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Erna Ómarsdóttir: „Black Morrow“ in Salzburg

Iceland Dance Company: Wilde Gesten © Bjarni Grimsson

Eine düstere Vulkanlandschaft. Schwarze Lava beginnt in Strömen zu fließen. Ein See aus der schwarzen Masse breitet sich aus. Horrorfilm-Musik dröhnt aus den Boxen und geht unter die Haut. Vereinzelt treten Körper aus der eindrucksvollen Naturgewalt hervor – sich windend und rekelnd. Köpfe und Gesichter bleiben verborgen und abgewandt. Hier zeigt sich kein Mensch. Monster und Dämonen erobern die Bühne. Islands Naturgewalt der Choreografie, Erna Ómarsdóttir, schafft mit „Black Marrow“ bei der Sommerszene Salzburg gemeinsam mit Damien Jalet einen Abend der Gegensätze.

Menschliche Körper, Monster, Dämonen stellen sich im künstlichen Naturschauspiel den Maschinen und der Industrialisierung entgegen. Animalische, wilde Gesten – die Haare werden geschüttelt, Zungen rausgestreckt, unkontrolliert gezuckt – stehen mechanischen, zackigen und roboterhaften Bewegungen gegenüber. In Gruppenformationen als auch in individuellen Parts vereint sich das Übernatürliche und das Menschliche mit dem Automatisierten. Gemeinsam bilden die acht Perfomer_innen Apparate, die wie am Fließband einen Exzess nach dem anderen produzieren und wechseln blitzschnell zwischen absoluter Beherrschung und totalem Kontrollverlust. Erna Ómarsdóttir:Monster und Dämonen wider die Maschinenwelt  © Bjarni Grimsson

Nach ca. 20 Minuten werden die Tänzer_innen erstmals zu Menschen. Sie treten nach vorne an den Bühnenrand, aufgestellt in eine Reihe. Mit ihren Blicken durchdringen sie jede einzelne Person im Zuschauerraum. Abwechselnd rufen sie Wörter, machen Laute, stöhnen und keuchen. Ein Rhythmus kristallisiert sich immer mehr heraus. Der archaisch anmutende, ritualhafte Sprechgesang steigert sich bis hin zu einem tranceartigen Zustand. Er wird mitreißend, zieht das Publikum in seinen Bann. Moment! Den Song kennt man doch! Im Unisono schreien die Performer_innen die Lyrics von Danzels Partyhit „Pump it up“. Das Playback setzt ein und die Party beginnt. In rotem Scheinwerferlicht wird getwerkt und entertained. Und die naturgegebene Finsternis der Nacht wird zur künstlichen Dunkelheit im Club. Ein Bruch und eine Überraschung, die kaum unterhaltsamer sein könnte. Der Europaweite Hiterfolg aus dem Jahr 2004, der wohl nur noch auf Bad-Taste- und 00er-Parties zum Mitgrölen verlockt, könnte jedoch auch auf eine finstere Zeit der Popmusik referenzieren.

Jerome Bel begeistert mit GALA auch in Slazburg @ bernhard muellerGenug gefeiert, Dramatik und Pathos übernehmen wie zu Beginn das Ruder. Wiederkehrende Bewegungsmuster, Formationen, Textfragmente und vom Anfang bekannte Sounds schließen den dramaturgischen Kreis, das choreografische Gesamtkunstwerk. Der Lavasee wölbt sich und beginnt sich zu bewegen. Die Performer_innen tanzen für sich selbst – wild, roboterhaft, animalisch, unkontrolliert, lasziv – oder erstarren zu Stein. Einzelne Gesichter verschwinden wieder, durch Verrenkungen, Gesten und schwarzen Masken. In der Mitte zeigt sich eine schwarze Öllache. Die Körper drehen und krümmen sich darin und versuchen sich auf den Beinen zu halten. Die Farbe hinterlässt Spuren auf den Körpern. Das Licht geht aus. In vollkommener Dunkelheit ist nur mehr das Schlittern im schwarzen Gold und das auf den Boden Klatschen der Körper zu hören.

Die exakt getaktete Choreografie grenzt an Perfektion und bringt die großartigen Tänzer_innen der Iceland Dance Company bis an ihre physischen Limits. Sie vereint Natur mit Industrie, Mensch mit Maschine, Party mit Pathos, Gruppe mit Individuum und geizt nicht mit Extremen, unterstrichen von Ben Frosts metallischem, düsteren und dramatischen Soundtrack, der auf positive Weise bis in die Knochen erschüttert. Ein spektakulärer Abend zur Halbzeit der Sommerszene Salzburg. Noch einmal das schwarze Morgenvon Erna Ómarsdóttir © bjarni Grimsson

Knapp eine Woche läuft das Festival noch mit Philipp Gehmacher im Museum der Moderne, dem Künstlerkollektiv Subject to_change, dem italienischen Choreografen und Regisseur Alessandro Sciarroni, einem Trip durch die Musikgeschichte der besonderen Art mit PME-ART und einer Soloperformance gewidmet dem „Unbeachteten“ von Sarah Vanhee. Den Abschluss macht Doris Uhlich mit ihren „Boom Bodies“ und lässt in der letzten Nacht der Sommerszene die Korken knallen.

Erna Ómarsdóttir, Damien Jalet & Iceland Dance Company „Black Marrow“, 26. Juni 2016 im Rahmen der Sommerszene Salzburg.
Das Festival Sommerszene Salzburg läuft noch bis 2. Juli 2016.