Skip to main content

Georg Blaschke – Bosch Experience II

Mirjam Klebel, Juan Dante Murillo in düsterer Landschaft. © Hanna Hollmann

Seit Jahren beschäftigt sich der Choreograf Georg Blaschke mit dem Weltgerichtstriptychon von Hieronymus Bosch, an dessen 500. Todestag im kommenden Jahr gedacht werden wird. Nach „The Bosch Experience part I“ in der Akademie der bildenden Künste (im Rahmen von ImPulsTanz2014) zeigt er nun in der Expedithalle der Brotfabrik „part II“ an einem Doppelabend mit lawine torrèn.

Zwei Tänzer auf einer Müllhalde. Metallenes Gerümpel liegt herum, Teile von Maschinen und Geräten, Trichter und Schrauben, verrostete Baggerschaufeln, abgetrennte Gliedmaßen einst funktionierender Geräte. Zwei Tänzerinnen (Mirjam Klebel, Juan Dante Murillo) bewegen sich in der düsteren Landschaft, untersuchen die Relikte, deren ehemaliger Zweck kaum noch zu erkennen ist. Sie zerlegen sie, setzen sie neu zusammen, machen sie sich zu eigen, indem sie ihre Körper damit verbinden. In komplizierten Pas de deux werden sie selbst zu leblosen Objekten, lassen sich über den Boden schleifen, in komplizierte Positionen arrangieren oder einfach flach drücken.

Die eindrucksvolle und auch rätselhafte Bilderwelt des niederländischen Renaissancemalers Bosch ist präsent. Auch im dreiteiligen Altarbild „Weltgerichtstriptychon“ (in der Akademie der bildenden Künste zu sehen) kann man sonderbares Gerät entdecken. Die (sündigen) Menschen werden durch den Fleischwolf gedreht, von Mühlsteinen zermalmt, in Fässer und eiserne Kugelkäfige gesteckt und auf Stöcke gebunden, von Nägeln und Spießen durchbohrt; Gliedmaßen, auch Köpfe, werden abgetrennt, Körperteile in der Pfanne gebraten und Fußsohlen mit Hufeisen beschlagen. Scheußliche Gestalten warten darauf die zur Hölle Verurteilen zu malträtieren.
Hat Blaschke in den zweiteiligen Choreografie des ersten Teil mit einer musikalischen Komposition für drei Frauen in prächtigen Kostümen (Hanna Hollmann) auf das im linken Flüge dargestellte Paradies reagiert so wie sich danach in einer effektvollen Licht- und Soundinstallation für eine Tänzerin und drei Tänzer mit den Körperdarstellungen beschäftigt und eine farbige Hölle entstehen lassen, so ist in part II alles düster. Die schwarz gekleideten Performerinnen agieren in schwarzen Kostümen, werden im fahlen Licht zu Schemen oder zu kaum wahrnehmbaren Schatten, wenn die Seitenscheinwerfer blenden. Immer mehr verschwimmt der Unterschied zwischen Mensch und Objekt, die Relikte sehen wir Arme aus, werden von Murillo wie Säuglinge sorgsam getragen, die sich ineinander verschlingenden Tänzer werden zu vielarmigen Geräten, die der Fantasie Boschs entsprungen sein könnten. Juan Dante Murillo: Mensch verschmilzt mit Gerät. © Konstanze Rehberger

Man muss aber gar nicht an Hieronymus Bosch denken, das Bild nicht unbedingt kennen, so eindrucksvoll und aufregend ist die Performance von Mirjam Klebel und Juan Dante Murillo, der für Giovanni Jussi eingesprungen ist, Jussi hat an der Choreografie mitgearbeitet, konnte doch verletzungsbedingt nicht auftreten.

Die düstere Schrott-Landschaft, das Mitspielen der Geräte und die Zeitebene des inspirierendes Bildes von Bosch stellen die Verbindung zum zweiten Teil des Doppelabends, der kurzen Video-Performance „timor et tremor“ von Hubert Lepka / lawine torrèn dar. Lepka hat Fragmente aus seinen in realer Landschaft gezeigten Arbeiten „Hochwald“ und „Sägewerk“ zu einem imponierendem Film zusammengestellt, in dem sich die Tänzerin Barbara Földesi ebenso bewegt wie live auf dem schmalen Steg vor der beweglichen Led-Wall. Die Baggerschaufel schneidet durch den Eisstoß, die Frau streichelt ein Kitz, ein Nadelbaum versinkt in Zeitlupe im eisig schäumenden Wasser, das Kitz muss getötet werden, ein ertrunkenes Mädchen treibt im Fluss, sanft tropft das Blut, färbt die Blätter und Gräser. Die Bilder sind stark, die lebendige Tänzerin müht sich vergeblich dagegen anzukommen.

Begleitet von Renaissancemusik ist diese kurze Arbeit eine nahezu erholsame Ergänzung zum Bosch Experience. Dass auch das Düstere, Grauen, Folter und Tod ihre Ästhetik haben, zeigen beide Produktionen.

Banner zu Timor et Tremor von Hubert Lepka. © lawine torrèn

Georg Blaschke: „The Bosch Experience part II“, 30.10., Expedithalle der Brotfabrik. Kostüme und Bühnenraum: Hanna Hollmann; Komposition und Klangregie: Christian Schröder.
Hubert Lepka / Lawine Torrèn: „timor et tremor“, Duett LEDWall (Christian Wymetal) und eine Tänzerin (Barbara Földesi).
Uraufführung des Doppelabends am 29.10.2015 in der Expedithalle der Brotfabrik.