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Tanzen und Denken in der emotionalen Saison

Der Betrieb, Vogelweidplatz 13.

Gefühle sind das Thema in der 1. Saison, der „emotionalen“, eines Performance-Projekts von Archipelago, genannt „Der Betrieb“. Die Idee ist zwischen Anna Maria Nowak und Alex Gottfarb entstanden, gemeinsam mit Anna Mendelssohn, Arttu Palmio, Karin Pauer und Charlotta Ruth ist die erste Saison konzipiert worden. Von Mittwoch bis Samstag wird jeden Nachmittag in einem ehemaligen Geschäft am Vogelweidplatz 13 getanzt, gedacht, erzählt, getextet und analysiert, spontan und emotional. Das Publikum darf kommen und gehen, wie es ihm passt und gefällt. Die Intensität der bewegten Körper und ausdrucksvollen Mienen, der Wörter und Gedanken wirft ihre Schlingen aus und man ist gefangen, kann sich kaum noch lösen. Die Zuschauerin wird zur Beteiligten.  

Arttu Palmio, Anna Mendelssohn, Anna Maria Nowak: Noch nicht ganz in Betrieb.Spielerisch, ohne Drängen und Fordern, werden die Gäste des Betriebs in die Arbeit einbezogen und Themen aussuchen, ihre Gedanken dazu mitteilen, damit sie Eingang in das Protokoll finden, das regelmäßig in den Computer getippt wird. Doch Partizipation muss nicht sein, wer mag, behält seine Gedanken für sich. Das Thema nach einer Kaffeepause für die Mitwirkenden und Gäste ist diesmal die Monachopsis, wer da nicht im Lexikon nachschlagen muss, ist Psychiater oder Therapeutin. Also, Monachopsis ist „das subtile, aber hartnäckige Gefühl, fehl am Platz zu sein, so unangepasst an die Umgebung wie eine Robbe am Strand“, definiert der britische Psychologe Jason Spendelow. Vollbetrieb: Im Vordergrund: Karin Pauer, Arttu Palmio. Sitzend: Anna Maria Nowak, Alexander Gottfarb, Charlotta Ruth, Anna Mendelssohn.
Die Gäste haben gewählt, Mendelssohn und Gottfarb werden dieses Gefühl in den Körper hineindenken und in der Bewegung ausdrücken. Charlotta Ruth moderiert und dirigiert, animiert die beiden, ihren Ausdruck zu verändern oder zu behalten. Anna Maria Nowak, Spiritus Rector der emotionalen Saison, hat Computerdienst und schreibt wichtige Gedanken, Erkenntnisse und auch Übersetzungen an die Wand. Gesprochen wird Deutsch und Englisch, wie es den im Betrieb Arbeitenden gerade über die Lippen kommt.
Charlotta Ruth mitten im Geschehen. Die fröhliche Miene zeigt: Monachopsis ist nicht das Thema. Gäste und Gastgeber:innen sind einander räumlich ganz nahe. Im ehemaligen Geschäftslokal, von Der Betrieb adaptiert und bezogen, ist Augenkontakt möglich, die unerwartete Intimität löst die Grenzen zwischen  Künstler:innen und Publikum auf. Anders als gewohnt, gibt es keine vierte Wand, Bühne und Zuschauerraum sind eins. Man darf sich wie im Whnzimmer fühlen.
Ohne Choreografie oder vorgeschriebenem (geprobtem) Ablauf lösen sich auch die Rollen – hier Beobachter:innen, dort Beobachtete – auf, Bewegungen, Mimik und Gestik, Gespräche und Pausen entstehen spontan und ungeplant, doch authentisch und sinnvoll. Im von Der Betrieb angebotenen „Denkraum“ entsteht ein dichtes Gewebe an Gedanken und Gefühlen, Erinnerungen und Erkenntnissen.  Karin Pauer, Charlotta Ruth: A heavy backpack of joy, sagt die Schrift an der Wand, doch sie tragen ihn leicht, den schweren Rucksack voll Freude. Jetzt ist es Zeit, „Achtung“ zu rufen. Die Intimität, das Schweifen der Gedanken und Herbeiholen der einst verspürten Gefühle ist gefährlich. Zu leicht gerät man in uferlose Gestade, verliert den Bezug zur Realität, schwirrt im Neverland der Fantasie umher. Wie findet man wieder zurück auf den Boden der Tatsachen? Etwa jener, dass der Vogelweidplatz gar kein Platz mehr ist, sondern eine ziemlich öde Gasse zwischen Hütteldorferstraße und Gablenzgasse, hinter der Stadthalle, die sich vermutlich auf dem ehemaligen, dem bedeutenden Dichter Walther von der Vogelweide (etwa 1170 – 1230)  gewidmeten Platz breit macht. Doch die Adresse der in den 1950er Jahren erbauten Stadthalle lautet Roland Rainer-Platz, nach dem Erbauer des Ungetüms. Doch an Walther erinnert auch der Vogelweidpark, direkt gegenüber von der Platz genannten Gasse. Wenn Anna Mendelssohn und Anna Maria Nowak erforschen ihre Gefühle, noch ohne Publikum. die Betreiber:innen von Der Betrieb aus den großen Fenstern schauen, dann sehen sie direkt in den Vogelweidpark, und wenn die Schuldamen und -herren nachmittags vorbeispazieren, können sie hineinschauen und raten, welches Gefühl gerade die Performer:innen durchrüttelt.
Emotionen zu evozieren, ob mit dem bewegten Körper oder im Kopf, ist riskant und kann schmerzhaft sein. Etwa wenn man sich der Monachopsis hingibt, die ein recht beklemmendes, sehr unangenehmes Gefühl ist.
Ich verlasse besser die Gefühle bewegenden und von Gefühlen bewegten Tanzkörper. Es ist möglich und vorgesehen, jederzeit wiederzukommen. Ein anderes Thema, ein anderes Gefühl, ein neues Erlebnis warten.
"Der Betrieb": Charlotta Ruth, Alexander Gottfarb, Anna Maria Nowak; Karin Pauer, Arttu Palmio. Die Arbeit von „Der Betrieb“ zeigt, dass Tanz (Performance) dann packend ist, wenn er sich an das Publikum wendet, es einbezieht, tatsächlich ohne Rampe oder durch die Präsenz der Mitwirkenden über die Bühnenrampe hinweg. Keine Selbstverliebtheit und Selbstdarstellung, im Mittelpunkt steht nicht das Selbst der Auftretenden (Arbeitenden), sondern das, was sie mitzuteilen haben, was sie zeigen wollen. Vorangegangen ist harte Arbeit. Mit jedem Besuch im Betrieb am Vogelweidplatz 13 passiert Neues und zugleich ein tieferes Eintauchen in die Welt der Tanzkörper und der Gefühle.

„Der Betrieb – The emotional Season“, noch bis 19.11. 2022, Mittwoch bis Freitag: 1318 Uhr; Samstag: 14–19 Uhr. Vogelweidplatz 13, hinter der Stadthalle.
Künstlerische Leitung: Anna Maria Nowak. Performance und Choreografie: Alexander Gottfarb, Anna Mendelssohn, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio, Karin Pauer, Charlotta Ruth. Musik: Zosia Holubowska. Eine Produktion von Archipelago, koproduziert von WuK performing Arts.
Fotos: © Kati Göttfried