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Kopf unter Wasser, Hydrophon im Mund

Alex Franz Zehetbauer, Schöpfer einer neuen Wassermusik.

Ein beeindruckendes Bild, eine rätselhafte Installation: Kübel, Lavoirs, Becken aus unterschiedlichen Materialen, in allen Farben leuchtend und mit Wasser gefüllt, sind auf der Bühne platziert, dazwischen schlängeln sich Kabel und Drähte. „AyH“, das bedeutet „Finden“, nennt Alex Franz Zehetbauer sein live komponiertes Konzert, bei dem die Musik aus dem Wasser kommt. Gemeinsam mit dem Soundkünstler Christan Schröder und einem Hydrophon (Unterwassermikrofon) hat Zehetbauer unter Einsatz seines Körpers eine konzertante Performance geschaffen, die sich sehen und hören lassen kann. Ein vorweggenommener Valentinsgruß Anfang Februar im studio brut.

Mitunter mischt der Wassermusiker auch seine Stimme in das Konzert.Als „Experiment“ haben die beiden Künstler bereits 2020 die erste Version der Konzertperformance „AyH“ Im_flieger gezeigt. Auch bei diesem „ersten, kurzen Blick auf eine Klang-Choreografie in Arbeit“ hat das brut, damals noch auf Wanderschaft, mitproduziert. Geplant war die Uraufführung für Jänner 2021. Da pfuschte das Virus dazwischen, die Aufführung hat online stattgefunden. Heute, da die Aufführung „on stage“ stattfinden kann, weiß man: Kein Vergleich. Das Live-Erlebnis im Klangraum ist herzerwärmend und überraschend.Auch unter Wasser wird Sound erzeugt, Soundmaster Schröder hält ihn fest. Im kurzen schwarzen Spitzenröckchen tritt Alex Franz Zehetbauer, während Christian Schröder noch die Kabelschlangen ordnet, mit nacktem Oberkörper auf, verdrahtet sich und lässt die Kabel vibrieren. Niedliche, weiße Cockrings dienen als Unterbrecher und unerwartet, doch mehr oder weniger beabsichtigt, reißt der dünne Draht, die Cockrings fliegen durch die Luft, der Kopf taucht unter Wasser. Ein Kampf mit dem Hydrophon und den sich windenden Kabeln, die alle am Pult von Schröder landen, beginnt. Zehetbauer schwingt das Kabel als wär’s ein Lasso, um das Hydrophon wieder in einem Becken oder Kübel u versenken. Der Sound wird zur polyfonen Musik, zur aktuellen Wassermusik. Alex Franz Zehetbauer erzeugt mit dem Atem Orchesterklänge, Christian Schröder dirigiert.
Ein Konzert, das immer mehr anschwillt, als kämen immer neuer Mitspieler hinzu. Schröder speichert, Alex singt, Loops, Overdubbing, beide Künstler sind hoch konzentriert. Die Kabel und Mikrofone reagieren nicht immer so wie erwartet. „Eigentlich“, sagt Zehetbauer, „ist die gesamte Aufführung improvisiert.“ Das verlangt von Schröder höchste Aufmerksamkeit, er muss auf die Töne, die im bewegten Wasser durch den Druck erzeugt werden, reagieren. Die Komposition ist feinst aufgebaut. Es scheint, als kämen immer neue Instrumente dazu, die Bewegungen des pitschnassen Körpers werden immer heftiger. Zehetbauer probt die passende Aufstellung der Waserbehälter. Video-Ausschnitt, © brut Das optische Erlebnis beschränkt sich nicht nur auf die Bühne, durch feine Lichttechnik entsteht eine Schattenperformance an den Wänden. Der Schlagschatten des Performers mischt sich unter die wolkigen Reflexe der Wellen in den Kübeln und Becken, Lichtblitze huschen vorbei, der sich potenzierende Sound bildet einen warmen Mantel, der den Raum noch einhüllt, wenn der Performer schon verschwunden ist.
Hilma af Klint: „Was das menschliche Wesen ist“,  1910. © Wikiart, lizenzfreiWas das menschliche Wesen ist", 1910. © Wikiart, lizenzfreiDie durch „automatisches Zeichnen entstandenen, abstrakten Bilder der schwedischen Malerin und Esoterikerin Hilma af Klint (1862–1944) haben Zehetbauer zu „AyH“ inspiriert. Der Titel stammt aus einer Kunstsprache, die af Klint mit einer Frauengruppe benützt hat. Die „Fünf“ hielten Séancen ab und riefen darin das Göttliche herbei. Hilma af Klint, die ihre Bilder zeitlebens in keiner Ausstellung gezeigt hat, widmete sich dem automatischen Zeichnen, angeleitet von Überirdischen. Dokumentiert hat sie diese „Begegnungen“  und Informationen in detaillierten Katalogen. Daraus hat sich eine wachsende Sprache von Symbolen, Figuren, Formen und codeartigen Buchstabengruppen ergeben. Hilma af Klint, Malerin, Mystikerin, Theosophin, in ihrem Studio. Filmstill, © Filmladen.Viele davon finden sich als zentrale Elemente in Hilma af Klints Gemälden wieder. Automatisch, von einem fernen Gott / einer Göttin gelenkt, ist jedoch in der aufwändigen, konzentrierten und auch schönen Performance von Zehetbauer und Schröder nichts, auch wenn das Singen und Sirren, das sich in alle Dimensionen ausdehnende Hörerlebnis, nahezu göttlich genannt werden kann. Die Empfehlung, diese sinnliche Stunde mit Augen und Ohren, Herz und Hirn zu genießen, ist ganz und gar menschlich.

Alex Franz Zehetbauer & Christian Schröder: „AyH (stage version)“, Konzertperformance. studio brut, 2. bis 5. Februar 2023.
Konzept & Akustik, Choreografie: Alex Franz Zehetbauer; Komposition & Performance: Alex Franz Zehetbauer und Christian Schröder. Produktion: mollusca productions.
Fotos:  © Franzi Kreis, Moritz Franz Zangl