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Martin Schläpfer „7“ – Ballett am Rhein

Ballett am Rhein "7": Das Leben – eine Reise © Gert Weigelt

Schlicht und prosaisch „7“ nennt Martin Schläpfer, Chef des Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg , seine 2013 geschaffene Choreografie zur 7. Symphonie e-Moll von Gustav Mahler. Das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, dirigiert von Wen-Pin Chien, Kapellmeister der Deutschen Oper am Rhein, begleitete die Compagnie bei ihrem Gastspiel im Festspielhaus St. Pölten. Die Musik Mahlers, durch ungewöhnliche Instrumente wie Mandoline, Gitarre und Kuhglocken ergänzt, teils romantisch, teils tragisch mit rauschenden Klängen an der Grenze der Tonalität, bleibt trotz der Bemühungen des Choreografen und der Qualität der Tänzer_innen vom Rhein die Hauptdarstellerin an diesem Abend.

Ein Mann schleppt sich auf die Bühne, müde von einer langen Reise, von schwerer Last gebeugt, erschöpft fällt er zu Boden. Ein weites Assoziationsfeld öffnet sich mit dieser kurzen Einleitung und wird in kurzen Szenen, getanzt von der gesamten Compagnie aber auch in Miniatur-Solos, in Duos und Trios, immer wieder berührt: Wanderschaft und Migration, Abschied und Herbergssuche, Opfer und Täter. Auch erinnert Schläpfer sich und das Publikum, dass der Komponist Gustav Mahler selbst ein Ruheloser war, einer der es nirgends lange ausgehalten hat und auch dass er Jude war. Ballett am Rhein: Schöne Ballerinen in "7"  © Gert Weigelt

Davon ließ sich auch Florian Etii beim Entwurf der Kostüme inspirieren: In strengem Schwarz zeigen sich Damen wie Herren. Die langen Hosen und weiten Oberteile, die in einer dezent gemusterten Schärpe enden, lassen an die Kleiderordnung der orthodoxen Juden denken. Wunderbar dezent ist auch Ettis Bühnenbild, das lediglich aus einer Wand reflektierender Platten in zarten Farben und dünnen Lichtstreifen auf dem Tanzboden besteht. Für das unaufdringliche Licht ist Volker Weinhart verantwortlich.

Ein wenig Spaß mus sein: "7", Ballett am Rhein © Gert Weigelt Schläpfer lässt die Tänzerinnen die meiste Zeit (die vorzüglich zu Gehör gebrachte Symphonie dauert knappe anderthalb Stunden, ist auch deshalb selten im Konzertsaal zu hören) in Spitzenschuhen tanzen, setzt auf zarte Lieblichkeit und zerbrechliche Schönheit. Weiße Arme schwingen schwanengleich, legen sich zärtlich im nackte Schultern, wohlgeformte Beine ragen synchron in die Höhe, wickeln sich bei Hebe-Kraft-Akten um die Tänzer.

Doch ohne schwer wirkenden Treter (mit weicher Sohle) kommt Schläpfer nicht aus. In karikaturistischen kabarettistischen Szeneneinsprengsel, werden sie getragen, machen keinen Lärm, während die Ballerinen mit ihr zartes Schuhwerk auch als Werkzeug verwenden und damit kräftig in den Boden klopfen. In die aneinander gereihten Szenen kann jede hineindenken, was sie will, es gibt keine Geschichte nur die Wanderbewegung, das gemeinsame Rennen über die Bühne, lässt ahnen, was dem Choreografen vorgeschwebt ist. Häufig tragen die Männer die Frauen in allen möglichen Positionen quer durchs Land, Frauen marschieren zu dritt, zu fünft, alle und ebenso die Männer. Oder alle gemeinsam machen sich, tanzend, schleifend, auch auf dem Boden gleitend und laufend, auf die Wanderschaft. Schläpfer weiß eine große Gruppe zu bewe.gen – die gesamte Compagnie besteht aus 43 Tänzer_innen –, wie er es überhaupt versteht, schöne Bilder zu zeigen. Doch diese; Bilder sind nicht neu und auch nicht aufregend, reihen sich zusammenhanglos, gespickt mit Zitaten aus der Ballettwelt, aneinander, haben manchmal durch Bewegungen im Takt peripher etwas mit der Musik zu tun, meistens aber nicht. Die Musik lässt sich weder durch den Spitzentanz noch durch die vom Choreografen geliebten älplerischen Einschübe stören.

Ein so monumentales Werk wie diese Siebente von Gustav Mahler lässt sich durch gar nichts stören, nimmt auch keine Rücksicht auf das Bühnengeschehen und wird in der fabelhaften Interpretation durch Wen-Pin Chien und das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich am besten genossen, wenn man die Augen schließt und auf das abschließende Rondo-Finale (Tempo moderato ma energico) wartet: Ballett am Rhein "7": Mann und Frau auf Wanderschaft. © Gert Weigelt
Dann sind auf der Bühne die schwarzen Hocker für die „Reise nach Jerusalem“ aufgestellt, ein aufregendes, grausames Spiel: Nicht alle Menschen werden einen (Sitz-)Platz finden, wer übrig bleibt, wird ausgeschlossen. So wird der Kampf um den Platz immer rasanter, Männer und Frauen rennen um ihr Leben. Zurück bleibt, einsam und irgendwie verloren eine helle Gestallt auf dem schwarzen Stockerl in der Mitte, , eine Tänzerin auf Spitze, unwirklich und auch sinnlos. Ich denke an eine Schneekugel, wenn ich sie schüttle wirbeln nicht nur die Flocken auch die Ballerina im rosa Tütü dreht sich, dreht sich, dreht sich. – Bis die übereifrigen Applausjunkies die Stimmung zerstören, die der Choreograf Martin Schläpfer so publikumswirksam zu hervorzurufen vermag.

Martin Schläpfer / Ballett am Rhein: „7“, Musik: Gustav Mahler, Sinfonie Nr 7 e-Moll, gespielt vom Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Dirigent: Wen-Pin Chien. 9.April 2016, Festspielhaus St. Pölten