinden, denken. Probenfoto mit Ente © Christine Miess

Leder, Haut der Tiere, Umhüllung und Schutz, nicht nur für wertvolle Bücher, Leder auf menschlicher Haut, maskierend und demonstrierend, kühl und aufreizend. Ein weites Feld der Assoziationen tut sich auf. Doch Eynaudi ist niemals platt und schon gar nicht trendig primitiv. Sie lässt sich von einer Ente mit leuchtend grünen Augen und weichem Bauch begleiten – eine Lederente als Accessoire, Kuschelpuppe, Traumgespons.

Eien der  Collagen von Cécile Tonizzo. © Christine Miess Zur Einleitung sagt Quim Pujol ein katalanisches Kindergedicht auf, das von einem Geist („El Fantasma“) erzählt und hält einen gestanzten ledernen Schild hoch. Sonst wird nicht gesprochen, die Tänzer*innen werden von sorgfältig ausgewählter Musik begleitet. Die ist oft geheimnisvoll, mitunter auch schrill, oder einfach nicht da, doch auch die Stille wird zur Musik.

Die Körper verwickeln sich, liegen übereinander, nebeneinander, eine Tänzerin manipuliert die andere, gibt mit sanftem Druck Befehle oder bewegt den Körper der Partnerin, als wäre diese eine willenlose Puppe. Zarte, flüchtige, sogar scheinbar zufällige Berührungen lassen einen Hauch von Erotik im Raum schweben. Wozu lesen? Margaret Hamilton1969 neben ihr die Asudrucke des Quellcodes. © Draper Laboratory / lizenzfrei

Die präzise Arbeit der Choreografin Eynaudi, die Balance der Tänzerinnen und die so unterschiedlichen Bewegungsmuster von Frauen und Männern im Raum aus Licht und Tönen ergeben eine stimmige Performance, auch wenn die Zeichen nicht zu entschlüsseln sind.
Das ist vermutlich auch gar nicht die Absicht der Choreografin, der Ästhetik und Poesie, ihre Fantasie und Genauigkeit für eine perfekte Performance genügen.

Probenfoto © Christine MiessAm Ende interpretiert der Pianist Alfonso Alberti ein Cut aus der CD von Gérard Pesson „Positions furtive“: „La Lumière n'a pas de bras pour nous porter / Das Licht hat keine Arme, um uns zu tragen.“

Aber es kann tanzen, noch eine ganze Weile, während die Tänzer*innen fast unmerklich verschwunden sind.

Alix Eynaudi hat als Balletttänzerin an der Oper in Paris begonnen, war eine der ersten Studierenden an Anne Teresa de Keersmaekers Schule P.A.R.T.S in Brüssel und danach Tänzerin in deren Ensemble Rosas. Seit 2005 arbeitet sie als freie Choreografin und zeigt ihre beeindruckenden Werke in unterschiedlichen Räumen. Sie lebt in Wien.

Alix Eynaudi: „Chesterfield“, Performance: Mark Lorimer, Quim Pujol, Cécile Tonizzo, Alix Eynaudi, Charlotte Nagel. Kostüme: An Breugelmans; Ledercollagen: Cécile Tonizzo; Lichtdesign: Bruno Pocheron. 1., 2., 3. Dezember 2017, brut im Volkskundemuseum.