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Winterreise – Ein dramatisches Konzert

"Winterreise": Tobias Greenhalgh, Martin Dvořák in Aktion. © F. Kampmann

Der Bariton Tobias Greenhalgh und der Tänzer Martin Dvořák heben den Glassturz über Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ und geben eine frische neue Perspektive frei. Dvořáks Inszenierung / Choreografie lässt auch den Sänger zum Akteur werden, gibt dem „Porträtkonzert“ in der Kammeroper Dramatik und Spannung. Die „Winterreise“ wird gesehen und auch ganz neu gehört.

„Porträtkonzert“ nennt sich die Reihe der Kammeroper in der sich die Mitglieder des jungen Ensembles am Theater an der Wieneinen Abend lang vorstellen. Mit Werken ihrer Wahl. Der Bariton Tobias Greenhalgh, mit reichlicher Opernerfahrung, wählte Schuberts „Winterreise“. Kein Sänger, keine Sängerin, die sich diesen Hl. Gral entgehen lassen, von Dietrich Fischer-Dieskau bis Christa Ludwig. Auch Choreografen lassen sich inspirieren, von John Neumeier bis Jochen Ulrich. Und Komponisten interpretieren, orchestrieren, definieren die Musik neu. Hans Zenders „Schuberts Winterreise – eine komponierte Interpretation“ sei als Beispiel genannt. Doch wer an der Ikone kratzt, bekommt nicht immer Beifall. Zuletzt wurden Nasen gerümpft als der Südafrikanische Künstler William Kentridge die „Winterreise“ für die Wiener Festwochen 2014 mit live generierten Animationsfilmen auf seine Weise interpretierte. Zur Erinnerung: Markus Hinterhäuser begleitete Matthias Goerne am Klavier. Puristen nörgelten, Kentridge hätte gestört."Winterreise" dramatisch: Greenhalgh, Dvořák. © Frederikke Kampmann

Es war also durchaus gewagt, dieses Heiligtum des Schöngesangs durchzuschütteln und in neuen Facetten leuchten zu lassen. Greenhalgh verzichtete auf das statische Absingen der sattsam bekannten und so biedermeierlich romantischen 24 Lieder und erarbeitete mit Dvořák eine getanzte und gespielte Version, die nicht nur den Blick sondern auch das Gehör schärft. Zumal Greenhalgh, in Amerika geboren, einen blühenden Bariton, raumfüllend und textverständlich (akzentfrei) , entfaltet.

Martin Dvořák tanzt "Winterreise". © Frederikke KampmannDoch er steht nicht als marmorne Figur im Frack am der Rampe. Animiert durch Dvořáks Choreografie wird auch er zum Schauspieler, ist anfangs gar nicht tatenlos leidend, sondern zornig. Ein verlassener Mann ohne Unterkunft, der mit dem Elendl hadert, aber nach einem Ausweg sucht. Nach der Pause, der kleine Lindenbaum hat seine welken Blätter abgeworfen, der Sänger seine Stiefel verloren, der Wanderer hat er sich gefügt, die Wut ist abgekühlt, während er sich mit dem Schicksal abfindet, sieht er auch das Leid der anderen. Er wird mit dem Leiermann ziehen, wer immer das auch sein soll, der sich immer gleiche grau Alltag oder der Tod.

Aktion und Emotion. Martin Dvořák begleitet ihn, ist Schatten und Doppelgänger, Mahner und Tröster, tiefes Leid und sonnige Erinnerung, lässt die Landschaft unter der Schneedecke erstarren und die glitzernden Tränen zu Eis werden, ist Irrlicht und Krähe, nicht nur Körper, auch Seele. Einfühlsam versteht es der Tänze mit dem Sänger, in Kostüm und Maske, zu agieren, spielt sich nicht in den Vordergrund, akzentuiert die Geschichte – in dieser Inszenierung wird die Gedichtsammlung zur vom Wanderer erzählten Geschichte – und vertieft so das Hörerlebnis. Zurückhaltend ist auch Marcin Koziel als Begleiter des dramatischen Konzerts und Leiter der musikalischen Einstudierung. "Eine Straße muß ich gehen, Die noch keiner ging zurück." (Greenhalgh, Dvořák. © Frederikke Kampmann

Da Publikum, sicher weniger mit Tanz als mit Oper und Konzert vertraut, war gebannt und konzentriert und bedankte sich bei den Protagonisten mit spontanen Bravorufen. Eingeschlossen waren darin auch Jindra Ryhlá, die für die Kostüme verantwortlich ist und Johann Reither der die subtile Beleuchtung gesteuert hat. Mit der Produktion werden die Künstler im Dezember auch in Tschechien auftreten.

Porträtkonzert: Tobias Greenhalgh, Bariton: Franz Schubert: „Winterreise“, Inszenierung und Tanz: Martin Dvořák. 17.10. 2015, Theater an der Wien in der Kammeroper.